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Der fliegende Bleistift „Hör mal: Der Bleistift fährt auch mit!“, verkündet mit Gerd Brauneiser gut gelaunt am Telefon, als wir über die bevorstehende Oldtimerausfahrt unseres Clubs zu den Vulkanen des Laacher Sees sprachen. In der Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre auf ein Mindestmaß geschrumpften Motorradszene war Reinhard Scholtis eine im internationalen Motorrad-Straßenrennsport bekannte Größe, wo er zunächst mit Eigenbau-Motorrädern und später mit Maschinen der Marken Kawasaki und Yamaha mitmischte. Seine Eigenbauten basierten auf Adler Motorrädern, deren Produktion 1957 eingestellt wurde und die er mit sehr viel Know-How und handwerklichem Geschick weiterentwickelte. Mein Freund Willi Schaub hatte mir vor über 30 Jahren schon vom „Bleistift“ aus Köln erzählt, der ihm einmal einen Adler-Motor zusammengebaut hatte, nachdem seine Mutter in das auf dem Küchenboden ausgebreitete „Getriebe hineingetreten“ hatte. Willi war damals selbst beim Zusammenbau schon verzweifelt.
Zusammen mit Willi Schaub war ich 1974 zur
Nürburgring-Nordschleife gepilgert, um dort den deutschen
Motorrad-Grand-Prix-Lauf zu erleben. Das Rennen ging als das
Eklat-Rennen schlechthin in die Grand-Prix-Geschichte ein, bei
dem die allermeisten Solo-Fahrer wegen der bemängelten
Streckensicherheit der Nordschleife in den Streik traten. Zu den
wenigen Solo-Fahrern die sich nicht am Streik beteiligten,
gehörte Reinhard Scholtis aus Köln. Dieser war der mit
Abstand älteste Grand-Prix-Teilnehmer im Feld der Solisten.
Vielleicht hatte Scholtis deshalb wohl auch eine lockerere
Einstellung im Umgang mit dem Risiko als die zum Teil 20 Jahre
jüngeren Konkurrenten. Heute dazu angesprochen meint
Scholtis lachend: „Ich wusste ja, dass ich fahren kann!“.
Seine Rennerfahrungen auf der Nordschleife reichen schließlich
noch in die Zeit zurück, als die Hecken am Rande der Strecke
noch nicht durch Leitplanken ersetzt und Auslaufzonen noch
unbekannt waren. Willi Schaub jedenfalls war ganz begeistert, den
„Bleistift“ nochmals in Aktion zu erleben und ich
freute mich, dass ich für meinen Eintritt überhaupt ein
paar Solofahrer auf dem Ring in Aktion zu sehen bekam.
„Der fliegende Bleistift: So lang, so dünn und fliegt so oft“. Aus diesem Spruch habe die Kölner Szene bald den Beinamen „Bleistift“ hergeleitet und verwendet, der schließlich zu einem Markenzeichen wurde, und der heute noch verwendet wird, wenn etwa eine Adler, Yamaha oder Kawaski mit „Bleistift-Motor“ als historischen Rennmaschine angeboten wird. Selbst dem damaligen Motorjournalisten Ernst „Klacks“ Leverkus benutzte für Scholtis den Beinamen „Bleistift“. Beim Tag
der offenen Tür des MVC-Brenig 2009 wies mich Paul
Knabenschuh auf einen Herren hin, der mit einem schon
historischen Yamaha-Mokick zu dieser Veranstaltung erschienen war
und sprach von ihm als dem „Bleistift“.
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Gestohlene Kindheit und Jugend Reinhard Scholtis Vater war Erich Scholtis. Der kam aus Schlesien, hatte in Breslau an der Akademie Bildende Kunst studiert und verdiente seinen Lebensunterhalt als Kunstmaler. Sein berühmter Onkel August Scholtis hatte als Schriftsteller ebenfalls einen nicht alltäglichen Beruf. Die Mutter stammte aus Danzig, wo auch die Familie Scholtis lebte. Dort erblickte Reinhard 1933 als zweites von sieben Kindern das Licht der Welt. |
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Weiterbildung in Köln Die bestandene Gesellenprüfung als Klemptner und Installateur war 1954 für Reinhard Scholtis nur eine Zwischenstation. Sein Herz schlug viel mehr für die Maschinentechnik. Bereits während seiner Lehre in Bad Bramstedt hatte er sich nach Feierabend mit Maschinenbautechnik befasst. In Köln besuchte er bis 1956 die Maschinenbauschule. Hier erwarb er sein Wissen zur Materialkunde, Bearbeitungstechniken, Strömungslehre, Berechnungsmethoden usw. 1957 heiratete er zum ersten Mal. Die ihm zur Verfügung stehende Zeit musste er deshalb mehr aufs Geldverdienen konzentrieren. Dazu arbeitete er als Maschinenschlosser bei der „Stettiner Oderwerk AG“, die 1950 ihren Sitz von ursprünglich Stettin nach Köln verlegt hatte. Reinhard Scholtis gerät auch jetzt noch ins Schwärmen, wenn er an diese Zeit zurückdenkt: War dieses Unternehmen doch für die damaligen Zeit werkstattmäßig modernstens aufgestellt und bekannt für die Prodiktion hochentwickelter Schiffstechnik. „Diese Zeit war sehr lehrreich für mich – nicht weniger aber auch die Zeit ab 1958 bei den Fordwerken“, wo er in der Versuchsabteilung mit der Optimierung und dem Tuning der 12M-Motoren befasst war. |
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Wachsendes Interesse an schneller Motorradtechnik Nach seiner bestandenen Gesellenprüfung legte er sich mit einer DKW RT 125 sein erstet Motorrad zu. Wie schon immer seit es Motorräder gibt, sind insbesondere die jungen Herren daran interessiert, die Motorleistung zu verbessern. Dieses war natürlich auch bei Reinhard Scholtis ein frühes Thema. Mit seinem technischen Hintergrundwissen, seinem Erfindergeist und Eifer erkannte er bald die Möglichkeiten dieses Motors und auch die in seinem langen Hub und den hohen „oszillierenden Massenkräften“ begründeten Grenzen. Eine bessere Basis bot die 1958 angeschaffte DKW 200 S mit Telegabel und Hinterradschwinge. Wann immer es die Familie und die Zeit am Wochenende zuließen, fuhr er damit zum Nürburgring, um das Fahrkönnen zu trainieren und die nach oben verschobenen Grenzen des Fahrzeugs mit Freude und Lust zu studieren. Ab 1962 aktiver Rennsport mit selbst weiterentwickelten Motorrädern Sein erstes Motorradrennen fand mit der „selbstgebastelten Adler MB“ 1962 auf der alten Südschleife des Nürburgringes statt. Im Ergebnis war es ein beachtlicher 5. Platz. Die Adler AG hatte nach dem Zweiten Weltkrieg nur in der kurzen Zeit von 1946 bis 1957 Motorräder gebaut. Dabei kam es dem Unternehmen vor allem darauf an, qualitativ hochwertige Motorräder mit Zweitaktmotoren zu bauen. Ein sehr niedriger Verkaufspreis war da von untergeordneterer Bedeutung. Insbesondere setzten die Adlermotoren mit ihrer Technik und ihrem Leistungsvermögen nachhaltig Maßstäbe. Das Leistungs- und Entwicklungspotenzial dieser Motorräder hatte auch Scholtis schon sehr früh erkannt und die Motoren zunächst getunt. Später gingen die Umbaumaßnahmen von Motor und Fahrwerk jedoch so weit, dass man schon nicht mehr von Tuning der Adler-Motoren reden durfte sondern von einer Weiterentwicklung reden musste, die sich so sehr verselbständigt hatte, dass seine Rennmaschinen unter den Markenbezeichnungen „Eigenbau“ geführt wurden. 1963 hatte er den Rahmen einer schnellen wie auch seltenen Adler Sprinter erwerben können. An diesem änderte er nach seinen eigenen Erfahrungen und Vorstellungen die Rahmenrohre, verbesserte die gesamte Fahrwerksgeometrie und baute sowohl die Telegabel der DKW 200 S als auch den weiterentwickelten Adler MB 250 Motor ein. An diesem Motor waren die Kanäle strömungstechnisch optimiert worden. Außerdem wurden Hilfskanäle in die Zylinderlaufbahn eingebracht. Die Kolben erhielten zusätzliche kleine Fenster. Damit die Kolbenringe an denn vergrößerten Steuerschlitzen des Zweitaktmotors nicht zerbrachen, waren die Fensterkanten sorgfältig gefast und zusätzliche Führungsstege eingelötet worden. Bei der Kanalgestaltung war ihm das, was er in der Maschinenbauschule zum Thema Strömungslehre gelernt hatte, sehr wichtig und hilfreich. Beim
Juniorenpokallauf 1963 auf dem Hockenheimring errang er einen
beachtlichen 8. Platz. Insbesondere vor den Rennen auf der Avus in Berlin, wo es sehr viel auf die erreichbare und somit auf Motorleistung ankam, waren als Vorbereitung regelmäßig gründliche Testfahrten erforderlich. Wer wie Reinhard Scholtis in Köln lebte und nur nach Feierabend an seinem Renner technische Entwicklung betreiben konnte, für den kam als Teststrecke nur die Autobahn zwischen Köln und Aachen in Frage. Die Testfahrten erfolgten nachmittags in voller Rennausrüstung inklusive Startnummer. Den Umgang mit noch gefährlicheren Abenteuern war Reinhard Scholtis ja leider schon aus den Jahren 1944 bis 1946 in und um Danzig gewohnt. Dennoch wollte er seinen Führerschein nicht leichtfertig gefährden und musste bei diesen „Testfahrten“ in jeglicher Hinsicht auf der Hut sein. Mit dem 1966 noch luftgekühlten Motor gewann er sowohl das internationale Frühjahrsrennen auf der Berliner Avus durch einem spektakulären Start-Ziel-Sieg als auch das internationale Herbstrennen. Im Jahre 1967 wiederholten sich diese Erfolgsserie auf der Avus. Noch heute hat Scholtis den Satz des damaligen Steckensprechers im Ohr: „Der Bleistift, der bügelt hier alles platt!“, und auch wie der von einem „abonnierten Sieger“ sprach. Da hatte Scholtis seinen Eigenbau aber schon auf „Teilwasserkühlung“ umgebaut. Dieser sah so aus, dass er um den Graugusszylinder herum einen Kühlmantel aus ST37-Blech hartgelötet hatte. Viele seiner Wettbewerber versuchten dieses ebenfalls, allerdings gelang es den wenigsten mit Erfolg, den Kühlmantel im Bereich der Lötverbindung auch wirklich dicht zu bekommen. Aus der Maschinenbauschule wusste Scholtis um die Abgabe des Kohlenstoffes, wenn er den Grauguss beim Hartlöten zu stark erhitzt. Dann war eine Lötverbindung nämlich nicht mehr möglich. Scholtis wärmte deshalb die Zylinder zum Hartlöten nur langsam bis zum schmalen Temperaturfenster hin an, in dem sich der Grauguss mit dem Tiefziehblech durch ein Silber-Hartlot sicher verbinden ließ. „Das war eine Arbeit, die sehr viele Stunden, oft Tage dauerte“. Der Zylinderkopf war aus Aluguss und blieb deshalb bei diesem Projekt luftgekühlt. Das Kühlwasser zirkulierte nach dem Thermosyphon-Prinzip. Den Einfluss der Auspuffform auf die Leistungsentwicklung des Zweitaktmotors hatte Scholtis ebenfalls in jenen Jahren entdeckt, erkannt und – wie sollte es bei einem guten Autodidakten auch anders sein – weiterentwickelt. Sein Studium der Auspuffbirnen der Rennmaschinen von Yamaha bereiteten ihm zudem die ersten entscheidenden praktischen Erkenntnisse. Bei Scholtis spielte der „Diffusorrückbeschleuniger“ eine große Rolle. Mit den von ihm durch Versuche und Berechnungen entwickelten Auspuffen stemmte sein Motor bereits bei relativ niedrigen Drehzahlen viel Drehmoment, sodass er noch dort mit standfesten 9.000 U/Min auskamen, wo die Konkurrenz mit motormordenden 13.000 U/Min ihr Glück versuchte und oft nach wenigen Runden die Maschine mit Motorschaden am Streckenrand abstellen musste. Klacks schrieb damals begeistert in "Das MOTORRAD": „Die Lock von Scholtis zog alles weg“. Sehr leistungsstarker Eigenbau Der 250er Eigenbau war so leistungsstark und standfest, dass Scholtis sich 1967 einen weiteren Eigenbau herrichtete, und zwar mit 251 ccm Hubraum, um damit in der 350er Klasse starten zu dürfen. Er hatte die 251er „Bleistift-Adler“ zudem mit einem größerem Tank ausgerüstet, um damit an Langstreckenrennen teilnehmen zu können. Bemerkenswert ist hierbei der Umstand, dass seine Eigenbauten auf Adler-Basis nur über ein Vierganggetriebe verfügten. Werksrennmaschinen hatten in dieser Zeit schon regelmäßig sechs Gänge. Beim Rennen 1967 in Hockenheim wurde er jedoch kurz vor dem Start zum Rennleiter Wilhelm Herz zitiert. Dieser eröffnete ihm: „Scholtis, du Simpel! Fahr mit der richtigen Maschine in der richtigen Klasse!“ Hintergrund für diese Ladung zur Rennleitung war der offizielle Protest eines Wettbewerbers, und zwar eines gewissen Dieter Braun, der in dem Jahr mit einer Aermacchi Deutscher Meister in dieser Klasse wurde. Natürlich war ein solcher Protest verständlich, wenn man berücksichtigte dass eine 350er Rennmaschine in der Anschaffung regelmäßig mehr Geld kostete als eine 250er. Aber die 251er Bleistift-Adler war regelkonform.
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Der ehemalige Mechaniker für die Adler-Werksrennmotorräder Willi Klee - genannt „der kleine Willi, Deutschlands größter Schrauber“ - war von Scholtis Adler-Engagement sehr begeistert. Schließlich endete die Geschichte der Motorradmarke Adler schon 1957. „Du hältst wenigstens noch die Adler-Fahnen hoch!“, freute sich Willi Klee immer wieder neu, wenn Scholtis mit seinen Eigenbau-Adlern erschien. Gerne stand „der kleine Willi“ mit Rat, Tat und besonderen Motorenteilen zu Diensten. Nach einem Rennen 1967 auf dem Norisring kletterte Willi Klee für ein abschließendes Siegerfoto zu Scholtis mit aufs Siegerpodest und in den Siegerkranz (Foto und © Walter Kotauschek) |
Klacks war begeistert und traurig zugleich Der wohl bekannteste deutsche Motorrad-Journalist des 20. Jahrhunderts, Ernst „Klacks“ Leverkus widmet der „zivilen Straßensportmaschine“ in Heft 16/1966 der Zeitschrift "Das MOTORRAD" einen begeisterten Artikel unter der Überschrift „Die Scholtis-Adler“. Dieses ist umso beachtlicher, als Klacks für seine kritischen Betrachtungsweisen und Ausführungen bekannt und mitunter gefürchtet war.
Damals stellte er fest, dass Scholtis einer jener begeisterten Adlerfahrer war, „die es nicht wollen, dass diese Konstruktion ausstirbt“ und die sich hartnäckig mit der Weiterentwicklung beschäftigt haben. Klacks: „Beim Bau seiner Straßenrennmaschine machte er so ganz nebenbei sehr viele Erfahrungen, die in seiner Adler heute versammelt sind. Ein so selten schönes Motorrad habe ich lange nicht gesehen und erlebt. Diese Maschine ist der Beweis dafür, daß man mit Geduld, Ruhe, Zähigkeit, handwerklichem Können, Formgefühl auch ohne Riesen-Entwicklungsaufwand ein sportliches Zweitaktmotorrad für die Straße auf die Räder bringen kann. ... Es ist mehr als nur ein >Toller Vogel<!“
Im Grunde war diese zivile Maschine keine andere als seine Eigenbau-Rennmaschine mit dem umgebauten Rahmen, nunmehr einer Telegabel aus einer Ducati, die jedoch noch um 70 mm verkürzt worden war. Der Gusszylinder hatte die besagte Ummantelung erhalten und wurde mit Wasser gekühlt. Für den zivilen Betrieb war die Rennmaschine mit Beleuchtung, Schalldämpfer und Spiegel umgerüstet worden. Mit zusammengefaltetem Scholtis darauf erreichte die Maschine im letzten und vierten Gang eine Spitze von 165 km/h. Das war 1966 eine Geschwindigkeit, die im Übrigen nur mit deutlich hubraumstärkeren Maschinen erreicht werden konnte. Allerdings wogen diese Maschinen dann aber auch mindestens 50 kg mehr. Mit anderen Worten: Die Maschine war sonntags auf der Nürburgring-Nordschleife das ideale Jagdgerät. Scholtis benötigte damit 1966 für die damalige Nordschleifenrunde immer unter 12 Minuten.“
Nachdem Klacks die Maschine studiert und auf dem Nürburgring – seiner „liebsten Teststrecke“ – ausprobiert hatte, resümierte er in MOTORRD, dass er sehr traurig sei und seufzte: „ Mensch, warum haben die Frankfurter (Adler) nicht weitergebaut? Weitergebaut auf den Erfahrungen ihrer wassergekühlten Rennmaschinen wie Reinhard Scholtis? ...“ |
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Scholtis steigt auf japanischen Renntechnik um 1968 war in Deutschland BMW schon lange der einzige Motorradhersteller, der größere Straßenmotorräder baute. Indessen hatten die japanischen Hersteller bereits das wirtschaftliche Zukunftspotenzial des Motorrads gewittert und begannen Motorräder weiter zu entwickeln und zu produzieren. Auch Reinhard Scholtis war 1968 so weit, dass für ihn an dem neuen japanischen Material im Hinblick auf seine motorsportlichen Ambitionen kein Weg mehr vorbei führte. Für die internationalen Wettbewerbe benutze er zunächst eine sogenannte Serienrennmaschine von Yamaha, eine TD1-B mit 250 ccm Hubraum. „Dennoch“, erzählt er heute rückblickend, „mein Eigenbau aus dem Jahr 1967 war stellenweise trotz des Viergangetriebes schneller“. Die TD1-B hatte als Serienrenner zwei Zylinder, wie schon der Adler-Motor, mit dem sich Scholtis ja wie kaum ein anderer auskannte. Es lag nahe, dass er seine Adler-Erfahrungen auch für den Yamaha-Motor nutzte. Die Werksrennmaschinen, mit denen Bill Ivy und Phil Read in jener Zeit bei Rennveranstaltungen unterwegs waren hatten indessen Vierzylindermotoren mit Drehschiebern und „überhaupt eine Technik, an die ein Normalsterblicher nicht heran kam“, erinnert sich Scholtis.
Trotzdem fuhr Scholtis beim WM-Lauf auf der Nürburgring-Südschleife 1968 auf dem 2. Platz lange zwischen Bill Ivy und Phil Read her. „Erst in der 10 Runde konnte es Phil Read gelingen, an mir vorbeizuziehen. In den Kurven war ich deutlich schneller, auf den langen Geraden reichte die Motorleistung jedoch nicht an die der Werksrenner heran“. Es war ein Regenrennen und vielleicht hätte Read auch nicht überholen können, wenn Scholtis rechter Zylinder keine Aussetzer bekommen hätte. Trotz dieser Aussetzer blieb dann der schwedische spätere zweifache Weltmeister Kent Anderson noch lange in seinem Windschatten, bis der rechte Zylinder und damit das Rennen für Scholtis ganz ausfielen. Später stellte sich heraus, dass der Kerzenstecker des rechten Zylinders undicht war und das eingetretene Regenwasser für den ausbleibenden Zündfunken gesorgt hatte. „Wie wäre das Rennen wohl ausgegangen, wenn ich die Werksmaschine von dem Phil Read gefahren hätte?“, fragt mich Scholtis nach 41 Jahren nicht ohne verständlichen Grund. Manfred Weihe, der damalige Yamaha Generalimporteur für Deutschland trat anschließend an Scholtis heran und bot ihm exklusive eine Yamaha-Rennmaschine an mit der Technik und dem Leistungsniveau ganz nah an dem der Werksrenner. Der Haken für Scholtis waren die 12.000 DM, die er selbst zu dem Projekt beitragen sollte. 1969 startete Scholtis mit einer Kawasaki A1 Samurai von der das Kawasaki-Werk auch die Version einer Serienrennmaschine zu einem deutlich geringeren Preis anbot als Yamaha ihre Serienrenner. Die Zivilversion dieser 250er Kawasaki wog serienmäßig 145 kg, hatte einen luftgekühlten Zweizylinder Zweitaktmotor mit Drehschiebersteuerung und entwickelte für einen so kleinen Motor damals schon sagenhafte 31 PS. Der Motor der Serienrennmaschine hatte nur einige PS mehr. Das war Scholtis natürlich nicht genug. Er ummantelte auch hier die Zylinder für den Wasserkühlungsbetrieb im Thermosyphon-Prinzip, während der Kopf luftgekühlt blieb. Der einzige Motorrad-Grand-Prix-Lauf, an dem Scholtis 1969 mit diesem Motorrad teilnahm war der in Hockenheim. Dort errang er mit der Maschine einen sehr achtbaren 7. Platz. Viel wichtiger war Scholtis aber die Tatsache, dass er mit seinem selbst hergerichteten Motorrad den zu der Zeit aktuellen Kawasaki-Werksfahrer und ehemaligen 125er Weltmeister Dave Simmonds als Konkurrent überrundet hatte. Simmonds zeigte sich sehr beeindruckt von Scholtis Vorstellung und besuchte ihn deshalb nach dem Rennen. Daraus entwickelte sich anschließend eine Freundschaft. Aktiven Motorsport betrieb Scholtis regelmäßig noch bis 1974 mit der legendären Yamaha TZ 750 und mit Kawasaki-Serienrennmaschinen; danach nahm er bis zum Jahre 1982 nur noch vereinzelt an Rennveranstaltungen teil und errang dabei noch viele nationale und internationale Erfolge. Die zahlreichen Pokale und Siegerkränze in seiner Bastelecke zeugen davon. Anfang der 1970er Jahre gehörte er in Deutschland zu den Kawasaki-Händlern der ersten Stunde. Leider musste im Juni 1974 die bis dahin hoch angesehene Privatbank Herstatt Insolvenz anmelden – die erste und einzige richtige Bankenpleite in Deutschland bisher. Reinhard Scholtis war von diesem Ereignis in einer Weise betroffen, dass er seine Lebensplanung gänzlich umstellen musste.
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Amateur-Motorsportler Es ist überhaupt kein Wunder und darf in Anbetracht alleine des finanzellen Aufwandes eines Werksteams auch erwartet werden, dass professionelle Rennfahrer auf Werksmaterial Meisterschaften gewinnen. Gemessen am herausgefahrenen absoluten Ergebnis können und sollen sich dafür auch Zuschauer begeistern. Daran besteht gar kein Zweifel. Im
Wettbewerb mit Amateuren – Privatfahrer wie Reinhard
Scholtis waren ja nie etwas anderes – dürfen die
Umstände und Voraussetzungen, die zu dem absoluten
Rennergebnis geführt haben, nicht aus dem Blick gelassen
werden. Der Einsatz an Idealismus, an Zeit, Geld und Verständnis
der Familie ist bei vielen Privatfahrern außerordentlich
hoch. Das dann immer noch absolut bessere Ergebnis des Werksteams
darf dann im Sinne der Sportlichkeit nicht in dieselbe Waagschale
geworfen werden. Die besondere Leistung von Reinhard Scholtis besteht darin, dass er alleine als Privatperson neben seiner regulären Berufstätigkeit Motorradtechnik auf hohem Niveau weiterentwickelt hatte, dabei seine Ideen und Theorien in erstklassige handwerkliche Arbeit umsetzte, um letztendlich gute Sporterfolge damit zu erzielen. Scholtis war weder ein professioneller Rennfahrer noch hatte er je das finanzielle Budget eines Motorradwerkes bzw. -herstellers. Der einzige Rennserie, die Reinhard Scholtis gewonnen hatte, war der BMC-Juniorenpokal im Motorrad-Straßenrennsport in der Klasse bis 250 ccm. Darüber hinaus machte er immer wieder mit Rennerfolgen bei internationalen Veranstaltungen auf sich aufmerksam. Hochgelobt von der Fachpresse wurden seine Weiterentwicklungen der Adler- und Kawasaki Motoren. Die regelmäßige Teilnahme an den Läufen zur Weltmeisterschaft ließ ihm sein Budget als Privatperson nicht zu. „Wenn ich schon nur über die Maschine von Read oder Ivy verfügt hätte, deren Technik, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit auf einem ganz anderen Niveau lagen, als meine selbst getunten Maschinen,“ spekuliert Scholtis auch heute noch nicht ohne Wehmut, „ wer weiß was dann noch aus mir geworden wäre?“ Und wie zum eigenen Trost schiebt er sogleich hinterher: „Vielleicht würde ich dann aber auch schon nicht mehr leben, denn ich hatte keine Angst vor dem Risiko.“ Einer solchen Leistung gebührt Respekt!
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Nürburgring-Südschleifenrekord
auf zwei Rädern
Den
ersten absoluten Rundenrekordfuhr für ein Motorrad mit 250
ccm fuhr Scholtis 1968 beim Lauf zur Deutschen Meisterschaft mit
seiner selbst getunten Yamaha TD1. Im Frühjahr 1968 hatte er
auf dem Hockenheimring schon bewiesen, dass er leistungsmäßig
zur Weltspitze gehörte. Auch bei diesem Lauf auf der
Südschleife führte er lange, bis ihn die Technik seiner
Yamaha einmal mehr verließ und er das Rennen nicht zu Ende
fahren konnte. „Die Yamaha war superschnell aber nicht sehr
zuverlässig“, kommentiert Scholtis den Ausfall heute.
Zuvor hatte er mit einer Rundenzeit von 3:09,2 Minuten jedoch
einen weiteren Streckenrekord in der Klasse bis 250 ccm
aufgestellt. |
Und Heute Die „zivile zugelassene“
Straßenmaschine, existiert noch: Sie steht heute als
besonderes Ausstellungsstück im In der Oldtimer-Szene ist Reinhard „Bleistift“ Scholtis auch heute noch ein Begriff. Bei sich zu Hause legt er großen Wert auf seine Bastelecke, wo er gerne an seinem Moped schraubt oder einem seiner vielen Freunde schon einmal in den Motor schaut und bei der Lösung von diversen technischen Problemen behilflich ist. Sein Wissen und seine Erfahrungen zu schnellen Zweitaktmotoren insbesondere der Marken Adler, Yamaha und Kawasaki sind unumstritten. Bei historischen Motorradsportveranstaltungen ist er als Berater sehr gefragt und geschätzt. In der Kölner Szene um historische 50 ccm Motorräder freut man sich, wenn er mit einem „Moped“ dabei ist und sich mit oft mehr als einem Duzend reiferer Herren auf den Weg in Richtung Eifel oder Bergisches Land macht. Dann ist sie bei Reinhard Scholtis wieder ganz da, die reine Freude am Fahren. Man erkennt ihn sofort an seinem Halbschalenhelm, den er bereits bei den Grand-Prix-Läufen vor 40 Jahren trug. Unverkennbar ist er aber auch an seinem Fahrstil: Immer noch so, wie die ganz Schnellen vor 40 Jahren, mit den Knien am Tank und stets nach Möglichkeit der Idealline folgend. Wenn er in die angepeilte Kurve hineinsticht, gehört er zweifellos auch heute noch zu den ganz Schnellen. Reinhard Scholtis ist schon lange unter die Rentner gegangen. Aber die 76 Lebensjahre sieht man ihm nicht an. „Meine Mutter starb 2008 und war Jahrgang 1908“, erzählt mir Scholtis nicht ohne Stolz und Zuversicht. Ich bin mir sicher, dass das Benzin in seinem Blut ihn auch noch mit 89 Jahren so in die Kurven stechen lässt, als wäre er eben erst 19 Jahre alt. Beim Start zur Oldtimer-Vulkanrunde 2009 war Reinhard Scholtis – wie ja oben bereits angekündigt – auch dabei. Zufällig vernahm ich kurz vor der gemeinsamen Abfahrt, wie Gerd Brauneiser einen seiner Florett-Freunde warnend mit erhobenem Zeigefinger ermahnte: „ ... und wenn du zu schnell fährst, dann holt dich der Bleistift!“ |
Besuch des Rennfahrertreffens 2010 in Jammelshofen
Vielleicht gibts ja demnächst hier noch mehr vom Bleistift zu berichten |
Unser ganz besonderer Dank gilt Herrn Walter Kotauschek aus Porz-Grengel, der uns freundlicherweise die Darstellung der von ihm erstellten und urheberrechtlich geschützten Fotos erlaubte
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Swisttal, im Juli 2009, Überarbeitung im April 2010
Text: Hans Peter
Schneider
Fotos: Hans Peter Schneider, Archiv Reinhard Scholtis,
Walter Kotauschek aus Porz-Grengel