Nachlese zu Walter Netterscheids Sport |
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Die Komponenten für den
Erfolg Die Voraussetzungen für erfolgreichen Moto-Cross-Sport lassen sich aus Walter Netterscheids Geschichte erschließen. Wer sich in diesem Sport betätigen will oder noch weitergehender dafür interessiert, dem sind sie im Einzelnen nachfolgend nochmals erläutert. Lust am Fahren oder „Geschwindigkeitsrausch“ Wer nicht gerne fährt, wer nur von A nach B gelangen will, wird nie eine Beziehung zum Moto-Cross-Sport finden. Denn hierbei geht es wie bei allen Sportarten, um die Lust an der Bewegung an sich, am schnellen Fahren in schwierigem Gelände. Studierte Menschen ohne Bezug zum Motorsport sprechen hier gerne vom „Geschwindigkeitsrausch“. Wer diesen Sport ernsthaft betreibt, kann berauscht allenfalls seinen Untergang finden. Berauschtheit und Fahrkunst lassen sich nicht unter einen Hut bringen. Die Lust am Fahren zeichnet sich auch durch einen Feinsinn des Fahrens aus, für sein Fahrzeug, für die Fahrstrecke, den Fahrstil und den Wettbewerb. Wenn aber sodann alle diese Dinge in einem Glückserlebnis miteinander verschmelzen, dann hat das für den Fahrer so etwas wie eine orgiastische Dimension erreicht. Am deutlichsten wird dieses Erlebnis im gefahrenen Zweikampf mit dem Wettbewerber: dann gelingen die Sprünge und die Drifts viel idealer als beim Training alleine auf der Strecke. Feinsinn fürs Fahrzeug und die Strecke sind dann im hochkonzentrierten Fahrer auf höchstem Niveau. Das macht Freude, das macht Lust. Im Fahrerlager wird hierfür gerne das einfacherere aber nicht weniger bezeichnende Wort „Fahrgeilheit“ benutzt. Fahrkunst – immer am Limit entlang Moto-Cross-Fahren ist zweifellos eine Kunst. Um diese zu beherrschen benötigt man zunächst ein natürliches fahrerisches Talent, das sehr viel mit Körperbeherrschung und Fahrgefühl zu tun hat. Wie jede Kunst ist auch Moto-Cross-Fahren erlernbar. Dabei geht es darum, sich in den vielen möglichen Fahrsituationen im Grenbereich regelrecht zu erfahren. Wenn die Maschine etwa einmal rutscht oder etwas Unvorhergesehenes dazwischen kommen sollte, dann eben nicht zu erschrecken und vor Angst zu erlahmen. Vieles und systematisches Training führt letztendlich dazu, in solchen kritischen Fahrsituationen sich ohne lange nachdenken zu müssen quasi aus den Reflexen heraus richtig verhält, ohne in sein Verderben zu rasen. Die vorhandenen Grenzen kennen zu lernen, diese nach oben zu verschieben und voller Respekt mit ihnen umzugehen. Aber auch in der Nähe zu diesen Grenzen nichts zu verschenken. Jeder Sturz ist dabei ein Merkmal dafür, diese Grenze überschritten zu haben. Ein Meister ist bekanntlich noch nie vom Himmel gefallen, die haben alle sehr viel geübt. Je meisterhafter, je leichter und eleganter die Kunst des Meisters aussieht – dazu zählt auch die Fahrkunst - um so mehr mühselige Übung steckt dahinter und nicht selten auch manch bittere und schmerzhafte Erfahrung. Deshalb ist die Freude - oder wie Walter Netterscheid einmal sagte, „die Fahrgeilheit“ - an diesem Sport außerordentlich wichtig, denn ohne diese reicht die Motivation schon nicht für ein ernsthaftes und erbauliches Training aus.
Körperlicher Hochleistungssport Wer selbst schon einmal im Gelände mit einem Motorrad richtig schnell gefahren ist, der weiß, was das heißt: Die Sitzbank ist keine Ruhestätte, sondern integraler Bestandteil des Sportgerätes Motorrad; mit dem wird sich konzentriert und hart an der Grenze des Möglichen entlang so schnell wie möglich gefahren, und zwar auf dem Hinterrad, in der Luft und quer driftend, und auf dem Vorderrad, keinen Bruchteil einer Sekunde zu spät am Gas und dieses so lange und so viel wie möglich geöffnet halten, dann bremsen im letzten Moment und das zwangsweise dann so heftig, so total und so gefühlvoll wie möglich um im nächsten Moment wieder voll am Gas zu drehen und so weiter und so fort eine halbe Stunde plus zwei Runden lang. Wer das schon praktiziert hat, der weiß von welcher extremen körperlichen Anstrengung hier die Rede ist. Genau genommen geht es beim Moto-Cross-Fahren ständig um Kniebeugen, Klimmzüge, Liegestützen und den festen Haltegriff für die Hände. Hinzu kommt die schnelle Analyse der Fahrsituation und die schnelle Entscheidung für das nächste Fahrmanöver. Geht die Kondition verloren oder ist der Körper durch eine Verletzung gehandikapt, dann ist das Gefühl fürs Gasgeben und fürs Gas zurücknehmen aber auch fürs effektive und gefühlvolle Bremsen verloren. Wer in dem Zustand schwindender Kondition so weiterfährt, wie in der ersten Runde, verpasst unbedingt die oben genannte Grenze und landet mit einigem Glück nur schnell im „Dreck“. Ohne körperliche Fitness geht im Moto-Cross-Sport gar nichts. Für einen erfolgsorienterten Wettbewerbsfahrer ist sie eine ständige Baustelle. Das Motorrad Ohne dass die vorgenannten Dinge erfüllt sind, nutzt selbst das beste Motorrad nichts auf dem Weg zum Erfolg im Moto-Cross. Die Technik spielt hier nicht so sehr die entscheidende Rolle, wie etwa im Straßenrennsport. Die Fahrkunst muss schon sehr weit entwickelt sein, um mehr als 20 PS mit einem Solomotorrad auf auf einer Moto-Cross-Piste effektiv in Vortrieb umzusetzen. Aber auch im Moto-Cross dürfen Motor und Fahrwerk der Rennmaschine in ihren Qualitäten nicht sehr viel schlechter sein, als bei den Motorrädern der ernsthaften Konkurrenten, und auch die suchen ständig daran, mit verbesserter Technik einen Vorsprung im Wettbewerb zu erreichen.
Erfolg und Niederlage - Glück und Unglück Gewinnen kann immer nur einer, und wo der ist, sind meistens viele Verlierer. Trotz bester Vorbereitungen und höchstem Engagement können unglückliche Umstände alle Hoffnungen auf einen Erfolg zunichte machen. Wer Moto-Cross auf hohem Niveau betreibt, kann in der Regel auf eine recht umfangreiche Geschichte seine Niederlagen zurückblicken. Die hier dargelegte Geschichte Walter Netterscheids erzählt mehr von den schönen Erlebnissen bzw. von den Highlights. Es sind ja auch die schönen Dinge im Leben, woran der Mensch sich von Natur aus am besten, am längsten und am liebsten erinnert. Ein charakterlich gefestigter Sportler mag sich zwar nach außen hin sichtbar über Niederlagen durch unglückliche Umstände ärgern, ihn zeichnet jedoch aus, dass er am Ende nicht daran zerbricht indem er damit umzugehen versteht. Man könnte auch sagen, dass die Frustrationstoleranz schon sehr groß sein muss, aber ohne das eigene Erfolgsziel aus den Augen zu verlieren. Der unglückliche Misserfolg hindert einen wahrhaften Sportler grundsätzlich nicht daran, den glücklichen Gewinner zu seinem Sieg zu gratulieren, denn der hat seine unglücklichen Momente zu anderen Zeiten. Im Rheinland gibt es hierzu den Satz: „Man muss auch gönnen können!“. Auffallend beim Moto-Cross ist, dass die Fahrer sich im Fahrerlager zu einem außerordentlich großen Teil sehr gut untereinander verstehen. Wenn etwa einmal zu Netterscheids aktiven Zeiten ein Fahrer technisches Pech hatte, dann war es selbstverständlich, dem ein ggf. vorhandenes und benötigtes Ersatzteil zu überlassen, auch auf die Gefahr hin, eben deshalb im nachfolgenden Rennen von diesem Beschenkten geschlagen zu werden. Hart gerungen wird nur auf der Strecke. Moto-Cross-Sport definiert auch auf diese Weise Glück.
Zeitökonomie und Opportunitätskosten Bekanntlich hat der Tag nur 24 Stunden und die Woche hat sieben Tage usw. Auch ist es nicht möglich, alles zu haben. Moto-Cross-Fahren auf höchstem Niveau fordert sehr viel zeitliche Hingabe: Zeit fürs Training, fürs Pflegen und Richten der Technik und für die Rennerei selbst. Das ist genau die Zeit, die dann für andere Dinge fehlt, weil es ja schon wieder 24:00 Uhr ist und bis zum Weckerklingeln um 6:00 Uhr auch noch etwas geschlafen werden muss. Alle die Dinge, die wegen solcher Hingabe zu kurz kommen, definiert ein Kaufmann mit Opportunitätskosten, die sich durchaus in Heller und Pfennig kalkulieren lassen. Die Toleranz der Nächsten Der Mensch lebt bekanntlich in und aus Beziehungen. Auch ein Moto-Cross treibender Mensch ist auf die Beziehungen zu seinen nächsten Mitmenschen angewiesen. „Die lieben Mitmenschen, Partner, Familie um mich herum, die mich brauchen und die ich brauche“, die sind hiermit gemeint. Wenn ich so viel Zeit, Geld und körperlichen Einsatz für den Moto-Cross-Sport aufwende, dann ist es wichtig, dass die Menschen, mit denen ich in einer Beziehung lebe, die ich liebe und die mich lieben, mich auch mit allen meinen Leidenschaften mögen und diese mit mir gemeinsam tragen. Clubmitgliedschaft Alle Rennveranstaltungen sind über Clubs bzw. Vereine organisiert. Die Clubs alleine sind auch nur in der Lage, Trainingsgelände zu unterhalten und sie sind der Ort, wo sich viele Gleichgesinnte zusammenfinden. Von den älteren und erfahreneren Sportlern kann der jüngere lernen und die Zeit der eigenen Erfahrungsfindung verkürzen; hier findet er Kompetenz, Freunde und Helfer. Leider leiden in diesem Jahrtausend die Moto-Cross-Clubs wie auch viele andere Vereine zunehmend an einer Vergreisung und einem Mitgliederschwund. Es gibt zwar viele, welche die Freiheit des Fahrens auf einem Motorrad lustvoll genießen wollen, aber immer weniger sind bereit, in einem Club/Verein eine Aufgabe, eine Funktion oder Verantwortung zu übernehmen. An einer Moto-Cross-Strecke ist insbesondere vor einem Rennen immer viel an Arbeit zu leisten. Wenn Moto-Cross-Sport gelingen soll, bedarf es leistungsfähiger Clubs, in denen sich Begeisterte auch für die Leistungen des Clubs einbringen. Wenn alle nur Leistung vom Club abrufen wollen, ohne selbst eine solche für den Club zu erbringen, ist das Ende dieses Sports schon eingeläutet.
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Netterscheid/Peppinghaus bei einer Flugeinlage im Rahmen eines internationalen Rennens
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Walter Netterscheid Walter
Netterscheid war nicht von Anbeginn an der Meister. Zwar hatte er
sein ersten Rennen als Fahrer schon mit einem ersten Platz
abgeschlossen, seine großen Erfolge und seine Anerkennung
in diesem Sport hatte er sich dennoch über viele Jahre
harten Trainings, Geld, Entbehrungen, Zeit und noch mehr Zeit,
Niederlagen, Stürzen, Verletzungen mühsam errungen. Es
war nicht nur ein Ringen mit den Wettbewerbern auf der Strecke
sondern vielmehr auch ein Ringen mit den Begrenztheiten des
Lebens, die jeder aus seiner eigenen Geschichte auch kennt.
Geholfen hatte ihm dabei seine Begeisterung für diesen
Sport, sein Fahrtalent, sein Mut sowohl beim Fahren als auch bei
der Verfolgung neuer Ideen und sein Durchhaltevermögen.
Seine ruhige, bescheidene, offene und ehrliche Art haben dazu
beigetragen, dass sich viele nette Menschen mit ihm zusammengetan
haben, um ihn zu unterstützen und gemeinsam mit ihm Erfolg
und Freude zu finden: Seine Familie, Clubmitglieder, Nachbarn und
viele Freunde. „Lust, noch mal so richtig an einem Wettbewerb teilzunehmen, habe ich nach 1994 nicht mehr verspürt“, erzählte mir Walter Netterscheid. Aber nur so aus Lust an der Freude und ohne ernsthaften Wettbewerbsdruck hin und wieder noch mal zu fahren, das könne schon Spaß machen. Mit Hans Georg Peppinghaus „Peppi“ sei er aus diesem Grund 1995 noch mal in ein Gespann gestiegen und habe in Euenheim - mehr aus Spaß - an einem Rennen teilgenommen. Einmal habe er auch auch bei einem Oldtimer-Moto-Cross mitgemacht und mit einem Quad sei er auch schon ein Rennen gefahren. Das Kapitel aktiver Rennfahrer, so wie er es bis 1994 konsequent praktiziert habe, sei für ihn aber abgeschlossen. Heute fährt er immer wieder gerne noch zu dem einen oder anderen Moto-Cross-Rennen. „Gute Rennen mit schnellen Leuten“ schaut er sich gerne an. Versuch einer Bewertung Wenn man sich die Geschichte Walter Netterscheids betrachtet, dann fällt zunächst einmal auf, dass sein außerordentlicher Erfolg einzig und alleine aus seinem eigenen Antrieb erwachsen ist. Seine Eltern ließen es zwar zu, dass er schon mit 16 Jahren im Beiwagen eines Renngespannes mitfuhr, jedoch waren die Eltern nicht so ehrgeizig, dass sie ihrem Sohn schon im zarten Alter von 12 Jahren eine kleine Moto-Cross-Maschine kauften, für ihn ein strenges Trainingsprogramm erarbeiteten und dafür sorgten, dass er die körperliche Fitness und das Training erlangte, um in so jungen Jahren auch schon Rennveranstaltungen gewinnen zu können und so seine Karriere vorzubereiten. In der Geschichte des Moto-Cross-Sports gibt es hierzu viele ältere und noch mehr jüngere Beispiel genug. Finanziell musste er bis 1985 fast gänzlich aus den Mitteln schöpfen, die ihm mit seinem eigenen Einkommen als Heizungsbauer zur Verfügung standen. Den „Profi-Status“ erlangte er erst, nachdem er als Amateur bereits Vizeweltmeister geworden war. Im ersten Jahr seines Profistandes haderte er mit dem Fahrwerk, mit dem er nicht richtig zurecht kam. Seine Verletzung 1992 mit dem bis weit in 1993 andauernden Heilungsprozess ließ ihn diese Möglichkeiten des Profi-Status nicht vollends ausschöpfen. Dennoch sind 26 Jahre aktiver Moto-Cross-Sport schon mehr als ein viertel Jahrhundert. Auch wenn ihm der Titel des Weltmeisters verwehrt blieb, sind seine sportlichen Erfolge außerordentlich. Axel Koenigsbeck – ein Kenner der Gespannszene, wie sonst niemand – bezeichnete Netterscheid 1994 als den „erfolgreichsten Seitenwagen-Crosser aus der Gespannszene“ und als der „selbst im härtesten Fight besonnene und absolut faire Netterscheid ...“. Wenn man Erfolg nicht nur über die Platzierung definiert, sondern auch noch über Charakter und Fairness, dann steht Walter Netterscheid ganz groß da. Und wenn sein Club, der MSC-Euenheim, traditionell am 1. Mai eines jeden Jahres sein Moto-Cross veranstaltet – 2011 müsste es die 49. Veranstaltung dieses Clubs sein - dann nimmt Walter Netterscheid sich ggf. extra ein paar Tage Urlaub, um mit an der Strecke zu arbeiten und so für eine gelungene Rennveranstaltung zu sorgen. Hört, hört denke ich mir da, als er mir das erzählt: Da ist der sechsfache Deutsche Meister und Vizeweltmeister sich selbst nicht zu schade, Urlaubstage mit Schaufel, Spitzhacke und Hammer in Arbeit für seinen Club zu investieren. Noch eine Danksagung am Schluss Walter und seiner Frau Angelika lag sehr viel daran, dass ich in dieser Geschichte über ihn und sein Team auch deren Dank dafür zum Ausdruck bringen sollte. Das ist wohl typisch für die beiden. Wenn ich das hiermit tue, dann nicht ohne den Hinweis, dass mir dieser Aufsatz eine Ehre und Freude war, auch wenn ich annähernd 300 Stunden daran gearbeitet habe. Buschhoven, im Januar 2011 Hans Peter Schneider |
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