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Peter Krott:
Bewegende Monate von September 1944 bis April 1945
Kriegsflucht von Aachen nach Brenig

Bis zum Kriegsende in Brenig

Für Brenig entschieden wir uns, als wir dort angekommen waren

Am späten Nachmittag des 14. September 1944 gelangten wir in den Ort Brenig. Er liegt am östlichen Rand der Ville, dem sogenannten Vorgebirge. Bis zur Rheinbrücke in Bonn waren es von hier aus noch etwas mehr als zehn Kilometer. So beschlossen wir zunächst einmal, hier zu übernachten. Wir waren an dem Nachmittag die einzigen Flüchtlinge, die durchs Dorf zogen. Wir, die wir unsere wichtigsten Habseligkeiten auf unseren einfachen Fahrmöglichkeiten verladen und mit Birkenzweigen getarnt hatten, wurden nun von jedem, der uns in Brenig begegneten, regelrecht begafft. Jedenfalls kamen wir uns so vor. Auch die Unterbringung im Ort gestaltete sich zunächst schwierig. Keiner wollte so recht Flüchtlinge aufnehmen, denn unsere Gruppe bestand ja zumindest aus sieben erwachsenen Personen.

Die Quartiersuche lag in den Händen meiner älteren Geschwister. Bis sich dann endlich eine einfache biedere Frau fand. Es war Frau Wt., die uns aufnahm. Sie selbst hatte sechs Kinder im Alter von ca. 6 bis 16 Jahren und bewohnte in der Vinkelgasse ein kleines Häuschen, wie es auch heute noch typisch in alten Dorflagen des Vorgebirges zu finden ist. Sie musste zusehen, wie sie hier alleine zurecht kam, denn ihr Mann befand sich als Soldat im Krieg.
Dann stellte sich heraus, dass uns Frau Wt. auch noch an ein weiteres Haus vermitteln konnte. Der Eigentümer des Hauses hieß Josef Wz., sein Bruder war der Ortsvorstehen und sein einziger Sohn war im Krieg. Diese Leute hatten noch zwei Zimmer mit Betten frei. In einem der Zimmer stand zudem auch noch ein schöner Herd. Außerdem war das Haus über einen Pfad, bzw. über ein „Päddchen“, wie man in Brenig sagte, unmittelbar hinter dem Grundstück der Familie Wt. zu erreichen. In jener schwierigen Zeit sahen so schon ideale Umstände aus und wir waren froh, dass wir so über zwei Häuser verteilt unterkommen konnten.

Uns allen gefiel das sehr und wir waren zudem immer noch auf der linken Rheinseite. Mein Vater war von diesen Verhältnissen so sehr beflügelt, dass er unsere Wirtsleute fragte, ob wir nicht überhaupt auch längere Zeit bleiben durften. Die Wirtsleute zeigten ein Herz und nahmen uns tatsächlich „endgültig“ auf. Wir waren glücklich: Die Flucht hörte einstweilen auf, wir waren gut untergebracht und die Front war noch weit weg. Hier war es ruhig, wie es uns schien und wir waren die einzigen Flüchtlinge im Ort.

Da meine Schwester Klara genügend Lebensmittelkarten in Walheim gehortet hatte, meldeten wir uns zunächst nicht polizeilich an. Vater wollte die Anmeldung so weit wie möglich vor sich herschieben. Außerdem war das Vorgebirge ein Fleckchen Erde, dass von Lebensmitteln selbst im Krieg verhältnismäßig reich gesegnet war. Bekanntlich finden sich an diesem Ville-Hang sehr fruchtbarer Lös-Boden und ein verhältnismäßig günstiges Klima. Die meisten Breniger waren Selbstversorger und viele hatten „Säue“ im Stall, weshalb es auch an „Fettigem“ nicht mangelte. Zu essen hatten wir also genug hier und auch sonst merkte man im Frühherbst 1944 in Brenig noch nicht so sehr viel vom Krieg.
Vater wollte sich auch deshalb nicht polizeilich anmelden, weil er nach fünf Jahren Krieg Gefahr lief, trotz seines Alters von 58 Jahren auch noch zum Dienst an der Waffe eingezogen zu werden. In seinem Heimatort Walheim war sein Schreinereibetrieb als kriegswichtig bewertet worden und er selbst als unabkömmlich für den Betrieb anerkannt. Diese Begründung war ihm mit seiner Flucht jedoch abhanden gekommen. So verging die Zeit. Irgendwann hatte sich mein Vater dann aber doch polizeilich gemeldet. Denn bis dahin war die Angst mehr und mehr gewachsen, entdeckt zu werden. Die Nazi-Behörden hätten anschließend ermitteln können, wie lange wir schon tatsächlich in Brenig waren und das hätte uns neue Probleme gebracht.
Die Anmeldung verlief dann auch problemlos für uns. Wegen des wachsenden Flüchtlingsaufkommens im Vorgebirge gab es bei den Ämtern vermutlich viel zu tun und ein kleines Durcheinander. Jedenfalls erhielt mein Vater anschließend keinen Einberufungsbefehl zur Wehrmacht.


Brenig um 1938. In der Bildmitte das Haus Wt., wo die Familie Krott zunächst Aufnahme fand und auch ein Teil der Familie die Zeit in Brenig verbringen konnte


Das ehemalige Haus Wz. im Februar 2014 auf dem heutige Bergkreuzweg. Peter Krott selbst und seine Eltern wohnten bis zum Kriegsende darin


Das heutige Haus mit etwas mehr Umgebung


Luftansicht von Brenig um 1935. Die Kirche trägt über der Vierung noch ein kleinen Türmchen, den sogenannten Reiter.
Grüner Pfeil rechts: Anstelle des heutigen Pfarrhauses ist noch das alte Pfarrhaus zu sehen, das gegen Kriegsende von einer Bombe zerstört wurde.
Der grüne Pfeil links weist auf die ehemalige „Küsterei“. Diese wurde von derselben Bombe zerstört, wie auch das Pfarrhaus. Ende der 1950er Jahre wurde an seiner Stelle das erste Jugendheim erbaut.
Der rote Pfeil rechts zeigt das Haus Wt. in der Vinkelgasse und der Pfeil in der Mitte das Haus Wz.. Der Pfeil links oben zeigt auf die Schreinerei H. in der Rücksgasse

Flüchtlingsjobs

In den ersten Tagen in Brenig hatten wir uns alle das Dorf gründlich angesehen. Es war ein typisches Vorgebirgsdorf: Fast alle Einwohner lebten vom Gemüsebau, die meisten hauptberuflich und ebenfalls sehr viele im Nebenerwerb. Es gab zwei Bäcker, einen Metzger und ein Kolonialwarengeschäft. Meine älteren Schwestern hatten sich noch im Herbst 1944 bei verschiedenen Bauern als Erntehelfer betätigt.

In Brenig gab es aber auch einen selbständigen Schreinermeister in der Rücksgasse. Im Oktober 1944 machte sich mein Vater auf den Weg zu im, um einmal vorzufühlen, ob er nicht bei ihm Arbeit finden könne. Der Schreiner mit Namen H. hatte wahrscheinlich noch Aufträge in der Schublade und stellte deshalb meinen Vater ein. Doch damit nicht genug. Mein Vater sprach seinem neuen Arbeitgeber gegenüber auch von mir und wies darauf hin, dass ich „ja Schreiner-Lehrling“ sei. Beide kamen dann überein, dass auch ich beim Schreiner H. arbeiten könne, allerdings ohne Lohnzahlung, nur für das mittägliche warme Essen. So trat ich also zusammen mit meinem Vater die Arbeit bei der Schreinerei H. an.

Die Schreinerei des Meisters H. nahm sich deutlich kleiner aus, als die meines Vaters in Walheim. H. verfügte über einige einfache Holzbearbeitungsmaschinen und obwohl diese nur relativ klein waren, stand im Werkstattraum wegen seiner kleinen Maße auch alles sehr eng beisammen. Meine Hobelbank war aus Platzgründen fest an die Außenwand angestellt. Sie war damit nicht zu „umgehen“, was bei bestimmten Fertigungsmaßnahmen aber erforderlich gewesen wäre. Das war in Brenig aber insofern kein Problem, da ich nur an Kleinigkeiten arbeitete. Was ich da im Einzelnen alles produziert hatte, weiß ich heute nicht mehr. Neben meiner fachlichen Arbeit war ich allerdings die Hälfte meiner Arbeitszeit mit „Kalfaktorarbeiten“ beschäftigt: So musste ich beispielsweise jeden Morgen auf einem nahe gelegenen Grundstück die über Nacht vom Baum gefallenen Pfirsiche, im Vorgebirge „Peärsche“ genannt, auflesen. Davon wurde anschließend Obstler gebrannt. Aber ehe ich den Heimweg antrat, hatte ich mich noch auf eine Astgabel gesetzt und mir die größten und schönsten Pfirsiche einverleibt.
Auch mein Vater konnte seine Arbeiten nur unter beengten Platzverhältnissen ausführen. Zwischen seiner Hobelbank und der nächstgelegenen Wand waren auch nur ca. 70 cm Platz. Zudem stand die Hobelbank gegen eine andere gelehnt. Als erstes hatte mein Vater dort mit der Arbeit an einem Schlafzimmer aus Eichenholz begonnen. Im Krieg gab es ja nichts zu kaufen und vermutlich resultierte dieser Auftrag von einem Versprechen des Meisters her. Auf alle Fälle hatte mein Vater in der beengten Werkstattecke das Werk, bestehend aus Betten, Schrank und Kommoden, vollendet.

Mittags gab es immer ein deftiges Essen, meistens Eintopf, der von der Frau des Hauses zubereitet wurde. Er war durchweg lecker, immer mächtig mit Schweinefleisch durchsetzt und deshalb nahrhaft. Ein Schnaps nach dem Essen war für den Meister obligatorisch. Danach fiel er in seinen Mittagsschlaf. Mein Vater ging jeden Mittag zum Essen nach Hause ins Haus Wz. auf der Kumme (heute Bergkreuzweg).
In der Familie lebte auch noch eine erwachsene Tochter. Ich schätzte sie damals auf rund 35 Jahre. Sie war nicht berufstätig und hatte auch keinen Freund, denn die Männer waren ja alle Soldat. Dann tauchte ab und zu ein älterer Sohn auf, der angab, selbst Schreinermeister zu sein. Offenbar war der wegen einer Gehbehinderung nicht Soldat geworden. Dieser Sohn war nicht ständig im Betrieb und arbeitete nur an kleinen Möbeln.

Der Meister lieferte auch bei Sterbefällen den Sarg. Der wurde von Grund auf und vollständig in der Schreinerei gefertigt, denn H. hatte viel Eichenholz auf Lager, mehr als Fichtenholz. Wenn alles fertig war, lud er die Lade auf einen Karren und fuhr damit alleine zum Sterbehaus, wohl wissend, dass die Angehörigen ihm beim Einsargen helfen würden. Bei uns in Walheim wäre so etwas undenkbar gewesen.

Draußen im Hof hatte Schreinermeister H. eine Holzgattersäge, auch kurz „Holzgatter“ genannt, stehen. Die Technik dieser Sägeanlage mutete schon recht altertümlich an: Es war ein sogenanntes Horizontalgatter, mit dem jeweils nur ein Brett vom Stamm geschnitten werden konnte. Weil auch ich mit dieser Maschine arbeiten sollte, hatte mir Meister H. eines Tages die Funktionen und die Handhabung erklärt und so durfte ich anschließend tagelang von dicken Eichenstämmen Bohlen herunterschneiden.

Unweit des Gatters hatte sich Meister H. schon vor Jahren einen kleinen Unterstand angelegt. Als Abdeckung dienten geschnittene und ungeschnittene Eichenstämme. Als in den ersten Monaten 1945 die Front auch dem Vorgebirge näher rückte, hatte ich dort mehrmals Schutz vor den Tieffliegern, Jabos und Jagdbombern der Alliierten gesucht.

Einmal bin ich mit dem Meister zu Fuß nach Alfter-Ort gegangen. Dort hatten wir eine kleinere Arbeit zu verrichten, die jedoch mehr als nur zwei Hände bedurfte. Bei diesem Gang hatte er auch einen Flachmann in der Tasche. Ab und zu machte er Pause und genehmigte sich dann jeweils einen Schluck daraus.
Der Schnaps, übrigens ein leckerer Obstler, wurde im alten Stall des Hauses ausschließlich von Obst gebrannt, und zwar insbesondere von Fallobst, das bekanntlich schneller in den Gärprozess übergeht als frischeres vom Baum gepflücktes Obst. Übrigens war die Schnapsbrennerei zu Hitlers Zeiten nicht minder streng verboten als auch heute; im Falle der Aufdeckung fielen die Strafen damals außerordentlich hart aus. Aber die Breniger zeigten sich nicht gegenseitig an, wurde doch in vielen Häusern schwarz gebrannt. Jedes mal, wenn der Meister einen Schnaps-Brand vollzogen hatte, erhielt auch mein Vater ein Püllchen von den edlen Tropfen.

Schließlich hatte fast jedes Haus in Brenig nach meinem Empfinden mindesten zwei Schweine – in Brenig sagte man Säue – im Stall. Wenn so eine Sau geschlachtet werden sollte, war der Eigentümer des Schweins verpflichtet, dieses beim Amt anzumelden. Dabei ging es um die Rationierung der knappen Nahrungsmittel. Die Breniger schlachteten regelmäßig zwei Säue, gaben beim Amt aber immer nur eine an. Daher schwelgten sie nach meinem Empfinden im Fleisch.

Bekanntschaften hatte ich in Brenig keine geschlossen. Insgesamt nahmen wir dort nur wenig am Dorfgeschehen teil. Zudem waren wegen des Winterhalbjahres die Tage kurz und wegen des Krieges gab es keine Veranstaltungen wie Tanz und Kirmesvergnügen.
Aber sonntags besuchten wir alle die heilige Messe. Ich ging immer in die Messe um 10:00 Uhr. Dieser Gottesdienst war durchweg sehr gut besucht, weshalb ich mich meistens mit den anderen im Dorf noch vorhandenen jungen Männern bzw. größeren Jungs unter dem Kirchturm aufhielt. Wegen der vielen Gottesdienstbesucher konnte ich von dort aus den Pastor am Altar meistens nicht mehr sehen. Die meisten Kirchenlieder kannte ich schon von Walheim, wenn auch einige in einer etwas anderen Melodie gesungen wurden.

Die übrigen Familienmitglieder gingen in unserer „breniger Zeit“ ebenfalls Beschäftigungen nach:
Meine vier weiblichen Geschwister hatten nach meiner Erinnerung im Herbst noch zunächst verschiedenen Bauern bei der Ernte geholfen.
Klara, die zuhause Verkäuferin gelernt hatte, trat später in Bornheim eine Stelle in einem Elektroladen an.
Lisa war sozusagen der „Spieß“ der Familie. Sie kümmerte sich um alles Schriftliche, wie Anmeldungen, Anträge, Entgegennahme von sog. Bezugsscheinen, Amtsgänge usw.. Ich meine mich zu erinnern, dass sie später sogar eine Stelle bei der Gemeindeverwaltung von Bornheim bekommen hatte.
Lina und Barbara – wir nannten sie immer Bäbi - halfen weiter bei Bauern aus, unterstützten aber auch die Mutter bei den Hausarbeiten.


Die Rücksgasse im Februar 2014. Das rote Auto steht vor einer Schreinerei,
die mit der von Peter Krott benannten nicht verwechselt werden darf


In diesem Gehöft war die bis in den 1950er Jahren die Schreinerei H. untergebracht. Die Platzverhältnisse waren dort sehr begrenzt. Die heute in der Rücksgasse zu findende Schreinerei hat mit der von Peter Krott benannten nichts zu tun


Das ehemalige Schreinereihaus von der Talseite aus betrachtet. An der Hausseite, wo jetzt das Efeu rankt führte das „Rückspäddchen“ ein kleiner Fußweg zur Kumme und zu Ortskern von Brenig. Wer dort in den 1970er Jahren entlang ging konnte hinter dem Haus noch das Holzgatter finden. Heute erinnert nichts mehr an den früheren Schreinereibetrieb


Die Rücksgasse aus der Blickrichtung des heutigen Bergkreuzweges. Der linke Pfeil weist auf die Schreinerei H., der mittlere und der rechte Pfeil weisen auf das „Rückspäddchen“


Blick vom heutigen Bergkreuzweg auf Brenig. Der Verlauf des Bergkeuzweges entspicht hier noch dem Verlauf der früheren Kumme. In der Kurve hinter dem jungen Mann traf das „Rückspäddchen“ auf die Kumme. Etwa in der Bildmitte das ehemalige Haus Wz.

Mit den Wt.-Töchtern nach Bonn
Einmal fuhr Peter Krott zusammen mit den Töchtern der Familie Wt. nach Bonn. Dazu ging man zu Fuß bis nach Bornheim und fuhr von dort aus mit der Vorgebirgsbahn weiter. Die Wt. Töchter trafen in Bornheim befreundete Mädchen, die auch nach Bonn wollten.Mit denen setzten sich die Wt.-Töchter zusammen in ein offenes Abteil der Vorgebirgsbahn. Weil für Peter Krott deshalb kein Platz mehr in diesem Abteil war, nahm der woanders Platz. Obwohl der Abstand etwas größer war, bekam er mit, wie die Mädchen sich über ihn unterhielten: Wer das denn sei? Worauf eine der Wt. Töchter unter vorgehaltener Hand er klärte, dass das „doch ein Flüchtling“ sei. Darauf musterten ihn die übrigen Mädchen auf über die Distanz hinweg sehr gründlich und meinten dann zu den Wt.s Töchtern: „Dat kann kene Flüchtling senn, der ist zu jung!“ Die Mädchen hatten nicht damit gerechnet, dass Krott diese Unterhaltung noch mithören konnte. Krott muss jedenfalls bis heute noch über dieses Gespräch schmunzeln.

Fliegerbombe auf der Kumme und Tod des Pastors

An einem Mittag im November/Dezember stand ich vor der Schreinerei H. in der Rückgasse und beobachtete das Turnen alliierter Flieger am Himmel, als plötzlich und unerwartet eine Fliegerbombe auf der Kumme einschlug, und zwar aus meiner Perspektive genau dort, wo das Haus Wz. stand, in dem wir wohnten. Es gab eine gewaltige Rauchwolke. Ein Nachbar der Familie H., der das Geschehen ebenfalls beobachtet hatte rief: „Da liegt sie auf der Kumme bei Wz.!“. Mir zuckte es durch den ganzen Körper, hielten sich doch meine Eltern zum Mittagessen gerade dort auf. Ich war in größter Sorge und rannte deshalb so schnell ich konnte über das „Rücks-Päddchen“ zum Haus Wz. Indem ich näher kam, erkannte ich dann jedoch zu meiner großen Erleichterung, dass das Haus noch stand und als ich dort ankam, sah ich, dass noch nicht einmal eine Fensterscheibe kaputt gegangen war. Die Bombe war indessen unmittelbar im Garten hinter dem Haus im weichen Sandboden eingeschlagen und hatte einen mächtigen Krater hinterlassen bei dem der unter dem Mutterboden befindliche weiße Sand hochgeflogen und in der Umgebung verstreut war. Die Energie der Bombe hatte sich wegen des weichen Bodens auf den Bombentrichter selbst beschränkt.


Theodor Breitbach im Herbst 1944

Anfang Januar 1945 fiel an einem Abend eine Fliegerbombe aufs Pfarrhaus, das dabei weitestgehend zerstört wurde. Am nächsten Morgen erfuhren wir, dass ein Bombensplitter den Pfarrverwalter Breitbach getroffen hatte, während der gerade in seinem Wohnzimmer saß. Diese Verletzung habe ihn getötet.


Der Innenraum der Breniger Kirche St. Evergislus, wie er sich bis Anfang der 1950er Jahre zeigte. Glücklicherweise hielten sich die Kriegsschäden der Kirche in Grenzen. Die prächtigen Leuchter ließ der damalige Pfarrer Stahl in den 1950er Jahren entfernen

Vor der Front kamen die Tiefflieger

Seit Sommer 1944 rückte von Westen kommend die Front Deutschland immer näher. Im Herbst 1944 hatte sie die Grenze des Deutschen Reiches erreicht und blieb auf der Linie Hürtgen, Zweifall, Mausbach stehen. Dieses nicht zuletzt deshalb, weil die Alliierten zunächst Aachen als erste deutsche Großstadt einnehmen wollten. Krotts Heimatort Walheim war schließlich schon am 13.09.1944 kampflos von den Amerikanern eingenommen worden. Im Bereich des Hürtgenwaldes entwickelte sich indessen von Ende Oktober bis Anfang 1945 erbitterte Kämpfe, die auf beiden Seiten einen hohen Blutzoll forderten, und zwar von den Amerikanern mehr noch als von den Deutschen. Über die Kämpfe im Hürtgenwald gibt es inzwischen sehr viele gutes und beeindruckendes Informationsmaterial, auf das an dieser Stelle ausdrücklich verwiesen wird. In dieser Zeit wurden die bis dahin blühenden Städte Düren und Jülich wie auch zahlreiche Dörfer der Region durch Bombenangriffe aus der Luft fast dem Erdboden gleich gemacht bzw. total zerstört.

Eine deutsche Luftabwehr durch die Luftwaffe existierte nicht mehr bzw. war der alliierten Übermacht in keinster Weise mehr gewachsen. Relativ gefahrlos konnten alliierte Flugzeuge über Deutschland agieren. Zur amerikanischen Taktik gehörte es damals wie heute, dass vor dem Einsatz der Bodentruppen die Airforce die Vorarbeiten leistet. Dazu Peter Krott in seinen Erinnerungen:

Das Gebiet hinter der Front, also auch wir im Vorgebirge, sah sich ab Jahresanfang 1945 tagtäglich mit der gegnerischen Luftwaffe konfrontiert. Die Jabos, Jagdbomber der Alliierten, waren morgens von Sonnenaufgang bis abends zum Sonnenuntergang unsere Gäste. Sie bildeten immer ein Pärchen und schossen auf alles, was sich bewegte. Sobald sie ihren Sprit verbraucht hatten, kam schon die Ablösung. Sie konnten es sich leisten, ziemlich tief zu fliegen, um alles im Sichtflug zu kontrollieren. Dabei konnte man umgekehrt oft vom Boden aus den Piloten in seiner Maschinen erkennen oder zumindest sitzen sehen. Es war unmöglich, sich zu Fuß fortzubewegen. Das hätte womöglich das Ende bedeutet. Häuser und sonstige zivile Ziele griffen die Tiefflieger nicht grundlos an. Interessant waren für sie militärische Ziele bzw. alles was für die militärische Infrastruktur bedeutsam sein konnte: Das waren Bahneinrichtungen, Fabriken, Wasser- und Energieversorgung. Dennoch waren alle, die sich draußen auf freien Flächen und auf Straßen bewegten besonders gefährdet und wurden auch oft beschossen. Erst wenn die Tiefflieger sich wieder verzogen hatten, konnte man sich nach draußen trauen und seinen Gang fortsetzen. Bis dahin versteckte man sich unter einen geeigneten Baum oder in einer Haustürnische.

Der Luftangriff auf Heimerzheim, vom Samstag, dem 03.03.1945, also nur wenige Tage bevor die Bodentruppen zunächst Heimerzheim und anschließend das Vorgebirge vereinnahmten, hatten im Nachhinein die Region bestürzt. Die Detonationen des konzentrierten Angriffs waren weit zu hören und versetzten auch die Bewohner der umliegenden Ortschaften in Angst und Schrecken: Kommt dieses Übel auch bald über uns? Peter Krott:

„Ich war zu der Zeit in der kleinen Schreinerei H. und das ganze Häuschen hatte die ganze Zeit über gebebt. … Natürlich bin ich aus Angst im Schweinsgalopp in den Unterstand im Hof geflogen. Im Nachhinein können wir froh darüber sein, dass wir damals im September 1944 nicht in Heimerzheim hängen geblieben sind. Vater fuhr immer vorwärts und so sind wir dann ja in Brenig gelandet. Brenig war für mich ein anheimelnder Ort.

Kurz vor der Einnahme Brenigs hatte noch ein großer Luftangriff der Alliierten auf Köln stattgefunden. Es war ein klarer Frühlingstag, als bei hellichtem Sonnenschein die schweren Bomber südlich von Brenig rheinwärts in zwei Phasen von je über 400 Flugzeugen flogen. Über dem Rhein machten sie einen Linksbogen und flogen dann dem Rhein folgend nach Köln. Wir schauten auf dieses Spektakel mit Schrecken und dachten mit Bedauern an die Menschen, die zu der Zeit noch in Köln waren.


Amerikanischer Jäger „Thunderbol“


Lancester-Bomber beim Abwurf von Luftminen und Bomben


Amerikanischer B17 Bomber, wie sie im Zweiten Weltkrieg regelmäßig eingesetzt wurden. Foto: Wikipedia

Einen Bombenangriff erlebte Peter Krott auch, als er zusammen mit dem Meister H. einen Reparaturauftrag in Bornheim erledigen musste. Zuvor hatten Tiefflieger in der Nähe des bornheimer Friedhofs einen mit Munition beladenen Reichsbahnzug beschossen und getroffen. Die nach und nach explodierende Munition richtete in Bornheim viele Schäden vornehmlich an den Fenstern der Häuser an, die notrepariert werden mussten. Während der Fensterreparatur setzte der Bombenangriff ein und die Kundin wies uns den Weg zu dem Keller, den man zum „Luftschutz“ mit Zusatzstützen stabilisiert hatte. „Der ganze Keller hatte gebebt und ich rechnete schon damit, nicht mehr lebend aus dem Keller herauszukommen“, erinnert sich Krott heute mit Schrecken an diese Erlebnis.

Ein Gefühl von Freiheit

Am Dienstag, dem 06.03.1945 wurde Brenig von den Amerikanern eingenommen. In der Nacht zuvor war der Ort noch von der Artillerie beschossen worden. Hier und dort stießen die Amerikaner auf einzelnen Widerstand, so im von der Rückgasse nicht weit gelegenen Schornsberg und im Garten hinter der Metzgerei Haus Breite Str. 10. Die lange Mauer zur Abgrenzung des Geländes zu Haus Rankenberg trennte ebenfalls eine zeitlang die sich noch wehrenden Deutschen von der Übermacht der Amerikaner. Krott weiter:

Der Einnahme Brenigs war nachts ein Artilleriefeuer vorausgegangen, wobei die meisten Granaten auf der Kumme einschlugen (heute Bergkreuzweg), die nicht bebaut war. Die Kumme war morgens voller Einschläge, Trichter an Trichter.

Unser Vermieter Josef Wz. hatte am Tag, bevor die Amerikaner kamen, zusammen mit seinem Bruder Wilhelm die Flucht „über den Rhein“ in Richtung Westerwald angetreten. Außer uns wohnte im Hause Wz. noch eine Familie S., zu der auch ein kleiner Junge mit Namen Lorenz gehörte. Vom amerikanischen Radiosender, den wir in Brenig abgehört hatten, erfuhren wir, dass wir aus den Fenstern weiße Fahnen hängen sollten, als Zeichen der Ergebung. Wir hatten natürlich auch so eine Fahne herausgehängt. Am anderen Tag nach der Einnahme war ich im Ort und alle Häuser waren mit weißen Fahnen in allen Schattierungen behangen. Es sah richtig freundlich aus.

An besagtem Morgen sah ich die Amerikaner mit Gewehr im Anschlag durch das Küchenfenster auf unser Haus zukommen. Dann kamen noch mehrere. Ich informierte die Übrigen im Haus und wir sind dann zaghaft vor die Tür getreten. In unserem Haus lagen auch drei deutsche Soldaten, die mit erhobenen Händen hervortraten. Sie wurden sofort abgeführt.
Vater und ich mussten vor einem Amerikaner die Füße hochheben und die Schuhe zeigen. Nachher hatten wir erfahren, dass deutsche Soldaten sich zivil angezogen hatten, dabei aber vergaßen, die Schuhe zu wechseln. So konnten die Amerikaner sie an Ihren Militärschuhen oder Stiefeln erkennen. Wenn einer von uns zufälligerweise solche Militärdinger angehabt hätte, wären wir zunächst auch in Gefangenschaft geraten.

Nach dem Durchzug der eigentlichen Front blieb ein Teil Amerikaner als Nachhut in Brenig zurück. Die spazierten freiweg durch den Ort und nachts liefen ihre stromerzeugenden Generatoren bei hellstem Licht, denn sie brauchten keine deutschen Flieger zu fürchten. Spätestens ab dieser Zeit stellte sich bei uns das Gefühl von Freiheit und Erlösung vom Krieg ein. Es war ein schönes Gefühl, das wir bis dahin schon fast nicht mehr kannten, aber wir waren noch nicht zu Hause.


Die Kumme selbst (heute Bergkreuzweg) und die Fläche im Bild rechts davon, war voll mit Granateneinschlägen vom nächtlichen Artilleriefeuer. Zum Glück waren diese nicht in die Wohnbebauung eingeschlagen. Die Breniger hatten sich zu der Zeit durchweg in zum Bombenschutz verstärkte Keller zurückgezogen


Blick aus der Vinkelgasse auf die Kirche. Brenig blieb von Kriegsschäden bis auf das Pfarrhaus und die ehemalige Küsterei weitgehend verschont. Die im Bild zu sehende heutige Bausubstanz entspricht zu einem großen Teil der des Jahres 1945. Rechts das Haus Wt. mit einigen Veränderungen. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite steht mit dem hellbraunen Tor der Bauernhof, der ehemals Bernhard P. gehörte. Dieser erzählte schon Wochen bevor die Alliierten kamen, Freunden in Brenig: „Mein Hof könnte in Frage kommen“. Damit meinte er, dass sein Hof von den Alliierten wegen seiner Größe und Lage requiriert werden könnte. Letztendlich war dem auch wirklich so. Die Amerikaner richteten dort gar vorübergehend eine Kommandozentrale ein. Krott: „Die spazierten freiweg durch den Ort und nachts liefen ihre stromerzeugenden Generatoren bei hellstem Licht, denn sie brauchten keine deutschen Flieger zu fürchten“

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Swisttal, im März 2014

Text: Peter Krott und Hans Peter Schneider
Fotos: Archiv Hans Peter Schneider, Peter Krott, Wikipedia

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