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Da
stand die Welt zumindest noch im Frieden. Das Foto stammt vermutlich
vom Frühsommer 1936. Der noch nicht ein Jahr alte Helmut liegt
im von seiner
Grußmutter geschobenen Kinderwagen. Daneben
seine Eltern Willi und Hilde Clasen
Vorbemerkung Klar, als Jahrgang 1935 gehört Helmut Clasen zur Generation der Kriegskinder. Der ganze Jahrgang war davon betroffen. Jeder hat und hatte dazu seine eigene Geschichte mit seinen ganz eigenen Erlebnissen, die den Menschen mehr oder weniger für den weiteren Lebenslauf prägten. Städtisches Leben gestaltet sich in vielen Bereichen ohnehin gänzlich anders als das Leben in einem bäuerlich geprägten Dorf, so wie sie etwa in den 1930er Jahren durchweg entlang des Vorgebirges zu finden waren. In der Stadt lebte man in der Regel in Wohnungen, die Teil von Mehrfamilenhäusern waren. Das Angebot von Kultur, Bildung und sozialen Kontakten war und ist in den Städten überaus vielfältiger als in den Dörfern, wo die Naturverbundenheit auch heute noch eine viel größere Rolle spielt. Bombenterror gegen die Zivilbevölkerung war die neue Strategie im Zweiten Weltkrieg. Hilter-Deutschland hatte damit angefangen gegen die Städte seiner westlichen Nachbarn bis hin nach England. Die westlichen Alliierten begannen deshalb bald, es den Deutschen gleichzutun. Die im Westen Deutschlands liegenden Großstädte waren deshalb die bevorzugten Ziele für die alliierten Bombenangriffe. Die rheinische Metropole Köln war deshalb bereits ab den 1940 zunehmend Ziel von alliierten Bomberverbänden, deren Angriffe mit der Fortdauer des Krieges immer heftiger wurden. Typisch für die Zeit war, dass man nicht gerne von den schrecklichen Erlebnissen des Krieges berichtete. Allgemein war man froh, dass dieser vorbei war. Für das Seelenheil schien es damals allgemein ohnehin besser, wenn man nach vorne schaute. Die „Suche nach der neuen Zeit“ fand in den Glücksmomenten statt, die sich im Satt-Essen, in den Gefühlswelten von Heimatfilmen und Schlagermusik und natürlich in den Erfolgserlebnissen der Wirtschaftswunderjahre fanden. Mit dem für viel totalen Neuanfang nach 1945, mit der sogenannten „Stunde Null“ wollte man die schlimme Geschichte möglichst schnell und gründlich hinter sich bringen. Deshalb wurde wohl in den 1950er und 1960er Jahren in den nachkriegsdeutschen Familien nur in begrenztem Rahmen thematisiert. Man beschränkte sich auf das, was inzwischen alles möglich ist und was es von dem „im Krieg nicht gab“. Erst die nach 1970 geborenen Jahrgänge fragen nach 1990 zunehmend Ihre Eltern und Großeltern danach, was denn in den Jahren bis 1945 in ihrem unmittelbaren Umkreis alles geschah. Eine Aufzeichnung dieser Berichte ist in der Regel nicht erfolgt. Inzwischen nimmt die Zahl der wenigen heute noch lebenden Zeitzeugen dramatisch ab. Umso mehr freue ich mich, dass die 1965 nach Kanada ausgewanderte Motorradsport-Legende Helmut Clasen bereitwillig und offen seine ganz persönliche Geschichte aus der Zeit hier zu schildern bereit ist. Für
Helmut Clasen brachte
der Krieg einige besonders dramatische Weichenstellungen für
seinen weiteren Lebensweg. Um seine Geschichte
besser
zu verstehen, setzen wir hier schon vor seiner Geburt bei der
Geschichte seiner Eltern ein. Seine Mutter, sein Vater und sein
späterer Stiefvater waren bereits vor der NS-Zeit durch eine
sehr innige Freundschaft verbunden. Helmut Clasen bezeichnet
diesen Personenkreis deshalb als das „Kleeblatt“. Dank an dieser Stelle gilt nicht nur Helmut Clasen für seine Offenheit und seine Nachforschungen in den eher dürftigen Familienunterlagen, auch dem NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln und hier ganz besonders Herrn Ibrahim Basalamah gilt es hier ausdrücklich zu danken. Die Geschichte war eigentlich schon fertig und ich benötigte nur noch einige Fotos, die sich auf der Homepage des NS-Dokumentationszentrums boten. Meine Anfrage verband ich mit einem Link zur „Baustelle“ der bereits geschriebenen Geschichte. Nachdem Herr Basalamah Helmuts Geschichte und die seines Stiefvaters gelesen hatte, begann er selbst in den ihm zur Verfügung stehenden Archiven zu forschen und überraschte uns alle, also auch die Familie Clasen, mit weitergehenden, bis dahin unbekannten Informationen zu Helmut Clasens Stiefvater aus der NS-Zeit von vor dem Krieg. Dementsprechend schrieb ich die bereits fertige Geschichte gerne nochmals um. Swisttal,
im September 2020 |
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Das „Kleeblatt“ Helmuts Vater
Willi Clasen war ein echter Kölner, Jahrgang 1913, hatte
noch einen jüngeren Bruder mit Namen Hans Rolf und sollte
eines Tages den Sanitär-, Heizungs- und Schlossereibetrieb
seines Vaters in Köln übernehmen. Dann
gab es da noch seinen sehr engen Freund, den
gleichaltrigen Reinhold Steinbach, Architektur-Student und die
mit beiden sehr eng befreundete Hilde
Schawaller, die 1916 in Bottrop
geborenen wurde. Als
die Nationalsozialisten 1933 die Macht ergriffen, wurden die
„Roten Falken“ verboten. Helmuts Vater Willi Clasen
engagierte sich als potenzieller Betriebsnachfolgen da schon
verstärkt um das Unternehmen seines Vaters. 1934 heiratete
er Hilde Schawaller. Willi Clasen, Helmuts Vater, musste bei allem Unwillen gegenüber dem NS-Regime auch an die Verantwortung für seine junge Familie denken. Familie Clasen zum Kriegsbeginn Im September 1939 begann der Krieg und Willi Clasen wurde kurze Zeit später zum Dienst an der Waffe eingezogen. Helmut war da noch keine fünf Jahre alt. Wegen seines Berufes, seiner Familie und der Einbindung in den handwerklichen Betrieb seines Vaters, fand Willi zur Freude seiner Familie seinen Einsatzhort jedoch nicht sehr weit weg von Köln „auf dem Feldflughafen Euskirchen“, wie Helmut später berichtet, dabei handelte es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um den Flugplatz Odendorf, der beim Westfeldzug 1940 strategische Bedeutung fand. Hier war Willi vornehmlich als Chauffeur für die Offiziere tätig. Einmal nahm er sogar seinen Sohn Helmut mit zum Feldflugplatz und fotografierte ihn dort als kleinen Soldaten, wie dieser stolz das Gewehr seines Vaters festhält. Reinhold wurde indessen
aufgrund seiner geringen Körpergröße von 1,55 m
vom Wehrdienst freigestellt. Er wohnte nach wie vor bei seinen
Eltern in der Altstadt, traf sich derweil zunehmend mit weiteren
Widerständlern konspirativ in Kölner Kellern, wo man
Flugblätter mit regierungskritischen
Inhalten und Widerstandsaufrufen verfasste, die sodann heimlich
in der Stadt unter
die Bevölkerung gebracht
wurden. Schicksalhafter 1. März 1941 Zu
einem solchen Besuch bzw.
Treffen des „Kleeblattes“ kam es auch am 1.
März 1941. Bei
der Gelegenheit zeigte Willi
seine Dienstpistole, die er stets bei sich trug. Dabei löste
sich ein Schuss, der unglücklicherweise Willi tödlich
im Kopf traf. Die Kinder schliefen zu der Zeit schon und wurden
zum Glück nicht Zeugen dieses Ereignisses. Wegen seines damals noch zarten Alters von viereinhalb Jahren, erinnert sich Helmut heute selbst nur noch an die Beisetzung seines leiblichen Vaters, die mit militärischen Ehren und Salutschüssen aus Gewehrsalven erfolgte. Nach knapp fünf Jahren bestand damit die junge Familie im Frühjahr 1941 nur noch aus einer Kriegswitwe und zwei Halbwaisen. |
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Helmut
Clasens spätere
Stiefvater Vor
dem Krieg In
der oben bereits geschilderten Geschichte des „Kleeblatts“
muss nun noch ein Nachtrag erfolgen. Gemeinsam
mit seinem Verwandten Jakob Piehl, erstellte Reinhold Steinbach
„kommunistische“ Flugblätter gegen das
Naziregime und verbreitete diese. 1934 hatte Reinhold zweimal
größere Mengen Papier besorgt, und zwar insgesamt
1.500 Blatt. Vermutlich wurde auf einem Teil davon das Flugblatt
„SA-Mann Kruse erzählt“ auf einem Abziehapparat
„Rotari Vervielfältiger“ mit einer Auflage von
200 Exemplaren im Keller seiner Eltern produziert. Reinhold
Steinbach wurde als Verfasser des Flugblattes ausgemacht. Am 27.
August 1935 erließ das Amtsgericht Köln Haftbefehl
gegen Reinhold Steinbach. Er wurde verhaftet und kam zunächst
im Kölner Gefängnis Klingelpütz in
Untersuchungshaft. Am 31. Dezember 1935 erhob der
Generalstaatsanwalt in Hamm Anklage wegen „Vorbereitung zum
Hochverrat“. Am 17. März 1936 wurde er schließlich
vom Oberlandesgericht Hamm zu einer Strafe von zwei Jahren und
acht Monaten Zuchthaus verurteilt. Die drei Monate der
Untersuchungshaft wurden ihm auf die Strafe angerechnet. In
welchem Zuchthaus er untergebracht war, ist nicht bekannt. Eine eigene Erinnerung an alle diese Ereignisse hat Helmut Clasen nicht mehr, im zarten Alter von noch nicht einmal zwei Jahren war es ihm ja auch nicht möglich, diese bewusst mit zu erleben. Danach hatten offenbar sowohl seine Mutter als auch sein späterer Stiefvater, warum auch immer, sich zu diesen Ereignissen sehr weitgehend ausgeschwiegen. Die
totale Diktatur der Nazis war hervorragend organisiert und ließ
nicht den geringsten Hauch von Kritik oder gar Widerstand zu. Die
Verbreitung von Flugblättern mit dem NS-System nicht
genehmen Inhalt wurde schon als Bedrohung für den Staat
gesehen und massivst bekämpft. Die Strafen war vor dem Krieg
schon drakonisch bis tödlich. Während
des Kriegs Reinhold
Steinbach war
ein wagemutiger junger Mann. Trotz seiner mehrjährigen
verbrachten Strafe im Zuchthaus konnte und wollte er nicht seinen
Widerstand gegen den NS-Staat einstellen. In Köln bildeten
sich weitere Widerstandsgruppen, die sich teils trafen und
gemeinsame Aktionen planten und durchführten. So fand
Reinhold auch Kontakt zur Gruppe der „Edelweißpiraten“.
Man traf sich sich konspirativ, war sich einig in den ablehnenden
Werten gegenüber dem Regime, plante und setzte Aktionen in
die Tat um. Der intelligente und sprachbegabte Reinhold setzte
sein Talent gewiss für die Verfassung von Flugblättern
ein. Was genau er schrieb, ist heute nicht mehr bekannt. Seine
Freund von den Edelweißpiraten verfassten simplere Texte,
die dafür schnell gelesen und eingängig waren.
„Macht
endlich Schluss mit der braunen Horde! „So braun wie Scheiße, so braun ist Köln. Wacht endlich auf!“ Für
die GESTAPO
stellten solche Texte eine besondere Provokation dar (Siehe
Wikipedia, Stichwort „Edelweißpiraten“). Eines Tages, es muss 1942 gewesen sein, war Reinhold wohl übermütig, erstieg einen Turm des Kölner Doms, um von diesem aus mehrere Bündel kritischer Flugblätter aus hoher Höhe über ein relativ weites Gebiet vom Winde verteilen zu lassen. Die Aktion war gleichwohl effektiv wie gefährlich. Konnte sie doch der Öffentlichkeit und damit Denunzianten und Spitzeln kaum verborgen bleiben. Als er nach getaner Tat wieder im Treppenhaus des Doms unten ankam, wartete dort bereits die GESTAPO auf ihn und nahm ihn fest. Man brachte ihn ins EL-DE-Haus, am Appelhofplatz 23-25, wo die Gestapo damals Ihren Sitz hatte und ihre Schreckensherrschaft über Köln ausübte. Im Keller dieses Hauses steckte man ihn in eine der berüchtigten Zellen. Immer wieder wurde er verhört und nach weiteren „Komplizen“ befragt. Und weil er nicht die geforderten Antworten gab, wurde er in niederträchtigster Weise gefoltert, tagelang und wochenlang. Von den GESTAPO-Methoden haben viele andere Zeitzeugen berichtet; Reinhold Steinbach wird es in gleicher Weise ergangen sein. Später nach dem Krieg spricht er nicht gerne über diese Dinge, die so grausam für ihn waren. Die im EL-DE-Haus erfahrenen Schmerzen, psychische und physische, werden ihn für den Rest seines noch jungen Lebens begleiten. Nach der GESTAPO-Haft sollte er in ein KZ überführt werden. Auf dem Messegelände in Köln-Deuz war in der Zeit ein Außenlager des KZ-Buchenwald eingerichtet. Anfang der 1940er Jahre steckte man Regimegegner noch als politische Gefangene ins KZ, doch schon 1943 machte sich der NS-Staat solche Umstände nicht mehr, man bevorzugte den „kurzen Prozess“ mit Regimegegnern. So wurden die ebenfalls aufgrund einer Flugblattaktion verhafteten Geschwister Scholl 1943 in München nach kurzem Prozess und Todesurteil durch den Volksgerichtshof und dem dort tätigen „Blutrichter“ Roland Freisler hingerichtet. Am 10. November 1944 erhängte die GESTAPO in Köln-Ehrenfeld in aller Öffentlichkeit 13 Regimegegner, darunter 6 Jugendliche, die zeitweise den „Edelweißpiraten“ angehörten, ohne Gerichtsurteil, was nach heutigem Rechtsverständnis einem Mord gleichzusetzen ist. Insgesamt ist die Gestapo im EL-DE-Haus unmittelbar für 788 Tote verantwortlich, die in der Regel nach heutigem Rechtsverständnis als Mordopfer zu betrachten sind. Reinholds Flucht beim Minenräumen Zur Überführung ins KZ kam es für Reinhold Steinbach aber nicht mehr, weil Rommels Afrika-Corps KZ-Häftlinge für Minenräumarbeiten benötigte. Minenräumungen mussten aus strategischen Gründen sehr schnell von statten gehen. Dementsprechend nutzte man in menschenverachtender Weise KZ-Häftlinge. Reinhold Steinbach erzählt später seinem Stiefsohn Helmut, dass sie „in dichten Kettenlinien über die Minenfelder laufen mussten“, um alle Minen zu finden und zu entschärfen. Aber nicht alle Minen wurden gesehen und die Überlebenschance dieser Minenräumer war ausgesprochen gering. Reinhold wurde unter Zwang diesem Kommando in Afrikas Norden zugeführt. Lange
währte seine Minenräumertätigkeit jedoch nicht.
Mit einigen wenigen Kameraden war er durch ein Minenfeld
gelaufen, ohne Minen zu finden. Aber sie rannten immer weiter und
die Bewacher trauten sich nicht, ihnen durch das Minenfeld zu
folgen. Nach einiger Wegstrecke trafen Sie auf eine Gruppe
Nomaden, vermutlich Tuareg, die die entflohenen Gefangenen
zunächst bei sich aufnahm und versteckte.
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Familie Clasen während des Kriegs - Schwere Zeiten für Kölner Der
Bombenterror gegen die zivile Stadtbevölkerung war Teil der
alliierten Kriegs-Strategie. Zugleich war es die
Reaktion
auf die Aggression von NS-Deutschland gegen seine europäischen
Nachbarn. Als ab 1940
die Bombenangriffe insbesondere auf die im Westen liegenden
deutschen Städte einsetzte, konnte
das
Görings Luftwaffe schon nicht mehr
wirksam
verhindern. Ab 1942 ging man auf alliierter Seite zu einem
strategischen Einsatz der Luftstreitkräfte mit
Flächenbombardements über. Die relativ bombenfreie Zeit in Colditz endete Mitte April 1945. Die Amerikaner hatten kurz zuvor die Stadt eingenommen und besetzt. Das sollte aber nur ein Intermezzo sein, denn gemäß der Konferenz von Jalta, im Februar 1945, sollte schließlich das von den Amerikanern eroberte Sachsen noch an die Sowjetunion abgegeben werden. In Colditz standen die Sowjettruppen bereits östlich des Flusses Mulde. Hilde Clasen wollte sich mit ihren beiden Kindern und ihrer Mutter in keinster Weise der Roten Armee ausgeliefert wissen. Mit der Unterstützung „guter Menschen“ gelang es ihnen kurzfristig in den Teil von Colditz umzuziehen, der westlich der Mulde in amerikanische Hand lag. Die Amerikaner brachte die geflüchteten Clasens zunächst in eine Sammellager zum Entlausen. Von dort aus fand sich schließlich ein Zug, der die Familie zurück nach Köln bzw. nach Köln-Kalk brachte. Die
Stadt erschien in ihrem Inneren total zerstört. Etwas
außerhalb des Zentrums, dort wo auch die Wohnung der
Clasens lag, schien das
Ausmaß der Zerstörungen etwas geringer zu sein, als
einen Kilometer weiter östlich in der Altstadt.
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Zwischenruf Tausendjähriges Reich Das von Hitler heraufbeschworene „Tausendjährige Reich“ endete nach nur 12 Jahren. Diese 12 Jahren reichten aus, um der Welt insgesamt geschätzten 55 Millionen Tote zu bescheren, Abermillionen von „Krüppeln“ an Leib und Seele, Witwen und Waisen, die den Verlust von nahen lieben Menschen erleiden mussten. Insofern waren diese 12 Jahre immer noch viel zu lang.
Gerade
wir Deutsche, die wir selbst Opfer und mehr noch Täter an
diesem Unheil waren, müssen wachsam sein, dass sich solches
in der Geschichte dieser Welt nicht wiederholt. Hans Peter Schneider |
Stunde Null Helmut Clasen erinnert sich hierzu vornehmlich an die Dinge, die ihm damals mit knapp 10 Jahren als wichtig erschienen: „… dass zurückkommende Soldaten meine junge Kriegswitwen-Mutter mit Wohnung umschwärmten. Einige sprachen dabei sogar von Heirat, was mich und seine Schwester jeweils in Panik versetzte“. Der Alltag in der Trümmerwüste Köln eröffnete für die Kinder indessen einmalige Entdeckungs- und Spielmöglichkeiten, die heute kaum noch vorstellbar sind. Wie alle Jungs seines Alters faszinierte ihn natürlich alles was knallte, explodierte und mit dem sich schießen ließ. Es waren im Grunde gefährliche Spiele, die die Erwachsenen jedoch unter den gegebenen Umständen kaum hinreichend kontrollieren konnten. Nachdem
sein Vater schon am Anfang des Krieges gestorben war, lebte
inzwischen auch der Vater seines Vaters, also sein Großvater
nicht mehr. Den Sanitär-, Heizungs- und Schlossereibetrieb
seines Großvaters, den sein Vater ursprünglich
übernehmen sollte, lag nur in der Hand seines Onkels Hans
Rolf Clasen. |
Böser Unfall der Schwester Im Sommer 1948 gab es in Köln schon wieder so etwas wie Straßenverkehr. Neben den Autos der US-Streitkräfte auch Nutzfahrzeuge, denn dem Wiederaufbau der immer noch stark zerstörten Stadt und deren Wirtschaft galten fast alle Aktivitäten. So kam es, dass seine Schwester Rosemarie beim Überqueren einer Straßenkreuzung von einem Auto erfasst und dabei am Kopf schwer schwer verletzt wurde. Sie kam in eines der Kölner Krankenhäuser. In welches, weiß Helmut heute nicht mehr. Dort starb Rosemarie nach 10 Tagen, am 04. Juli 1948 im Alter von nur 12 Jahren. Später erfuhr Helmut, dass es im Krankenhaus nicht genügend Penicillin gab und man sein Schwester deshalb nicht retten konnte.
Reinhold Steinbach wird Helmut Clasens Stiefvater Nur
kurze Zeit später stand auf einmal Reinhold, ihr und ihres
verstorbenen Mannes
schon
totgeglaubter alter
Freund , vor der Wohnungstür. Es war die Überraschung,
mit der Helmuts Mutter absolut nicht mehr gerechnet hatte. Die
alten Freunde erzählten sich, wie es ihnen bislang ergangen
war. Helmut hörte da erstmals die schreckliche und zugleich
abenteuerliche Geschichte Reinholds, die schon lange zuvor so
leicht mit seinem Tod hätte enden können. Man verstand
sich gut und schon nach kurzer Zeit heirateten Hilde Clasen und
Reinhold Steinbach. |
Neue entspanntere Lebensumstände Helmut
besuchte in der Zeit die Mittelschule, die der heutigen
Realschule entspricht. Diese wollte Helmut schnellstmöglich
abschließen, um danach eine Lehre beim Fahrradhaus KÖTKE
oder Engelbert Weis (ENG-WE Räder) beginnen zu können.
Diese beiden Kleinbetriebe erlaubten Helmut schon in der Zeit,
als er noch die Mittelschule besuchte, dass er ihnen bei der
Arbeit zuschaute und hin und wieder anpackte durfte. In der
örtlichen Nachbarschaft des Unternehmen seines Onkels fand
sich damals das „Fahrradhaus Lindlau am Ring“. Das
war allerdings schon so groß, dass man ihm solches
Mitmachen dort nicht erlaubte. „Besonders bei Meister Fritz
Kötke, der spezielle Rahmen für die Profi-Rennradfahrer
baute, lernte ich viel von der Kunst des Rahmenbauens: Feilen,
Schweißen Löten ... und kurz vor Weihnachten 1949
schenkte er mir, dem damals 14-Jährigen, genug Rahmenrohre,
Muffen und was sonst noch zum „Rahmenpaket“ gehörte,
mit dem ich mir meinen ersten eigenen Rennrahmen bauen konnte.
Damit startete ich dann in der Klasse der 14- bis 15-Jährigen,
nachdem ich schon 1948 als 13-Jähriger mit einem normalen
Tourenrad an etlichen kleinen Rennen teilgenommen hatte. Damit
fing meine Siegesserie im Radsport an, welche mich bis zur
Olympiade 1956 ins australische Melbourne führen sollte.
Aber dann kam mein Arbeitsunfall im Kaufhof in Köln
dazwischen, der für mich mit einem zertrümmerten
Fersenbein endete. Die Olympiateilnahme war damit trotz meiner
Nominierung gestorben“: Umzug nach Rösrath Reinhold Steinbach war fleißig. Einerseits verdiente er für die Familie schnell Geld, indem er Arbeiten annahm. Aufzubauen gab es in der Zeit noch sehr viel und mit seinem Bauingenieurstudium wurde er viel gebraucht. Nach Feierabend steckte er jedoch nicht weniger Fleiß, Energie und Disziplin in die Fortsetzung seines vor dem Krieg schon begonnenen Studiums, das er Anfang der 1950er Jahre so weit abschloss, dass er fortan als Architekt und Statiker den Unterhalt für sich und seine Familie verdienen konnte. Es dauerte dann auch nicht mehr lege, dass er sich „mit dem ersten als Architekt und Statiker verdienten Geld“ im wenige Kilometer südöstlich von Köln gelegenen Rösrath ein Baugrundstück kaufte. Zwar war in Helmuts Augen sein Stiefvater ein überaus „fleißiger Arbeiter, aber kein Kaufmann. Dafür sparte man in der Zeit jeden Pfennig“. Mit sehr viel eigener Muskelleistung sollte es schließlich 10 Jahre dauern, bis das neue Heim weitgehend fertiggestellt war. In der Zwischenzeit hatte Helmut auch noch zwei Halbgeschwister hinzu bekommen. Die
traumatischen Erlebnisse in der
Zeit des Nationalsozialismus und hier insbesondere die Verhöre
und Folterungen in der Gestapohaft im EL-DE-Haus verfolgten
seinen Schwiegervater zeitlebens. Oft beklagte er sich über
physische Schmerzen, die er auf die Folterungen zurückführte.
Spannungen und Ärger im Beruf und in der Familie machten ihm
deshalb mangels Widerstandskraft offenbar mehr zu schaffen, als
dieses ohne diese schlimmen Erlebnisse gewesen wäre.
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Text: Hans Peter
Schneider
Fotos: Archiv Helmut Clasen