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Andreas Brünagel und seine deutsch-italienischen Beziehungen

Weißes Fleisch!“

Meine Frau und ich wohnten gerade das zweite Jahr in Buschhoven, als wir bei einem sommerlichen Abendspaziergang vor einem Haus in meiner etwas entfernteren neuen Nachbarschaft eine MV Agusta mit Vierzylindermotor aus den 1970er Jahren stehen sah. Sie war in einem erstklassigen Zustand, so als wäre sie soeben erst neu gekauft worden. Da ich vom Besitzer dieser Maschine nichts sah, nahmen wir nach diesem rein visuellen Erlebnis unseren weiteren Weg. Ein Jahr später sah ich diese MV Agusta bei der Breniger Rallye unter den Zuschauerfahrzeugen. Als ich später mit den Gewinnern der Veranstaltung und dem Bürgermeister als Schirmherrn die Siegerehrung vornehmen wollte, fiel mir die MV erneut auf, als sie mit ihrem kraftvollen Sound aus vier Auspuffrohren davon fuhr und die allgemeine Aufmerksamkeit damit auf sich zog.

Wenige Wochen später wollte ich mich zusammen mit meiner Frau an einem sonnigen Sonntagnachmittag anschicken, mit dem Fahrrad zu einem Froschteich im Kottenforst unweit des Eisernen Mannes zu fahren, um den Anblick dieser kleinen Lurchentiere zu genießen. Wir näherten uns wieder dem Haus, vor dem wir seinerzeit die MV Agusta stehen sahen. Diesmal war dort allerdings eine Gruppe von ca. 8 Personen zu finden, die sich offenbar kannten und sich zu einem „Klävchen“ zusammengefunden hatten.

Aus dieser Gruppe hörte ich plötzlich eine Männerstimme rufen: „Ach, da ist ja der Mann von der Oldtimer-Rallye in Brenig!“ Ich fühlte mich durchaus davon angesprochen und blickte zu dieser Gruppe hin, deren Mitglieder nun umgekehrt geschlossen zu mir herüberschauten. Dann meldete sich die Rufstimme erneut: „Aus Brenig - den kenne ich doch!“ Es war ein groß gewachsener Mann von kräftiger Statur, der mich jetzt zusammen mit den übrigen der Gruppe erwartungsvoll anschaute. „Ja“, antwortete ich, „in Brenig war ich dabei!“. Nun erwiderte der Mann; „Dann müssen Sie mal mitkommen! Es dauert nur zwei Minuten lang! Ich muss Ihnen mal was zeigen!“ In dem Moment erinnerte ich mich an die MV Agusta vor diesem Haus und schickte mich mit meiner Frau an, in Richtung des freundlich Einladenden zu gehen, da hörte ich, wie eine der Damen aus der Gruppe uns zuraunte: „Das kenne ich mit den zwei Minuten. Am Ende werden das zwei Stunden!“.

Wir ließen uns davon aber nicht beirren und als ich nach drei sehr schnell verronnenen Stunden den Andreas -so weit waren wir dann schon – darauf hinwies, dass wir eigentlich noch Frösche gucken wollten, antwortete der: „Frösch hann mir och! Die senn en osem Jade em Schmimmbad! Habt Ihr schon mal Frösche gegessen?“ Worauf er gleich, ohne unsere Antwort abzuwarten, in ausgesucht reinem Hochdeutsch, feierlichem betont und mit erhobenem Zeigefinger nachsetzte: „Weißes Fleisch!“
Nachdem wir ihn schließlich wissen ließen, Frösche lieber anzuschauen als sie zu verzehren, erzählte er uns noch von seinen Fröschen, dass es vier in seinem Garten-Swimmingpool seien, die er auch alle zu unterscheiden wisse.

Was meine Frau und mich damals aber so sehr fesselte, war nicht nur die MV-Agusta, es waren auch noch zwei wunderschöne Laverdas und zwei BMW-Motorräder, die er allesamt fahrbereit in seiner Garage stehen hatte und die uns reichlich Gesprächsstoff bescherten. Darüber hinaus hatten wir in Andreas Brünagel einen netten Menschen getroffen, der über ein außergewöhnliches Konversationstalent verfügt.

Luxus wird sich erst später geleistet

Trainingsbeitrag für den Vizeweltmeister

Andreas Brünagel ist Jahrgang 1944 und seine Motorisierung lief ab wie sie für seinen Jahrgang so typisch war: Mit 16 Jahren oder besser mit fast 16 Jahren gab es ein Moped. Bei Andreas war das eine Kreidler Florett mit Pedalen und Dreigang-Handschaltung.

Heute noch, nach über 45 Jahren fällt Andreas in Begeisterung, wenn auf seine Kreidler die Rede kommt. Sie habe zwar nur ein kleines Nummernschild gehabt, aber trotzdem habe er damit seine Tante auf der Schwäbischen Alb besucht. Nur mit 50,00 DM in der Tasche habe er sich damals mit dem Moped auf den Weg gemacht, lange Zeit immer der B 9 entlang und als er schließlich nach Tagen wieder zu Hause angekommen war, habe er auch noch von den 50,00 DM Geld übrig gehabt.

Im Jahre 1962 war er 18 Jahre alt und machte für insgesamt 178,00 DM sowohl den Führerschein fürs Auto als auch fürs Motorrad. Die Kreidler habe er danach verschenkt, und zwar an einen gewisser Walter Netterscheid aus Buschhoven, Der habe sich die Kreidler umgebaut und damit in den nahen Kiesgruben das Moto-Cross-Fahren geübt. Später wurde dieser Walter Netterscheid fünf mal Deutscher Meister im Seitenwagen-Moto-Cross und einmal sogar Vizeweltmeister. Sicher hatte die geschenke Kreidler auch ein wenig Anteil an soviel sportlichem Erfolg.

Mit Motorrad war 1962 für Andreas erst einmal Schluss. „Ich ging damals den Weg, der für meinesgleichen üblich war: Zunächst musste ich ans Heiraten denken, dann ans eigene Haus und schließlich erst, wenn alles das geregelt und halbwegs bezahlt war, konnte man sich Luxus leisten. Denn in den 60er Jahren war das Motorradfahren schon Luxus, wenn man sich andererseits ein Auto leisten konnte.

 


Kreidler Florett aus dem Jahre 1959, hier schon mit Fußrasten und Kickstarter (Archivfoto)




Buschhoven Ende der 1960er Jahre: Links Walter Netterscheid, rechts sein Lehrmeister Heinrich Montenarh. Andreas Brünagels Kreidler ist bereits für den Moto-Cross Einsatz umgebaut

Erst eins, dann ...

So motorsportbegeistert wie Andreas schon immer war, wurde er schon von der ersten großen Motorradwelle erfasst und leistete sich 1980 sein erstes richtiges Motorrad, und zwar seiner Körpergröße entsprechend gleich eine BMW R 100 RS. Damit erfuhren sich die Brünagels bis 1988.

Dann wurde die RS zum Neukauf einer BMW R 100 GS in Zahlung gegeben. Doch es dauerte nur bis zum nächsten Winter – O-Ton Andreas Brünagel: „Im Winter baue ich immer um oder kaufe mir neu, das ist ganz schlimm bei mir!“ - da wurde die GS ganz individuell von der ursprünglichen Reiseenduro in ein Straßenmotorrad umgebaut: Außer dem HPN-Cockpit erhielt die GS eine größere Bremse, kleinere Räder von WiWo und der Ölkühler wurde an eine sicherere Position unter den Lenkkopf verlegt. Den Auspuff änderte sich Andreas mehrmals um, was ihm als gelerntem Schlosser keinerlei Probleme bereitete. Der Segen des TÜVs kam zum Schluss. Sie steht heute noch in seiner Garage für zügige Eifel-Touren. Inzwischen kann ich selbst bestätigen, dass Andreas damit in der Eifel keinen Vergleich mit superschnellen Sportmotorrädern zu scheuen braucht.

1995 kaufte er sich erstmals ein zweites Motorrad hinzu. Es war wieder eine BMW -Reiseenduro, aber jetzt in der Paris-Dakar-Ausführung, also die GS 100 PD. Dieses Motorrad diente fortan als Ganzjahres-Motorrad und als Maschine für die Urlaubsreise. Tatsächlich bereisten die Eheleute Brünagel damit halb Europa.

 


BMW R 100 GS auf reinen Straßenbetrieb umgebaut




Mit Frau und Gepäck auf BMW R 100 PD auf dem Weg nach Schottland

Italienische Träume

Doch mehr und mehr meldete sich die italienische Leidenschaft in Andreas' Herzen. Zunächst geisterte ihm immer eine Königswellen-Ducati im Kopf herum. Als er jedoch wiederholt von Insidern hören musste, wie empfindlich die Königswellen-Ducatis doch seien, stimmte er sich zunehmend auf Laverda ein.

Im Oktober 1998 machte er schließlich aus seinem Traum Wirklichkeit und erwarb eine Laverda 1000 3C. Dieses Motorrad war eine Vorserienmaschine mit der Rahmen- und Motornummer 138. Sie war erstmals in Mailand im März 1973 zugelassen worden. Der Motor hatte 3 Zylinder. Bei einem Hubzapfenversatz von 180° liefen die Kolben der beiden äußeren Zylinder dem Kolben des mittleren Zylinders entgegen. Mit diesem Motorrad war er sogar einmal im Mittelpunkt einer Fotoserie zu einem Bericht über Laverda in der Zeitschrift Oldtimer Markt, Heft September 2002.

Was ihn fortan an Laverda grundsätzlich begeisterte, war die Tatsache, dass Laverda bereits 1973 serienmäßig einen DOHC Motor baute und die Verarbeitung insgesamt solide und sauber war. Andreas sieht dieses in einem Zusammenhang mit der Tatsache, dass Laverda traditionell in Italien ein Hersteller von landwirtschaftlichen Maschinen ist. Wenn er davon spricht, zeigt er mir voller Begeisterung die kräftige Primärkette, die auch den Antrieb eines Traktordiesels aushalten könnte. Immer wieder kann sich der Schlosser angesichts der an Laverda-Motorrädern zu findenden Schweißnähten erfreuen. Zwischen diesen und den Schweißnähten an japanischen Motorrädern liegen tatsächlich Welten, was auch ich als überzeugter Japaner-Fahrer zugeben muss.

Dennoch verkaufte Andreas die 1000 3C nach langem Ringen im Jahre 2005, weil die Lichtmaschine an diesem Vorserienmotorrad zu knapp bemessen war, was längeren Touren entgegen stand, weil dann die Batterie unterwegs schon leer wurde.

Dafür musste allerdings geeigneter Laverda-Ersatz in die Garage, der in Gestalt einer Laverda 1000 SFC über den Winter 2004/05 Einzug hielt. Diese 1000 SFC war die im Jahre 1988 gebaute Dreizylinder-Laverda, die auf Initiative des damaligen Wesselinger Importeurs Uwe Witt 1988 nochmals als letzte Serie aufgelegt wurde. Sie hatte nunmehr einen Hubzapfenversatz der Kurbelwelle von 120 °. In ihrem technisch ausgereiften Zustand ist diese Maschine für den Fahrbetrieb besser geeignet als die oben beschriebenen Vorserien-Laverda.

Eine zweite Laverda hatte sich Andreas aber bereits schon im Dezember 2000 geleistete. Es war diejenige, die er später als seine „Lieblingsmaschine“ bezeichnete und die das letzte sei, was er je verkaufen würde. Es ist die Laverda 750 SF1 mit Zweizylindermotor aus dem Jahre 1973. „Das Aussehen ist es, was mich fasziniert, und zwar das klassische Schwarz mit dem Chrom, dazu die Doppelduplex-Trommelbremse von Grimeca und der dumpfe Auspuffklang“.

Ein Sonderfall sei im Februar 2001 der Erwerb der MV Agusta 750 S gewesen. Es ist die Vierzylinder aus dem Jahre 1975, ein Typ, von dem insgesamt nur 480 Exemplare gebaut wurden. Sie sei ihm vom Verkäufer seiner Lederkombi angeboten worden, als der hörte, dass er auf italienische Motorräder stehe, und die MV in guten Händen wissen wollte.
Zu Hause habe er sich gründlich mit seiner Frau beraten und sie habe ihm am Ende zu Kauf geraten. Seitdem nimmt Andreas regelmäßig an den großen MV-Treffen teil, wo außer den Motorrädern der Marke alle noch lebenden Persönlichkeiten zu finden sind, die in den letzten 50 Jahren zu den motorsportlichen Welterfolgen und damit zum Mythos der Marke MV Agusta beigetragen haben: Rennleiter, Chefmechaniker und Werksfahrer einschließlich mehrmaliger Weltmeister.


Laverda 1000 3C, mit der Fahrgestell– und Motornummer 138




Laverda 750 SF1 bei der Überwinterung,
Bauj. 1973




MV Agusta 750 S, Bauj. 1975




Laverda 1000 SFC, Bauj. 1988

 



Text: Hans Peter Schneider
Fotos: Antonie und Andreas Brünagel, Hans Peter Schneider

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