Paul Greves Ariel Square Four
Motorrad mit seltener Motorkonstruktion Motorräder mit Vierzylindermotoren waren in der ersten Hälfte des letzen Jahrhunderts eine Seltenheit, wenn gleich der sanfte Motorlauf und die mögliche hohe Leistung interessante Aspekte für die Entwicklung eines solchen Motorrades waren. Die kompliziertere Technik und das hohe Gewicht schreckte die meisten Motorradhersteller vor einem entsprechenden Schritt ab. Um so erstaunlicher war es, dass sich 1929 der englische Motorradhersteller Ariel zudem auch noch auf eine Motorenkonstruktion einließ, die an Kompliziertheit kaum noch zu übertreffen war. Der Ingenieur Edward Turner durfte bei Ariel seine Idee von vier im Quadrat angeordneten Zylindern, zwei Kurbelwellen, einer obenliegenden Nockenwelle und einem Blockgetriebe verwirklichen. Entscheidend waren wohl die Überlegungen, dass die vier Zylinder mit einer solchen Konstruktion so kompakt untergebracht werden konnten, dass bei einem geringen Gewicht sowohl ein leichteres Fahrgestell und eine verhältnismäßig geringe Leistung zu sehr passablen Fahrleistungen führen würden. Produziert wurde die Ariel-Vierzylindermaschine anfangs mit 498 ccm Hubraum und wenig später auch mit 597 ccm. Beide Motoren waren mit obenliegender Nockenwelle. Sie trugen zunächst den Namen „F4“ und sorgten für eine internationale Sensation. Thermische Probleme der beiden hinteren Zylinder verhinderten allerdings sowohl sportliche als auch Verkaufserfolge. Von 1931 bis1958 wurden von Ariel insgesamt 15.639 Maschinen unterschiedlicher Square Four Modelle verkauft. 1934 wurde schließlich eine völlig neue Vierzylindermaschine geschaffen und unter dem Namen „Square Four“ auf den Markt gebracht. Der Motor hatte nunmehr stattliche 996 ccm Hubraum und die obergesteuerten Ventile wurden nicht mehr durch eine obenliegende Nockenwelle sondern durch Stößelstangen betätigt. Diese 1000er blieb – wenn auch mit nur geringen Verkaufszahlen – bis in die 1950er Jahre im Verkaufsprogramm. Offenbar legte man bei Ariel in jenen Jahren viel Wert auf eine Prestige-Motorrad, mit dem man auf sich aufmerksam machte, Geld wurde indesen mit dem Verkaufsprogramm der Einzylinder verdient. Die Square Four leistete zuletzt 34,5 PS bei 5.500 U/min und erreichte damit eine Höchstgeschwindigkeit von ca. 160 km/h . Das Gewicht betrug 195 kg. Schon an diesen Zahlen ist erkennbar, dass es kein „reinrassiges“ Motorrad für den sportlichen Wettbewerb war. Sehr viele dieser Maschinen wurden dann von ihren Käufern schließlich im Gespannbetrieb genutzt. Seit den 1980er Jahren kamen wohl mehr Ariel Square Four-Motorräder als Oldtimer nach Deutschland als zu der Zeit, als sie noch bei Ariel neu erworben werden konnte. Auch diesbezüglich stellt Paul Greves Ariel eine Besonderheit dar. |
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Die erste Geschichte Unsere Geschichte beginnt in der damaligen Reichshauptstadt Berlin, wo ein junger UFA-Tontechniker Harald (Harry) Heupel lebte. Der war offenbar gerne für unkonventionelle Dinge zu haben. So lebte er mit seiner Geliebten Renate so ganz ohne Trauschein zusammen, was im Jahre 1936 noch lange keine Selbstverständlichkeit war. Wer damals mobil sein wollte, für den hatte ein Motorrad den Stellenwert, den heute ein Auto hat. Harald Heupel (im Weiteren Harry) hatte damals von einer Square Four-Variante mit einem Hubraum von 1.000 ccm und einer Leistung von 40 PS erfahren und sie anlässlich einer England-Reise sogar aus nächster Nähe erleben können. Harry war danach von dem Motorrad so sehr fasziniert, dass er gemeinsam mit seiner Partnerin alles aus dem Hausrat verkaufte, was nicht unbedingt notwendig war, um an Geld für den Kauf der Square Four zu gelangen. Der Kauf eines englischen Motorrades war seinerzeit sehr unkonventionell. Es war schließlich im dritten Jahr, in dem ein oberster totalitärer Nationalsozialist die Geschicke der Deutschen diktatorisch in die Hand genommen hatte. Die Deutschen sollten ausschließlich deutsche Waren kaufen. Bereits 1933 sahen sich die deutschen Motorradhersteller genötigt, statt der bewährten MAG, JAP und Villiers-Einbaumotoren auf deutsche Hersteller zurückzugreifen. Zudem wurden Einfuhren mit empfindlichen Schutzzöllen belegt. Das alles ließ Harry und Renate nicht davon abhalten, im Spätsommer 1936 die Square Four zum stattlichen Preis von 2.850,00 Reichsmark zu bestellen. Am 16. November 1936 traf die Maschine beim Importeur Brunotte in der Alarichstr. in Berlin-Tempelhof ein. Dort musste sie noch für einige deutsche Besonderheiten umgerüstet werden. Die technische Abnahme erfolgte am 28.11.1936 durch einen Dipl. Ing E. Wagner vom Verein „Beaufsichtigung der Dampfkessel Berlin“ . Die endgültige Zulassung war anschließend am 03.12.1936. Zunächst wurde die Maschine im Solobetrieb genutzt. 1939 besorgte sich Harry sodann einen exklusiven Jokisch-Seitenwagen dazu. Damit machte sich das Paar Ende August 1939 auf eine Urlaubsreise nach Oberammergau. Der Urlaub ging über den 1. September 1939 hinaus und als die beiden sich auf den Heimweg nach Berlin begaben, hatte der Zweite Weltkrieg bereits begonnen. Die Urlaubsgefühle und Erlebnisse dürften von diesem weltgeschichtlichen Ereignis nicht unbeeindruckt geblieben sein.
Von dieser Urlaubsreise existieren noch
private Amateurfotos mit Motiven, wie sie so typisch für
Familien-Fotosammlungen der älteren Generation sind: Man
brachte sich vor einer Sehenswürdigkeit oder vor dem, was
einen beeindruckte in Position und ließ sich vom Partner
fürs Album fotografieren. Nach inzwischen 70 Jahren haben die Fotos der Heupels einen hohen dokumentarischen Wert, auch wenn der Ausschnitt oder die Belichtung manchmal nicht so optimal waren. Die Fotos zeigen, wie viel im ganz normalen Alltag doch so ganz anders war, als wir jüngere das heute kennen. Das fängt an mit der Kleidung jener Tage, wobei die der Motorradfahrer sich nicht von der Bekleidung der übrigen Urlauber unterschied: Die Dame im gepunkteten Sommerkleid und Schuhe mit hohen Absätzen, der Herr im Sommeranzug mit hellen Halbschuhen. Einen Sturzhelm hatte das Paar offenbar zeitlebens nie besessen, trotz der für damalige Verhältnisse ungewöhnlich hohen Leistung und möglichen Höchstgeschwindigkeit der Square Four. Wenn der Wind etwas frischer blies, trug man auf der Maschine einen Mantel und die Dame in Beiwagen zusätzlich noch ein Kopftuch, damit die Haare nicht zu sehr zerzaust wurden. Noch lange nicht waren alle Straßen asphaltiert und an der Tankstelle musste per Handhebel gepumpt werden. Das Ariel-Gespann wäre nicht auf so vielen Fotos zu sehen, wenn den beiden nichts an dem Motorrad gelegen hätte. Es bescherte ihnen mit der Mobilität ein gehöriges Stück Freiheit und wertete das Lebensgefühl auf. Keine Urlaubsstimmung Mit dem Beginn des Krieges sollte die Freude an der Ariel auch nicht mehr lange währen. Als Harry zurück in Berlin erstmals mit der Requirierungskommission zu tun bekam, da hatte er noch Glück, weil die Ariel ja kein deutsches Fabrikat war. Dennoch versteckte Harry seine Ariel. 1942 wurde Harry Soldat an der Front in Jugoslawien. Bei seinem ersten Heimaturlaub heiratete er Renate und ging sogleich daran, die Ariel in alle Einzelteile zu zerlegen: insgesamt waren es ca. 2.600 Teile. Fein mit Schildern markiert wurde das Motorrad so in Holzkisten verpackt. Harrys Plan und Hoffnungen realisierten sich: Ein derart seziertes Motorrad interessierte nachfolgend die Requirierungskommission auch nicht mehr. Harry und Renate überlebten den totalen Krieg. Die Ariel in den Kisten lag indessen unter dem Schuttberg des Hauses begraben, in dem die beiden einmal gewohnt hatten. Der Jokisch Seitenwagen, der nicht in Kisten verpackt werden konnte und der Tacho der Ariel, der von den Rotarmisten nach Harrys Bergungsaktion aus den „Schrottkisten“ geangelt wurde, sind nicht mehr wiedergesehen worden. 1948 zogen Harry, Renate und die Kisten mit den Ariel-Teilen per Rosinenbomber nach Westdeutschland. Dort prüfte Harry den Inhalt der Kisten und konservierte die Teile. Er fand aber nie die Muße, die Ariel-Teile wieder aus den Kisten heraus zu holen, um sie zum ursprünglichen Motorrad zusammenzusetzen. Dann starb Harry Heupel. |
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Die zweite Geschichte Als Renate Heupel 1997 die Wohnung wechseln wollte, da musste sie sich auch um die immer noch in den Kisten lagernde Ariel kümmern. Ihr war es wichtig, dass die Maschine in „gute Hände“ kam. Sie inserierte und prüfte potenzielle Käufer im Rahmen von „stundenlangen Vorstellungsgesprächen bei Kaffee und Kuchen“. In die Kisten schauen durfte derweil niemand. Paul Greve war ebenfalls einer der Prüflinge und nur er wusste am besten die alte Dame zu überzeugen, zunächst mit seinem enormen Oldtimerwissen und seiner überzeugenden Persönlichkeit: Er bekam den Zuschlag . Am 1. Mai 1998 holte Paul Greve die Kisten mit den Teilen ab und zehn Monate später führte er Renate Heupel die fahrbereite Ariel Square Four vor. „Renate Heupel war zutiefst gerührt von dem restaurierten Motorrad“, erinnert sich Paul Greve. Aus dem Kauf des Motorrades entwickelte sich danach zu einer Freundschaft mit Renate Heupel. Diese Geschichte hatte vor 10 Jahren schon einmal die Oldtimerszene fasziniert, als sie die Titelgeschichte in Heft 8/1999 der Fachzeitschrift Oldtimer-Markt war. Der Redakteur Andy Schwietzer hatte über die Geschichte der Ariel Square Four schlechthin und über die Geschichte der Heupel-Ariel im Besonderen einen wunderbaren zu lesenden Artikel über insgesamt acht Seiten verfasst. Leider war es Renate Heupel nicht vergönnt, diesen Artikel in der gedruckten Zeitschrift selbst zu lesen. Sie starb wenige Wochen vor dem Erscheinen des vorgenannten Heftes. Unter http://www.oldtimer-markt.de kann das Heft auch heute noch nachbestellt werden. Mit der Restaurierung oder besser mit dem Zusammenbau der Square Four – die Ariel aus der Kiste hatte beim Zusammenbau 1989 gerade einmal eine bescheidene Laufleistung von 2.400 km - wollte es Paul Greve aber nicht auf sich belassen. Ein Beiwagen sollte wieder dran. Wenn auch ein Jokisch Seitenwagen nicht aufgetrieben werden konnte, so fand sich doch ein Steib-Seitenwagen, der sehr gut zur Ariel passt. Heute
lädt bei passendem Wetter Paul Greve mitunter seine Liebsten
in dieses Gespann, um eine Ausfahrt in die nahe Eifel vorzunehmen
oder an einer der in der Nähe stattfindenden
Oldtimer-Veranstaltungen teilzunehmen. |
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Swisttal,
im Dezember 2009
Hans Peter Schneider
Fotos: Archiv Paul Greve und Hans Peter Schneider