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Walter Netterscheid
Moto-Cross auf höchstem Niveau

Aus dem Alltag eines Rennfahrers


Im Fahrerlager ging es familiär zu. Rivalitäten gab es ausschließlich auf der Rennstrecke Foto: Agnes Overkamp©

Von Seitenwagen-Moto-Cross alleine kann niemand leben
Unter dem Abschnitt über die Sponsoren ist schon dargelegt, dass diese Art von Motorsport ständig Geld kostet. Selbst die Spitzenfahrer um die Weltmeisterschaft können nicht alleine von den Sponsorgeldern, Siegesprämien und Startgeldern leben. Deshalb gehen auch heute noch alle Akteure einem Beruf nach und fahren in ihrer Freizeit und in ihrem Urlaub um Weltmeisterschaftspunkte. Beim Moto-Cross-Gespannsport haben wir es mit echtem Amateursport zu tun. Dementsprechend gestaltete sich der Alltag der Netterscheids als typisch auch für viele andere WM-Teilnehmer in dieser Sportart.


Ehrenrunde nach dem DM-Lauf in Gießen 1988. Der dreijährige Patrick ist mit dabei Foto: Axel Koenigsbeck©

Außer dem Beruf und dem Moto-Cross-Fahren war sonst kaum etwas möglich
In der Woche über wurde von 8:00 Uhr bis 17:00 Uhr dem Beruf nachgegangen und die Wochenenden von März bis Oktober war Renneinsatz. Hinzu kamen noch einige Trainingswochenenden im Januar und im Februar. Von den 52 Wochenenden eines Jahres war Walter Netterscheid mindestens 30 Wochenenden nicht zu Hause. In seiner aktiven Moto-Cross-Zeit war er etwa 500.000 km zu irgendwelchen Rennpisten zwischen Finnland, Dänemark, Tschechien oder Portugal unterwegs. „Zwölf Jahre lang wurde der komplette Urlaub für An- und Abreisen zu fernen Rennveranstaltungen verbraucht. Ein anderweitiger Urlaub war nicht drinnen“. Und wenn Netterscheid von seinem Beruf als angestellter Heizungsbauer in der Woche gegen 17:00 Uhr Feierabend gemacht hatte, dann fing für ihn die Arbeit zu Hause am Motorrad erst an. Es gab immer etwas zu schrauben, zu reparieren und vorzubereiten sowohl am Gespann und/oder auch am Transporter und die nächste Veranstaltung musste geplant und vorbereitet werden: Welche Streckenverhältnisse sind da, wie ist das Klima, welche Einstellungen braucht der Motor, welche Reifen das Gespann und ist der Transporter fit für die Tour. Es kam auch schon einmal vor, dass bei einem Rennen der Motor im Gespann einen Totalschaden erlitt und der Ersatzmotor ebenfalls. Bei der etwa 1.000 km weiten Heimreise ging dann auch noch der Motor des Transportbusses kaputt und am nächsten Wochenende stand dann schon der nächste WM-Lauf in Italien statt, wo man unter diesen Umständen erst einmal hingelangen musste und natürlich nur mit einem intakten Gespann das Rennen bestreiten konnte. Der Stress war unter solchen Umständen andauernd und hoch.


Der Transport-Bus musste mit Plan und Sorgfalt gerüstet werden

Ein Leben fast wie im Zirkus
So etwas ist nur möglich, wenn die ganze Familie das positiv mitmachte, sowohl seine Frau Angelika als auch Sohn Patrick. Angelika wusste schon bei der Hochzeit, auf wen und was sie sich da einließ. Sie trug die Leidenschaft ihres Mannes mit, sie übernahm im Rennteam die Aufgaben rund um das leibliche Wohl , sorgte für Ordnung Lager an der Rennpiste und dachte an die tausend Kleinigkeiten, an die sonst niemand dachte, weil sie wegen Angelikas Vorsorge funktionierten. In der Woche über erledigte sie den nicht unerheblichen „Papierkram“. Sohn Patrick kam 1985 zur Welt, dem Jahr, als Walter Netterscheid erstmals Deutscher Meister wurde. Vor Patricks Geburt war sie bei jedem Rennen ihres Mannes dabei. Acht Monate musste sie mit diesen Rennaktionen wegen der Geburt ihres Sohnes aussetzen. Dann hatte Walter aber auch schon einen großen Wohnwagen für das wochenendliches Zuhause seiner gewachsenen Familie gekauft. Der Wohnwagen wurde fortan hinter den Transportbus gehängt.

Kein Wunder also, dass sein Sohn Patrick bis zu seinem neuten Lebensjahr von März bis Oktober kein anderes Leben, als an Wochenenden mit den Eltern irgendwo in einem Fahrerlager mit dem Wohnwagen zu kampieren. Bei schönem Wetter hatte er das Fahrerlager als Spielplatz und bei schlechtem Wetter hielt man sich mehr im beengten Wohnwagen auf. Anderer Rennfahrer machten es nicht anders und so machte Patrick auch Bekanntschaft und Freunde mit manch anderem Rennfahrerkind. Im Fahrerlager war Patrick fast so bekannt wie sein Vater.

Zu Hause hatte Patrick sich indessen daran gewöhnt, dass sein Vater abends unter seinem Schlafzimmerfenster schon mal den Rennmotor laufen lassen musste, um etwas auszuprobieren. Das konnte ihn aber nie in seinem Schlaf stören. Einige entferntere Nachbarn zeigten sich da schon mal etwas sensibler.


Die Herrichtung des Gespanns an Wochentagabenden
gehörte für Sohn Patrick zum ganz normalen Alltag,
an dem er sich auf seine Weise beteiligte

Familiäres Fahrerlager
Die Leute, die sich Wochenende für Wochenende immer wieder in einem anderen Fahrerlager nach oft langer Anfahrstrecke trafen waren in der Regel die selben. Man kannte sich mit denen so gut aus wie mit den Nachbarn zu Hause. So war es auch nicht verwunderlich, dass der gerade vierjährige Patrick eines Tages von Reinhard Böhlers Frau ein paar Moto-Cross-Stiefel geschenkt bekam.

So richtig gemütlich konnten die lauen Samstagabende im Sommer sein. Da saß man dann mit den Leuten des Teams oder auch noch mit den Leuten der anderen Wettbewerberteams zusammen und hatte viel Lustiges und Abenteuerliches zu erzählen. Im Fahrerlager verstanden sich die Teams immer gut untereinander, gekämpft wurde ausschließlich auf der Piste während der Rennläufe.


Von März bis Oktober waren an Wochenenden die Fahrerlager das Zuhause der Familie

Vor und nach den Renntagen war immer An- und Abreisestress angesagt. Die Fahrt von Buschhoven bis nach Portugal dauerte mit dem schwerfälligen Transport-Bus etwa 30 Stunden, aber das auch nur, wenn im Schichtbetrieb durchgefahren wurde. Die Fahrt nach Finnland war ähnlich langwierig und bei der Fahrt nach England musste der Fahrplan der Fähre in die Planung mit einbezogen werden. Dann musste man sich entweder beeilen, abends noch die letzte Fähre zu erwischen oder noch viele Stunden bis zur nächste Fähre abzuwarten. Dramatisch wurde es immer dann, wenn am Transporter eine Panne eintrat, die selbst nicht repariert werden konnte. So hatte es das Team einmal mit dem Transport-Bus sehr eilig, noch die letzte Fähre von Dover nach Calais zu erreichen. Da ging einige Kilometer vor Dover zu allem Unglück die Windschutzscheibe aus Sekuritglas _ Verbundglasscheiben war damals noch eher selten, bestimmt in einem Transporter – zu Bruch und zerfiel Tausende kleine Teilchen. Bei den anschließenden Aufräumarbeiten riss der Wind auch noch die Tickets für die Fähre fort. Zum Glück waren die Fährleute kulant und brachten das Team auch ohne Ticket über den Kanal und es regnete auch nicht bis nach Hause.


Familienleben im Fahrerlager mit Besuch und Kinderspiel

Die An- und Abfahrten zu den Läufen zur Deutschen Meisterschaft waren gegenüber denen zu den WM-Läufen schon fast wie Sonntagsausflüge: Samstags wurde angereist und sonntags ging es nac Hause zurück, wo man dann irgendwann in der Nacht anlangte. Nicht selten konnten die Netterscheids sich erst gegen 5:00 Uhr morgens die Bettdecke überziehen, und das dann mit dem Wissen, dass um 7:00 Uhr schon der Wecker klingelt, denn um 8:00 Uhr musste Walter Netterscheid schon wieder seinem Beruf als Heizungsbauer nachgehen.

Die positiven Erlebnisse aus ihrem Moto-Cross-Sport wogen für die Netterscheids jedoch mehr als alle die Belastungen und Einschränkungen des täglichen Lebens. Hauptsache war immer, dass das Motorrad gut lief und man einen Rennerfolg davontragen konnte. Ganz bestimmt hat diese Art von gemeinsam erlebtem Sport in dieser „Zirkuswelt“ mit zum Zusammenhalt des Teams beigetragen.


Was Moto Cross für seinen Vater bedeutete, erfuhr der Sohn schon quasi von der Wiege an


Mit Spachtel und Unterstützung seines Bären beteiligte sich Patrick schon mit drei Jahren an den Wartungsarbeiten am Gespanns seines superschnellen Vaters. Links sein eigenes Fahrzeug


Die Moto-Cross-Stiefel hatte Sohn Patrick von Ex-Weltmeister Reinhard Böhler geschenkt bekommen. Im Fahrerlager war Patrick so bekannt wie sein Vater und gehörte wie der dazu


Im Fahrelager war sie die Gute Seele des Teams


Das Wochenend-Outfit von März bis Oktober


Aufbruchaktion im Fahrerlager an einem späten Sonntag-Nachmittag 1986. Der Herr mit Bart in der Mitte ist Josef Brockhausen


Agnes Overkamp befasst sich hier mit Patrick Netterscheid


Kinderteam auf WM-reifem VMC Zabel-Renngespann

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