Die Zeit vor Perscheid
Neue
Heimat Das Rheinland oder genauer noch Wesseling Berzdorf
wurde erst im Dezember 1953 zu Wolfgang Kamradts Heimat. Im
Kriegsjahr 1944 erblickte er in Rostock an der Ostsee das Licht
der Welt. Dort erlebte die Familie das Ende des Zweiten
Weltkrieges und die ersten Jahre der "sowjetischen
Besatzungszone". Wolfgang Kamradts
Mutter wurde kurz nach dem Krieg zur Alleinerziehenden von drei
Kindern. Weil die schon absehbare sozialistische und zugleich
totalitäre Entwicklung in der noch jungen DDR jedoch nicht
in ihren Lebensplan passte, fasste sie den sehr mutigen und
heimlichen Entschluss, der DDR den Rücken zu kehren. Zu
Weihnachten 1953 besuchte sie offiziell mit ihrer Tochter und den
beiden jüngeren Söhnen Ludwig und Wolfgang ihre
Schwester, die mit ihrer Familie in Wesseling-Berzdorf wohnte.
Mit ihrem letzten Geld und nur kleinem Gepäck kamen die vier
in Berzdorf kurz vor Weihnachten an. Weihnachten gab sie dann
bekannt, nicht mehr in die DDR zurückreisen zu wollen. Für
Wolfgang und seine älteren Geschwister war das die
Überraschung. Mit Nichts in den Händen als ihre drei
Kinder musste die Mutter in Wesseling Fuß fassen und eine
neues Leben beginnen. Das war eine groß Herausforderung.
 Sommer
1953 in Rostock. Geschwister Ludwig und Wolfgang Kamradt, rechts
Wolfgang
Nur
ein Traum von einer Honda Damals schon wie heute noch
verbindet Wolfgang Kamradt mit dem Thema Motorrad drei Dinge: 1.)
die Freude am Fahren an sich 2.) der Motorradsport und
schließlich 3.) die Motorradtechnik. Diese Interessen
führten in letzter Konsequenz zu hohen Fahrleistungen und zu
sportlichem Fahren mit sportlicher und ausgefeilter Technik.
Faszination ergriff Wolfgang Kamradt schon in jungen Jahren, wenn
er ein Motorrad oder das Schaufenster eines Motorradhändlers
sah. Dann konnte er ganz lange stehen bleiben und sehr aufmerksam
hinschauen. Nicht weit von seinem Zuhause in Wesseling-Berzdorf
gab es das Schaufenster von Hans Perscheid von dem in Kamradts
Geschichte noch öfters die Rede sein wird. Hans Perscheids
größter Konkurrent im Wesseling der 1950er und 1960er
Jahre eine Fa. Wilhelm Koch, die außer einer freien
Tankstelle zugleich eine Fahrrad- und Mopedhandlung auf der
Kölner Straße betrieb. Die japanischen
Motorradhersteller waren Anfang der 1960er Jahre in Deutschland
noch kaum bekannt, strengten sich aber sehr an, überhaupt in
Deutschland und der Welt mit ihren Produkten Fuß fassen zu
können. Koch hatte in seinem Schaufenster schon etwa 1960
eine der ersten 50er Honda ausgestellt. Honda wollte mit dem
Modell Sport 50 in den in Deutschland noch alleine
funktionierenden Markt für Mopeds und Kleinkrafträder
einsteigen. Die von Honda gebotene Technik für diese
kleinste Motorradkategorie waren Viertaktmotoren, noch mit
ohc-Steuerung. Die obenliegenden Nockenwelle ließ noch ein
wenig darauf warten, bis sie auch bei den Honda Fünfzigern
zur Regel wurde. Dennoch erschien die Viertakt-Fünfziger
damals sensationell, außergewöhnlich und überaus
modern. Die Fertigungsqualität hatte in der Fachpresse
bereits ein gutes Echo gefunden und die Welt begann nach
anfänglicher Skepsis Vertrauen in die Haltbarkeit des Motors
zu finden, trotz Drehzahlen im fünfstelligen Bereich. Hinzu
kamen die ersten beachtlichen Sporterfolge für Honda im
Straßenrennsport. Im Gegensatz zu den kleinen und im Grunde
dennoch leistungsfähi-geren Zweitaktern von Kreidler, Sachs,
Zündapp und Victoria klang der kleine Honda-Viertakter schon
sehr vornehm und erinnerte schon mehr an ein großes
Motorrad. Händler Wilhelm Koch hatte alles das begriffen und
sein Schaufenster thematisch nach der neuen Rennserie für 50
ccm-Maschinen "Moto Cub" gestaltet. Das an sich war
schon eine Attraktion für den jungen Wolfgang Kamradt. Aber
der damaligen Kaufpreis von über 1.190,00 DM stelle eine
nicht zu erklimmende Hürde dar. Was davon für den
jungen Wolfgang Kamradt blieb, waren nur Träume.
 Die
Honda Sport 50 erschien erstmals 1961 auf dem deutschen
Markt, sie sah der ein Jahr zuvor erschienenen Honda C110
Sport Cup mit 5 PS Leistung sehr ähnlich Foto:
Paul
Woodfood
Im Anfang stand ein Victoria
Moped Den
Führerschein erwarb Wolfgang Kamradt 1960 pünktlich mit
16 Jahren. Das erste motorisierte Gefährt war statt der
Honda ein Moped von Victoria. Die Ersatzteilversorgung erfolgte
über Perscheid, der damals sein Geschäft noch in
der Ahrstraße in Wesseling hatte und offizieller
Victoria-Händler war. Dort war Wolfgang Kamradt regelmäßig
zu finden und nicht nur der. Auch andere Motorradfans seines
Alters fanden sich dort regelmäßig vor dem
Schaufenster ein. Die Gesprächsthemen drehten sich fast
ausschließlich - wie sollte es auch anders in solchen
Kreisen sein - um Tuningmaßnahmen. Wolfgang Kamradt machte
da keine Ausnahme; auch er wollte sich mit der Serienleistung
seiner kleinen Victoria nicht zufrieden geben. "Da wurde
dann umgesetzt, was man gelesen und gehört hatte und was man
selbst mit seinen damals noch geringen Fertigkeiten und dem
bisschen und kaum geeigneten Werkzeug sich zu machen traute. Der
größere Vergaser wurde über einen Gartenschlauch
mit dem Zylinder verbunden. Eine Schlauchschelle sollte ihn dabei
halten. Wir hatten eben damals noch mehr Ahnung von Nichts. Mit
dem so veränderten Motor in der Victoria machte ich mich
dann auf den Weg zum Nürburgring, wo das Eifelrennen
stattfand. Aber der Schlauch wurde auf Dauer vom Kontakt mit dem
Benzin weich und ließ den Vergaser deshalb während der
Fahrt immer wieder mal abflutschen, sodass ich die Fahrt
unterbrechen musste, um ihn wieder neu auf den Schlauch zu
stecken. Trotzdem kam ich schließlich in Müllenbach an
und hörte irgendwo im Wald die Motorengeräusche des
Eifelrennens. Nach Gehör bin ich anschließend durch
den Wald gekrochen, fand ein Loch im Zaun und war endlich an der
Rennstrecke. Es war ein internationales Rennen auf der ehemaligen
Südschleife.
Deubel/Hörner waren in der Gespannklasse die absoluten
Stars. Ich erinnere mich auch, dass in der 250er Klasse jemand
mit dem Namen Erich Waldmann mitfuhr. Das war der Vater des
späteren Vizeweltmeisters Ralf Waldmann aus Ennepetal".
Mit
Kreidler Florett Super weiter als die Welt rund ist Sein
erstes richtiges Kraftrad, jenseits der Welt von Mopeds mit
Versicherungskennzeichen, gönnte sich Wolfgang Kamradt 1963.
Da wusste er schon, dass die kleinen Zweitakter mehr Leistung und
mehr Drehmoment entwickelten als die kleine Honda mit dem
Viertaktmotor. Deshalb legte er sich eine Kreidler Florett Super
mit 4-Gang-Getriebe und dem 4,2 PS leistenden gebläsegekühlten
Motor zu. Diese kleine Maschine hatte zuvor im Geländetrimm
mit Telegabel statt Schwinge, höherem Lenker, größerem
Vorderrad und grob-profilierten Reifen längere Zeit in
Perscheids Schaufenster gestanden. Aber sie ließ sich dort
so einfach nicht verkaufen; vielleicht war sie ja zu exotisch in
diesem Trimm für die Wesselinger Kundschaft. Hans Perscheid
baute sie eines Tages wieder weitgehend in den Serienzustand
zurück, bis auf die Telegabel, die drin blieb. "Dann
bin ich zur Sparkasse und hatte die insgesamt 1.000 DM, die mir
für den Kauf noch fehlten, irgendwie zusammengekratzt."
 Kreidler
Florett Super aus 1963
Mit
dieser Kreidler legte Kamradt in den elf Monaten vom Januar 1963
bis Dezember 1963 sage und schreibe 48.000 km zurück.
Sämtliche Rennstrecken in unserer Republik und im
benachbarten Ausland hatte er quasi mit der Kreidler abgefahren.
Mehrmals in der Woche ging es zum Nürburgring, wo dann auch
stets mindestens zwei Runden Nordschleife zu fahren waren.
Möglich war dieses nur, weil Wolfgang Kamradt sich für
viele weite Touren von seiner damaligen Arbeit frei nahm.
Motorradfahren hatte für den jungen Kamradt also schon eine
außerordentlich hohe Bedeutung. Natürlich war
Kamradts Kreidler Super damals schon getunt. Mit der wertvollen
Unterstützung von Hans Perscheid konnte die serienmäßige
Endgeschwindigkeit von 72 km/h auf 92 km/h angehoben werden. In
der Kleinkraftradszene 1963 war das ein Spitzenwert. "Und
dann hatte ich mir damals auch noch eine Ganganzeige an die
Kreidler gebaut, weil ich dachte, dass ich die unbedingt
brauchte," lacht heute Wolfgang Kamradt. Im Dezember 1963
verkaufte er die Kreidler Florett wieder.
Fortschrittliche
Hercules 1964 erschien der Fünfgang-Motor von Sachs
im Hercules-Kleinkraftrad. Die Leistung war mit 4,5 PS angegeben
und Hercules machte zeitgleich Schlagzeilen mit sportlichen
Erfolgen: So die Weltrekordfahrt für 50 ccm Motorräder
in Frankreich und die Fahrt auf der sogenannten Vogelflugline von
Putgarden bis nach Lörrach in sagenhaft kurzer Zeit mit zwei
seriennahen 50er Hercules. Dazu hatten die Hercules-Leute zwei
Geländefahrer auf die 50er gesetzt: unter anderem einen
gewissen Alfred Lehner, der im Geländesport später noch
sehr bekannt werden sollte. Der Motor war für diese
Rekordfahrt nur geringfügig modifiziert worden, schließlich
wollte man zeigen, zu was eine serienmäßige Hercules
imstande war. Die Zeitschrift DAS MOTORRAD berichtete sehr
ausführlich über diese Fahrt und das kam bei Wolfgang
Kamradt gut an. Ganz besonders interessierten ihn natürlich
die Optimierungen des Motors, die detailgenau in dem besagten DAS
MOTORRAD-Artikel beschrieben wurden. Kamradts Freund Werner
Kolzem und Hans Perscheid hatten sich solch einen neuen
Sachs-Motor besorgt und die beschriebenen Modifizierungen daran
vorgenommen. Bei der nachfolgenden Probefahrt schaffte die kleine
Hercules damit tatsächlich mehr als 90 km/h. Dieses Ergebnis
trug dazu bei, dass Wolfgang Kamradt sich im Januar 1964 diese
neue kleine Hercules bei Hans Perscheid kaufte. In der Folgezeit
tourte er damit durch die Eifel und ganz Mitteleuropa. Das
abgerissene Kolbenhemd etwa in Jahresmitte war alleine dem
Umstand zu verdanken, dass der Einlasskanal im Grauguss-Zylinder
etwas verbreitert worden war. Im Dezember desselben Jahres wurde
die kleine Hercules wieder verkauft. "Da war ich aber schon
etwas ruhiger geworden, denn in den gut 11 Monaten legte ich
insgesamt nur 40.000 km zurück". Kaum einer kann sich
heute solch hohe Fahrleistungen mit Kleinstmotorrädern noch
vorstellen.
1965 widmete sich Kamradt mehr seiner
beruflichen Entwicklung und fuhr wieder Moped, nunmehr eines von
Puch.
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