Die
Lehrjahre im Beiwagen |
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Im Anfang war bei Walter Netterscheid die Begeisterung für das Motorrad schlechthin. Typischer junger Bursche Der Ehrgeiz im Umgang mit den alten
Motorrädern hatte damals mehrere Dimensionen: Die erste
bestand darin, „die alte Kiste“ überhaupt zum
Laufen zu bringen; die zweite Dimension war, mit dem alten
Motorrad auch wirklich zu fahren und die dritte, mit dem alten
Stück so außerordentlich gut bzw. schnell zu fahren,
dass die Freunde nicht mehr mithalten konnten. Das sorgte für
Aufmerksamkeit und eine gewisse Spitzenstellung unter den
Gleichaltrigen. Klar waren die fahrerischen Aktivitäten auch aus damaliger Sicht nicht immer „ganz so legal“ und klar auch, dass die Eltern der jungen Burschen sich mitunter Sorgen machten. Aber mit vierzehn oder fünfzehn Jahren sah man solche Aktivitäten mit anderen Augen. Jungen, so die Entwicklungspsychologen, beweisen gerne Mut. Das macht sie unter ihren „Kumpels“ stark und cool. Um echte Männer zu sein, muss man sich beweisen. Und starke Jungs sind auch bei Mädchen besonders beliebt. Ein wieder flott gemachtes Motorrad war dazu noch besser geeignet als nur Zigaretten zu rauchen. |
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Geregelte sportliche Verhältnisse Im Jahre 1969 konnte Walter Netterscheid, wie viele seiner Zeitgenossen, es kaum erwarten, den damaligen Führerschein Klasse vier zu machen, mit dem Kleinkrafträder bis 50 ccm Hubraum gefahren werden durften. Gespart hatte er für was „Richtiges“ und mit dem Zuschuss der Eltern war das eine Kreidler RS. Es war die Zeit in der die Motorradhersteller eigentlich nur noch mit „Fünfzigern“ Geld verdienen konnten. Die Zahl der zugelassenen Motorräder über 50 ccm war 1969 auf annähernd 200.000 geschrumpft. Heute sind deren nach mehreren Boom-Schüben in den alten Bundesländern etwa wieder 2,6 Mio. zugelassen. Walter Netterscheid hatte damals zum Motorrad aber schon eine etwas weitergehende Beziehung: So war im Gegensatz zu den meisten seiner Altergenossen das Motorrad für ihn nicht nur ein Zwischenspiel bis zum Erreichen des 18. Lebensjahres, um sich dann ein Auto „mit vier Rädern und einem Dach über dem Kopf“ zuzulegen. Bemerkenswert war schon Walter Netterscheids außerordentliche Lust am Motorradfahren an sich, und im Besonderen, wenn es durch schwieriges Gelände ging, und zwar so schnell wie möglich, mit Sprüngen, steilen Abfahrten, Kurven und durchdrehendem Hinterrad.
Motorradsport erleben konnte Netterscheid damals auch schon in seinem Heimatort Buschhoven quasi vor der Haustür, wo in den 1960er Jahren auf dem alten Buschhovener Sportplatz neben der B 56 – heute Reitanlage des Buschhovener Reitervereins - regelmäßig Motoball gespielt wurde. Zudem besuchte er schon früh zusammen mit seinem Vater die Moto-Cross-Rennen in der näheren Umgebung, wie etwa in Dom-Esch und in Satzfey. Glück hatte Walter Netterscheid, dass sein Vater ebenfalls Sinn fürs Motorrad hatte. Und dann gab es da in Buschhoven noch den Heinz Montenarh, der seit Ende der 1950er Jahre schon Moto-Cross mit einer Solomaschine fuhr. Der trug in den 1960er Jahren mit dazu bei, dass in Buschhoven ein Moto-Cross-Club gegründet wurde. Mitglieder darin waren unter anderen ein Hans Mans und Wolfgang von Kienzel. Durch letzteren war es möglich, Trainingsfahrten in der der Familie von Kienzel gehörenden Kiesgrube zu veranstalten, die zwischen der Kreuzung „An den vier Bänken“ und Miel lag, wo heute die Müllumladestation der RSAG zu finden ist. Im Buschhovener Motocross-Club war sozial eingestellt: So durften Lehrlinge – heute Auszubildende genannt - wegen ihres bekanntermaßen bescheidenen Einkommens beitragsfrei Mitglied werden. Diese Möglichkeit nahm Walter Netterscheid schon früh wahr und es entwickelte rasch eine freundschaftliche und fruchtbare Beziehung zu dem oben genannten Heinz Montenarh, der in Buschhoven im Rosenweg sein Haus hatte. |
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Erste Erfahrungen als Beifahrer in Gespann Montenarhs aktiv Moto-Cross-Laufbahn mit Solomaschinen fand, durchweg auf Viertaktmaschinen der Marken BSA und Triumph statt, letztere auch mit Zweizylinder-Motoren. Ende der 1960er Jahre war Montenarh schon über vierzig Jahre alt. Er hatte schon festgestellt, dass inzwischen den jüngeren Wettbewerbern gute Platzierungen leichter fielen als ihm. Das lag wesentlich an der hohen körperlichen Beanspruchung des Moto-Cross-Sportes und da hatten die Zwanzigjährigen einfach mehr jugendlichen Elan, mehr Ausdauer und körperliche „Kondition“. Heinz Montenarh nahm an Rennen teil, die dem DAMCV angeschlossene Vereine veranstalteten. In diesem Motorsport-Verband hatte sich in jenen Jahren eine neue Klasse im Moto-Cross-Sport etabliert: Das war die Klasse für die Gespanne. Mehrere Sportsfreunde, mit denen Montenarh in früheren Jahren auf den Solomaschinen um die Wette gefahren war, hatten sich inzwischen eine motocrossfähiges Gespann zugelegt und fanden das weniger anstrengend als Moto-Cross mit der Solomaschine. Die erforderlichen Beifahrer, für die körperlich anstrengenden Turnereien im Boot rekrutierten sich aus motorradsportbegeisterten, konditionsstarken jungen Männern. Montenarh als der alterfahrene Crosser, fuhr indessen im eigentlichen Sinne das Gespann, hatte sozusagen die Erfahrung in der Herrschaft über Gas, Lenker und Bremse. Dabei rechnete er für sich wohl damit, bei einem geringeren körperlichen Einsatz so manches Mal wieder aufs berühmte Siegertreppchen fahren zu können. Der motorradbegeisterte Walter Netterscheid und Heinz Montenarh, der beim Moto-Cross in der noch jungen Gespannklasse weitermachen wollte, kamen darin überein, dass Walter ab 1969 sein Beifahrer im Boot seines Gespannes wurde. Glücklicherweise hatte Walter Netterscheids Vater problemlos die Unterschrift geleistet, die Heinz Montenarh für seinen damals erst sechszehnjährigen Beifahrer in seinem Renngespann benötigte. Heinz Montenarh startete 1969 mit einer Zweizylinder- Norton Commando mit 750 ccm Hubraum, an die er sich selbst einen Beiwagen in der Schlosserwerkstatt seines Arbeitgebers, der Fa. Andernach in Beuel, gebaut hatte. Diese Zeit als Beifahrer dauerte drei Jahre, also bis 1971. „Heinz Montenarh war im Moto-Cross-Sport erfahren, verfügte im Verhältnis zur Konkurrenz immer über erstklassiges Maschinenmaterial, das stets bestens in Schuss war“, so Walter Netterscheid heute. Damit holten sich beide die eine oder andere Siegtrophäe. Ende 1971 hatten Montenarh und Netterscheid aber beide keine so rechte Lust mehr: Netterscheid wollte lieber selbst und schneller fahren als Montenarh und letzterer hatte nach so vielen aktiven Jahren dann doch „satt und genug vom Moto-Cross“. Er wollte seine Freizeit etwas beschaulicher gestalten und beendete seine Rennfahrer- Zeit.
Die beiden, die damals in Freundschaft auseinandergingen oder besser ein letztes Mal vom gemeinsamen Gespann stiegen, waren je Vertreter einer anderen Generation von Moto-Cross-Fahrern. Heinz Montenarh gehörte sozusagen der frühen Fahrergeneration an: Das Fahren wurde von der zwar als eine Sportart betrachtet, die körperlich anstrengend war, aber die körperliche Fitness hatte man von Natur aus oder von dem was man sonst so beruflich tat. Kaum einem Moto-Cross-Fahrer in der 1950er und 1960er Jahren kam es in den Sinn, mit gezieltem systematischem Training die Fitness für diesen Moto-Cross-Sport sicher zu stellen. Stattdessen wurde ohne Einschränkungen geraucht, gut und viel gegessen und manches erfrischende Bier geschluckt. Weil die meisten Wettbewerber es nicht anders machten, waren dennoch Plätze auf dem Siegertreppchen möglich. Walter Netterscheid gehörte hingegen der nächsten jüngeren Fahrergeneration an.
Erfolgsorientierte Einstellung |
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Kurzes Intermezzo auf der Solomaschine In der Zeit mit Heinz Montenarh hatte Netterscheid sein Schlüsselerlebnis, das für für seine weiteren motorsportlichen Aktivitäten richtungsweisend sein sollte: „Bei den ersten Rennen hatte ich auf die geschaut, die auf dem Siegetreppchen standen und mir das Ziel gesetz, da oben willst du auch mal stehen. Mein weiteres Ziel war es, nie überrundet zu werden, es sei denn, dass ein technischer Defekt oder ein Unfall mich heimsuchen sollte. Dieses ist mir rückblickend auch gelungen. Platzierungen ab dem vierten Platz waren mir nie genug“. |
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Gespannpilot als ökonomische Wahl Letztendlich war es das liebe Geld, das bei Netterscheid zur Entscheidung für den Gespannsport den Ausschlag gab. Zwar war eine Moto-Cross-Gespann teurer als eine Solomaschine, aber die Kosten dieses Sportes wurden schließlich durch zwei geteilt, eben durch den Fahrer und den Beifahrer. Für die Saison 1976 konnte endlich für 4.000 DM in Mönchengladbach ein gebrauchtes Gespann von Konrad Knübben gekauft werden. Dieser Verkäufer konnte zu dem Zeitpunkt noch nicht ahnen, dass sein Käufer Walter Netterscheid schon bald mit ihm hart um die Meisterschaft im DAMCV ringen würde und auch später sein Sohn Jürgen bei den Wettbewerben der OMK. Das erworbene Gespann war gerade einmal ein Jahr alt und hatte den Motor einer 850er Norton-Commando. Das war ein typischer englicher Langhuber, der schon bei relativ niedrigen Drehzahlen viel Drehmoment entwickelte. Dieser Motor war damals ideal, um damit im Gelände aus den Kurven heraus effektiv beschleunigen zu können, ohne wegen eines schlecht kontrollierbaren durchdrehenden Hinterrades zu viel Traktion und damit Vortrieb zu verlieren. Friedbert Hahnenberg sollte sein erster Beifahrer sei. Der hatte sich auch am Kauf des Gespanns beteiligt. Erste Trainingsfahrten in der Kiesgrube bei Miel offenbarten beiden schon sehr schnell, dass sie für das von Netterscheid vorgelegte Tempo nicht zusammen passten. Friedbert Hahneberg meinte danach schon von sich aus, dass ein Weitermachen für ihn keinen Zweck habe. Glücklicherweise hatte Hahneberg aber schon mit Hubert Overkamp aus Buschhoven – so klein war damals noch die Welt - gesprochen und diesen als potenziellen Beifahrer-Kandidaten gewonnen und empfohlen. Die anschließenden Trainingsfahrten mit Hubert Overkamp erwiesen sich für beide als überaus positiv. Schließlich hatte Overkamp – Heinz Montenarh war in Buschhoven sein unmittelbarer Nachbar - ja schon Erfahrungen als Beifahrer bei Netterscheid fünf Jahre zuvor im Gespann von Heinz Montenarh sammeln können. Netterscheid/Overkamp entwickelten sich in der Folgezeit zu einem immer schwerer zu schlagenden Team und zu einer noch heute bestehenden engen Freundschaft. |
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