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Heimreise ins Ungewisse |
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Die Heimfahrt Ostern fiel 1945 auf den 1. und 2. April. Weil bis dahin die Nachhuten der Amerikaner ebenfalls weitergezogen waren, kehrte in Brenig zunächst eine gewisse Stille ein. Mein Vater hatte sich bis dahin wohl schon einige Gedanken über die Heimfahrt gemacht. Es war bekannt, dass wir für die Fahrt durch das besetzte Gebiet, also auch für unsere Heimfahrt, ein Papier brauchten. Dazu war uns zu Ohren gekommen, dass es genügen würde, wenn der Pfarrer ein solches Papier als eine Art Passierschein ausstellen würde. Sehr wichtig sei dabei ein amtlicher Stempel unter diesem Papier. Vater ist dann zum Pastor gegangen und hat dort auch ein entsprechendes Dokument erhalten. Wer das war, nachdem der Pfarrverwalter von Brenig im Januar 1945 der Bombe zum Opfer gefallen war, weiß ich nicht mehr. Mit diesem besagten Dokument in der Tasche
sind wir dann jedenfalls am Samstag, dem 7. April 1945 mit
unseren Gefährten, den Karren und Fahrrädern
losgezogen. Ohne großen Aufenthalte zogen wir an dem
Samstag durch bis Binsfeld bei Düren. In Brenig hatten wir schon erfahren, dass in Düren die Überfahrt über die Ruhr nur sonntags möglich sei. Ein weiteres Gerücht vernahmen wir von einem anderen Passanten, wonach wir in Düren zur Überfahrt über die Ruhr morgens schon um 6.00 Uhr sein müssten, sonst ließen uns die Amerikaner nicht durch. In Binsfeld hatten wir dann nach einem Quartier gesucht. Einen Mann der in dem zu der Zeit relativ leer erscheinenden Ort unseren Weg kreuzte, fragten wir, wo wir uns für die Nacht lassen könnten. Der empfahl uns prompt mitten im Ort ein verlassenes Haus mit anschließendem Hof. „Dort hatten auch schon andere genächtigt“, sagte er noch, als er schon wieder im Gehen war. Wir suchten also das beschriebene Haus auf und fanden im hinteren Anbau zwei bis drei Räume, die mit Strohballen ausgestattet waren. Da fingen meine Schwestern auf einmal davon zu faseln an, was denn hier nicht alles für ein Ungeziefer auf uns lauern könnte. Im nächsten Moment war die ganze Familie von dieser Sorge angesteckt. Keiner wollte mehr im Stroh schlafen. So setzten wir uns ein Jeder zum Schlafen zunächst auf einen der in den Räumen vorhanden Stühlen. Aber der weite Weg zu Fuß von Brenig bis hierhin an einem Tag, war eine zu große Strapaze. Gegen Mitternacht lag dann doch jeder von uns zum Schlafen im Stroh. |
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In Düren war der „Totale Krieg“ zu Hause Am nächsten Morgen, es war der 8. April
1945 und Weißer Sonntag, brachen wir schon sehr früh
auf, denn wir wollten ja noch vor 06:00 Uhr die Rur-Brücke
in Düren passieren. Bereits im Dämmerlicht erkannten
wir, dass Düren total zerbombt war. Kein Haus stand mehr.
Tatsächlich mussten wir das vom Pastor ausgestellte Dokument
auch vorzeigen. An der notdürftig reparierten Brücke
über die Rur stand ein amerikanischer Wachsoldat, der wohl
prüfen wollte, wer im besetzten Gebiet unterwegs war, denn
der Krieg war weiter im Osten Deutschlands ja noch nicht vorbei.
Wir zeigten ihm das vom Pastor ausgestellte Dokument. Daran kann
ich mich noch genau erinnern. Der Soldat murmelte so etwas wie
o.k. und wir durften rüber. Von Düren aus strebten wir weiter in
Richtung Langerwehe. Weiterhin fühlten wir uns wie im
Niemandsland. Wir hatten nun ein Tempo aufgenommen, das ich bis
dahin nicht für möglich gehalten hatte. Es schien, als
sei die Familie nicht mehr zu halten, obwohl wir ja erst gut die
Hälfte des Weges zurückgelegt hatten. In Langerwehe
bogen wir nach links in Richtung Gressenich und Mausbach ab. Auch
diese beiden Orte waren total zerstört. Seitlich der Straßen
trafen wir mehrfach auf abgeschossene Panzer und Geschütze.
Breinig war von den Amerikanern kampflos eingenommen worden. Es gab dort kaum ein beschädigtes Haus. Wie viele Bewohner von Breinig vor der Front geflüchtet waren, ist mir nicht bekannt. Jedenfalls schien in dem Ort alles intakt zu sein. Es gab an diesem Weißen Sonntag 1945 sogar Kinderkommunion im Dorf. Außer dem Kirchturm waren auch etliche Häuser mit der Kirchenfahne in Gelb/Weiß beflaggt. Nach den Eindrücken unseres Weges von Brenig und noch mehr vom total zerstörten Düren bis hierhin kamen wir uns so vor, als seien wir in einer neuen Welt angekommen. Von Breinig bis Walheim sind es ca. 5 km. Allerdings führt der Weg über den sogenannten Breiniger Berg, den wir mit eigener Muskelkraft zusammen mit unserer Fuhrwerken erklimmen mussten. „Dieser Berg nimmt uns die letzte Kraft des Tages!“, beschwor uns meine Mutter und schlug zugleich vor, in Breinig im Hause ihres Bruders Wilhelm doch noch einmal zu nächtigten. Abgekämpft und zugleich gespannt, kamen wir also an diesem späten Sonntagnachmittag bei Onkel Wilhelm an. Tatsächlich war die Freude groß, als wir uns so auf einmal nach diesen furchtbaren Monaten der Angst gegenüberstanden. Keiner wusste ja, was mit wem in der Zwischenzeit passiert war. Wir selbst staunten auch nicht schlecht, dass Onkel Wilhelm zusammen mit seiner Frau nicht geflüchtet war.Onkel und Tante nahmen uns Heimkehrer sehr herzlich auf. Für meine Eltern öffnete der Onkel sogar noch eine Flasche Weißwein, die im Keller ebenfalls den Durchzug der Amerikaner überlebt hatte. Noch heute sehe ich vor meinen Augen, wie die ganze Familie im Wohnzimmer sitzt und die Gesichter von Papa und Mama freudestrahlend dreinschauen. |
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Swisttal, im März 2014
Text: Peter Krott
und Hans Peter Schneider
Fotos: Archiv Hans Peter Schneider, Peter
Krott, Wikipedia