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Peter Krott:
Bewegende Monate von September 1944 bis April 1945
Kriegsflucht von Aachen nach Brenig

Wieder zu Hause

Am nachfolgenden Montagmorgen sind wir dann gegen 10:00 Uhr ausgeruht, nach gutem Frühstück bei schönstem Wetter und mit einer gewissen Zuversicht im Bauch zur letzten Etappe bis nach Walheim aufgebrochen. Dabei nahmen wir den weniger steilen Weg über Hahn statt den über Kornelienmünster.

Gegen 12:00 Uhr standen wir in Walheim vor unserem Haus, aus dem wir vor über einem halben Jahr geflüchtet waren. Die Haustür war offen und sehr gespannt besichtigten wir als erstes das Haus, in dem wir vor unserer Flucht zuhause waren und das nun wieder unser Zuhause werden sollte. Was hatte sich alles verändert und was war geblieben?
Alle Zimmer waren leergeräumt und alle Schlösser der Zimmertüren zeigten Aufbruchspuren; sie waren nun nicht mehr abschließbar. Bei unserer Flucht hatten wir keine einzige Tür abgeschlossen. Also musste nach uns noch jemand die Türen abgeschlossen haben. Die Amerikaner hatten einen ganzen schönen Haufen Dreck in unser Haus getragen. Der lag zentimeterdick in allen Räumen, war festgetreten und getrocknet. Wir stellten unser gesamtes Gepäck im Wohnzimmer ab. Unsere Möbel fanden wir hinter unserem Haus unter dem Vordach des Hühnerstalls. Immerhin waren sie dort nicht unmittelbar den Niederschlägen ausgeliefert gewesen. Im Keller fanden wir noch den größten Teil der Kartoffel, die wir kurz vor unserer Flucht dort eingekellert hatten. Die Werkstatt war bis auf die Maschinen Komplett leergeräumt. Die wichtigen Antriebsriemen für die Maschinen hatten wir vor unserer Flucht ja vorsorglich im Keller versteckt, wo wir sie gottlob auch später wiederfanden.

Danach schauten wir uns in der Nachbarschaft um:
Direkt nebenan wohnten zwei sogenannte „Jungfrauen“. Die beiden waren um die 70 Jahre alt und betrieben eine kleine Landwirtschaft mit Gaststätte. Sie waren nicht vor der Front geflüchtet und hatten sich irgendwo in Sicherheit gebracht. Was die sich gedacht hatten, als sie uns sahen, weiß ich nicht. Auf alle Fälle guckten sie sehr mürrisch und liefen vor sich hin murmelnd umher, ohne uns zu begrüßen oder geschweige ein Glas Wasser anzubieten. Irgendwie ärgerte uns das, aber irgendwie waren die beiden auch schon vor unserer Flucht nicht anders gewesen.
Im Übrigen war unsere ganze Straße leer. Kein Mensch war zu sehen. Eine weitere Familie trafen wir in einer entfernteren Straße. Diese Familie war zunächst ins ca. 15 km entfernte Schevenhütte geflüchtet, aber weil sie einen Kranken mitführten, hatten sie ihre Fluch abgebrochen und waren wieder nach Walheim zurückgekehrt.

Auch stießen wir auf die Familie Völl, die in der Flucht-Nacht direkt vom Schmittchen aus wieder nach Hause gefahren war. Die Tochter Völl erzählte uns dennoch eine tragische Geschichte: Auf der Außentreppe ihres Hauses war eine deutsche Granate eingeschlagen und hatte ihre Eltern und auch noch meinen Vetter Hubert Rademacher getötet.
Vetter Hubert war gerade einmal 15 Jahre alt und eigentlich beim Marine-HJ-Dienst in Kiel im Einsatz. Wegen der voranschreitenden Westfront hatten seine Vorgesetzten ihm jedoch Sonderurlaub gewährt, um zu Hause seiner Familie bei der Evakuierung zu helfen. Sein Weg muss sich mit dem Fluchtweg seiner Familie irgendwo gekreuzt haben, ohne dass sie sich getroffen hatten. Jedenfalls war sein Familie schon weg und das elterliche Haus unbewohnt, als er am 11. September 1944 in Walheim ankam. Bei der Familie Völl war er nachfolgend regelmäßig zum Essen und stand just mit den Eltern Völl zusammen vor deren Haus, als die Granate einschlug. Es war wohl reiner Zufall, dass die Granate dort eingeschlagen war, denn Walheim lag im Gegensatz zu dem etwa 10 km entfernten Mausbach nicht im Frontfeuer der deutschen Wehrmacht.
Das Haus des Vetters war unberührt und verschlossen und seine Eltern waren noch nicht zurückgekehrt. Den Schlüssels für dieses Haus hatte die Tochter Völl aufbewahrt. Sie gab ihn uns und so schliefen wir, bis auf meinen Vater, die erste Zeit in diesem unberührten Haus. Mein Vater nächtigte derweil alleine im Wohnzimmer unseres eigenen Hauses auf dem Boden, neben ihm unser ganzes Gepäck. Zur Sicherung der lädierten Tür klemmte er ein Brett unter die Klinke, und machte es damit einem möglichen Einbrecher schwer.

Später erfuhren wir, dass die Amerikaner sowohl unser Haus als auch das der beiden „Jungfrauen“ von nebenan belegt hatten. Die beiden Nachbarinnen mussten sich deshalb während dieser Zeit ein anderes Quartier suchen. Auf der Wiese hinter unserem Haus hatte den Winter über ein amerikanisches Geschütz gestanden. Aus diesem Grund hatte die Amerikaner in die Wiese eine Vertiefung von ca. 50 cm gegraben. Dort fanden wir zurückgelassenen Proviant in Form von Konserven. Weil von uns jedoch niemand die englische Sprache beherrschte, hatten wir von alledem nichts angerührt.

Die nachfolgenden Wochen befassten wir uns mit den Aufräum- und Reparaturarbeiten. Mit einem Spaten trug die Geschwister die Erdmassen von den Fußböden ab und nahmen anschließend die weiteren Reinigungsarbeiten in den Räumen vor. Die Türen wurden repariert und die Möbel gereinigt und wieder aufgestellt. Unseren Küchenherd fanden wir allerdings nicht mehr wieder, sodass wir uns leihweise einen Herd aus einem verlassenen Haus in der Nachbarschaft holten. Später gaben wir den natürlich zurück.
Zu essen hatten wir genug. Außer unseren eigenen Einkellerkartoffeln gab es reichlich Butter, denn einer unserer entfernteren Nachbarn hatte seinen Stall voller Milchkühe retten können.

Nach dem Wohnhaus beschäftigten sich mein Vater und ich mit der Werkstatt. Die Amerikaner hatten alle geschnittenen Bohlen zur Befestigung ihrer im Übrigen morastigen Laufwege benutzt. Dementsprechend lagen sie ums Haus und im Garten verteilt. Unsere Arbeit bestand deshalb zunächst darin, dass wir alle Bohlen aufhoben, mit dem Wasserschlauch reinigten und neu stapelten.

Die wiedergefundenen Transmissionsriemen brachten wir wieder an. Allerdings stand uns der elektrische Strom erst im Herbst 1945 wieder zur Verfügung. Als Lichtquelle in dieser stromlosen Zeit diente eine sogenannte Karbidlampe, die wir in einem verlassenen deutschen LKW gefunden hatten. Auch fanden wir die Werkzeuge der Schreinerei wieder, die wir in der Fluchtnacht unter dem Fußboden der Werkstatt versteckt hatten.

Seit unserer Ankunft im Frühjahr und noch den ganzen Sommer lang waren wir mit Aufräumen und Reparieren beschäftigt. Nur ganz allmählich konnte sich das Leben zu Hause wieder normalisieren.

Je mehr das Jahr 1945 fortschritt um so mehr Flüchtlinge kehrten nach Hause zurück. Deshalb wurde zunehmend die Nahrung knapp und schließlich mussten auch wir selbst „hamstern“ gehen, um zumindest etwas zum Essen zu haben. Dazu suchten wir insbesondere die Bauern in Sief auf.

Die ganze Familie war in jener Zeit im Einsatz. Niemand war sich für jegliche Arbeit zu schade und trotzdem mussten wir in den ersten Nachkriegsjahren noch manche Entbehrung erleiden. Dennoch – alle waren wir froh, dass der unselige Krieg vorbei und Frieden eingekehrt war.


Das Foto von etwa 1956 zeigt links Peter Krotts Elternhaus mit der dahinter liegenden Schreinerei im winkelförmigen Hinterhaus.
Das Gebäude rechts zeigt die Gastwirtschaft Gier mit anschließendem Tanzsaal.
Vor dem Gebäudekomplex hatten die Amerikaner vorübergehend eine Vierlingsflak zur Luftaubwehr aufgebaut und im Garten hinter dem Schreinereigebäude ein Artilleriegeschütz.
Das Mobilar des Hauses hatten die Amerikaner unter das Vordach des Hühnerstalls im Garten ausgelagert


Derselbe Gebäudekomplex 2014. Das Hinterhaus mit der Schreinerei existriert nicht mehr. Dafür stehen die Gebäude an der Straße unter Denkmalschutz


Walheim ist 2014 ein Wohnvorort im Süden von Aachen mit ca. 5.000 Einwohnern. Die Pfarkirche St. Anna steht auf dem Kirchberg


Die Hauptgeschäftsstraße durch den Ort deckt den kurz- und mittelfristigen bedarf der Bewohner


Alte Gebäude stehen dort heute neben neuen Gebäuden. Viele alte Gebäude wurden inzwischen ersetzt, ohne dass der Krieg sie zerstört hatte




Wieder in Brenig

Die Zeit war dahingegangen. Ich war mittlerweile verheiratet, hatte ein Haus gebaut und dank Wirtschaftswunder konnten wir uns 1960 unser erstes gebrauchtes Auto leisten. Es war ein Opel Olympia. Im Sommer desselben Jahres machten wir uns an einem schönen Sonntag auf den Weg in Richtung Brenig. Ich wollte unbedingt noch einmal dieselbe Strecke nachfahren, die wir im Herbst 1944 geflüchtet waren.

Wir sind dann gut in Brenig angekommen. Der Schreiner war schon tot und die Eigentümer unserer damaligen Wohnung in der Vinkelgasse und auf der Kumme trafen wir nicht an. Noch am selben Tag kehrten wir nach Walheim zurück.

Walheim, im Januar 2013



Peter Krott 2014. Die Geschichte vom Kriegsende in Brenig auf unserer Homepage veranlasste ihn, sich mit seiner persönlichen Geschichte vom Kriegsende in Brenig bei uns zu melden

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Swisttal, im März 2014

Text: Peter Krott und Hans Peter Schneider
Fotos: Archiv Hans Peter Schneider, Peter Krott, Wikipedia

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