Zurück zur Geschichten-Übersicht

Die Geschichte der weißen OSSA
Sixdays 1971 in England auf der Isle of Man

Vorspiel mit Folgen

Nach seiner Einwanderung aus Deutschland wollte Helmut Clasen in Kanada sein Interesse und seine Ambitionen im Motorsport mit dem Beruf verbinden. Am naheliegendsten erschien ihm deshalb, ein Motorradgeschäft zu betreiben. Auf Grund seiner einschlägigen Geländesporterfahrungen spezialisierte er sich dazu schon sehr früh auf europäische Geländesport- und Motocross-Motorräder. 1969 hatte er sein Geschäft schon so weit aufgebaut, dass der kanadische OSSA-Importeur ihn zum „Ersten OSSA-Händler für Kanada“ erhoben hatte.
Der Motorrad Vereinigung Canadian Motorcycle Accossiation (CMA) war Helmut Clasen bereits kurz nach seiner Einwanderung als aktives Mitglied beigetreten. Er nahm an Wettbewerben teil und fiel dabei bald wegen seiner außerordentlichen Fahrkünste auf.

Kanadische Geländefahrer reisten damals schon seit mehreren Jahren regelmäßig nach Europa, um bei der Internationalen Sechstagesfahrt (ISDT) bzw. den Sixdays ihr Können unter Beweis zu stellen. Sie kamen jedoch immer nur zurück, ohne irgendeinen Erfolg vorzeigen zu können. Selten überstanden sie bei diesem wichtigsten Wettbewerb des Geländesportes den zweiten Fahrtag. 1969 hatte es sich in der kanadischen Szene schon herumgesprochen, dass Helmut Clasen bereits eine Sixdays-Goldmedaille besaß, zudem ein hervorragendes Ergebnis als Sixdays-Einzelfahrer erreicht hatte und internationale Geländesport-Erfahrungen vorweisen konnte. So dauerte es nicht mehr lange und man fragte ihn, was denn für solch einen Erfolg zu tun sei. Helmut Clasen hatte die Frage verstanden, gründete daraufhin 1969 in Ontario eine „Six Day Training School“ und lud jeden Interessierten ein, an freien Wochenenden vorbeizukommen und zu lernen „wie es richtig gemacht wird“.

Im Frühjahr 1970 legte Clasen auf einer Geländestrecke bei Ontario, die auch für die nationale kanadische Meisterschaft gebraucht wurde einen Trainingskurs fest, dessen Schwierigkeitsgrad dem der ISDT entsprach. Clasen: „Es kamen denn auch so um die 20 Interessenten, wohl hauptsächlich aus Neugierde und es ging los. Zuerst schien es den Leuten auch Spaß zu machen.
Als aber die ersten nach einer Runde anhalten und den Schlauch im Hinterrad unter laufender Stoppuhr wechseln mussten, sah ich betroffene Gesichter. Man meinte, fahren und nicht arbeiten solle es sein. Als nach ein paar Runden dann der Vorderrad Schlauch gewechselt werden musste, sah die Sache schon fast lachhaft aus, denn manchen wollte die Steckachse auch nach 30 Minuten nicht wieder in die Gabel rutschen. Auch meine eigenen Reifenwechsel, die um die vier Minuten dauerten, machten nicht genug Eindruck. Man wollte halt nur fahren. Nach einigen Wochenenden waren es schon weniger Fahrer und als an einem Wochenende der große Regen kam - die Gegend dort hatte viel weißen Ton-Schlamm - war der Ofen aus. Man wollte nach Hause.“ Die Teilnehmer des Kursus mögen wohl verstanden haben, welche Herausforderungen bei der ISDT zu bewältigen waren: Schlamm, ein möglicher Reifenschaden und spätestens nach zwei Tagen auch schon ein Reifenwechsel. In der zur Verfügung stehenden knappen Zeit, war alleine schon angesichts der Bewältigung der üblichen Reifenproblemen ein Scheitern vorhersehbar. Viele Kursteilnehmer hatten einfach resigniert."

Clasen weiter: „Es kam zu einer erregten Diskussion wobei ich von „weichen Muttersöhnchen“ sprach. Schließlich rief mir einer so laut zu, dass alle Umstehenden es hören konnten: „Du wirst auch keine Chance bei den aktuellen Sixdays haben. Die sind einfach zu schwierig! Du sollst hier auch keine großen Töne spucken. Beweise doch, wie gut du bist und fahre die ISDT doch selbst noch mal mit!“ Helmut Clasen war ob dieser Äußerung verärgert und entgegnete aus dieser Stimmung heraus: „Ich kann jederzeit dort mitfahren und komme anschließend mit einer Medaille heim!“ Kaum hatte Clasen dieses gesagt, da tat es ihm schon leid. Denn schließlich hatte er seit 1962 keine Sixdays mehr mitgefahren und war sich deshalb nicht so sicher, ob er das noch hinbekäme. Seine Frau meinte obendrauf anschließend zu Hause auch noch: „Ich glaube Du bist bekloppt. Jetzt blamiere dich mal ordentlich!“. Zunächst hoffte Clasen noch, dass diese hohen Erwartungen an ihn bald vergessen würden. Aber damit war es leider nichts, die ganze örtliche Szene ließ nicht locker darin, ihn wegen seiner im Zorn gemachten Äußerung jetzt beim Wort zu nehmen. Schließlich eröffnete man ihm gar die Option, dass, falls er sich für die Teilnahme an den Sixdays qualifizieren sollte, er als Kapitän des kanadischen Silbervasen-Teams starten könne. Die Situation war damit geklärt: Wenn Clasen innerhalb der Szene sein Gesicht nicht verlieren wollte, ging kein Weg mehr daran vorbei, sich nun ernsthaft hinter seine Aussage zu stellen und eine Sixdays-Madaille zu erringen.


Geländsportmotorräder sind Teil seines Lebens geworden, seit 1962 auch beruflich. Hier Helmut Clasen bei Schraubarbeiten 2003 im bayerischen Isny anlässlich der Vintage Enduro Veranstaltung


Werbeanzeige der Ossa Pioneer von 1971 Foto: Helmut Clasen

Individuelles Motorrad wird gebaut

Bei der Suche nach einem für ihn geeigneten Motorrad kam Clasen zu einem erschütternden Ergebnis: In ganz Kanada gab es kein einziges gutes Motorrad, das nach seiner Einschätzung den Strapazen der Sixdays länger als zwei Tage standgehalten hätte. Als "Erster OSSA-Händler" kam für Clasen nur eine OSSA 250 in Frage. Die OSSA 4 speed pioneer, die Clasen als serienmäßige Geländesportmaschine seit 1969 schon in seinem Verkaufsprogramm hatte, würde es nicht schaffen, da war er sich sicher. Schon bei einfachen kurzen Geländefahrten gab es mit diesem Motorrad zu viele technisch bedingte Ausfälle. Im war da schon klar, dass er mit den Vorbereitungen des Motorrads noch sehr viel Arbeit haben würde.

1970 erschienen neue OSSA-Modelle. Zum Verkaufen erhielt er mehrere der neuen OSSA Pioneer 5 Speed Geländemaschine und dem Motocross-Modell OSSA Stiletto. Mit beiden Modellen nahm er selbst an zahlreichen Wettbewerben teil. Dabei stellte er schließlich fest, dass die Basis der Stiletto besser war als die der Pioneer. Einige Lösungen an der Pioneer aber dennoch sehr gut zu gebrauchen waren. Aus diesem Grund entschied er sich, von jedem der beiden Modelle je die besten Bestandteile zu nehmen und diese in eigener Kombination zu seiner ganz persönlichen "OSSA ISDT" zu kombinieren. Clasen: „Man nehme eine OSSA Pioneer und eine OSSA Stiletto (MX Modell), nehme alles auseinander, modifiziere, säge, schweiße, lackiere und aus zwei mache eins. Es wurde eine Trick OSSA 250 in weißer Stiletto-Ausführung. Nach etlichen Monaten Umänderungen und Testfahrten war das Ergebnis schon ziemlich gut und nach dem Winter 1970-71 war sie fertig und ich konnte mit dem Testen beginnen“.





Nachfolgend
zitiere ich Helmut Clasens durchweg in seinem möglichst unverfälschten sprachlich wunderbaren Original. Ich habe seine Ausführungen aus diversen Forenbeiträgen zusammengetragen, transkribiert und lediglich mit einigen Zwischenüberschriften versehen.


Werbeanzeige für die OSSA Stiletto. Dabei handelte es sich Motocross-Version der 250er Ossa. Sie bildete die Basis für Helmut Clasens sehr individuelles ISDT-Motorrad

Qualifikation mit Handicaps

Die 1971er Saison begann und von der ersten Veranstaltung an konnte ich praktisch jede Veranstaltung gewinnen. Von unseren 6-Stunden MX bis zu Mehrtages Enduros, die OSSA lief wie der VW Käfer.

Ein blöder Sturz im Frühjahr bei einer Testfahrt brach mir das rechte Schlüsselbein.

Zwei Wochen später hatten wir schon Mai und die BERKSHIRE 2 DAYs stand in Massachussetts USA an.
Während der Fahrerbesprechung sah ich einen Fahrer den ich zu kennen glaubte und auch der Fahrer beobachtete mich mehrmals.
Nach der Besprechung ging ich zu ihm rüber und sagte zu ihm, dass ich glaube ihn zu kennen. „Ja“, sagte er, „glaube ich auch.“ Ich: „Ich bin original von Deutschland, jetzt in Canada“. Er: „Ich bin original von Schweden, jetzt in USA“.
Ich: „Habe in Deutschland Geländesport betrieben“. Er: „Ich auch, … öfter in „Rund um Onkel Toms Hütte“ (Grins). Ich: „Oh, Schei …, du bist der auf der Husky, der mich jedes Jahr in der 175er Klasse in dem Schei...-Sand versägt hat?“ Er: „Ja. Sand und Schweden passen gut zusammen“. Es war Lars Larson.
Bei dieser 2 Tage Fahrt gewann er unsere 250er Klasse mal wieder und ich machte zwar Gold wurde aber nur Dritter.
Allerdings war ich doch gehandicapt wegen dem nur zwei Wochen alten Schlüsselbeinbruch, welcher noch höllisch weh tat und an jeder Kontrollstelle von meiner Frau mit zwei Aspirin betäubt werden musste.

Aber diese Veranstaltung war für uns Canadier der Qualifikationslauf für die ISDT auf der Isle of Man im September und da muss man halt auf die Augen beißen und mit den Zähnen rollen.


Bershire 1971. Keine Schonung für Fahrer und Maschine

Dazu noch eine kleine Seiten-Story.
Während einer der Sonderprüfungen über 5 km am 2.Tag ging es über eine sogenannte POWERLINE bergauf und bergab.
Ich fliege über die Bergkuppe und sehe das Ziel Banner unten im Tal und übersehe eine 45 Grad im Weg liegende Wasserraste. Es gibt einen Schlag in den Lenker,ein Schmerz zuckt durch meinen Rechten Arm in meine Schulter und bricht mir das kaum verheilte Schlüsselbein schon wieder.
Ich konnte die OSSA zum Stehen bringen und stand für etliche Sekunden am Wegrand und war nicht in der Lage mich zu bewegen. Erst nach einer unendlich scheinenden Zeit, als ich wieder aus den Augen sehen konnte, ließ ich die OSSA im Leerlauf den Berg runter ins Ziel rollen.
Dort konnte man absolut nicht verstehen, dass ein Fahrer in Sichtweite des Zieles so einfach ohne jeden Grund stehen bleibt und ein Päuschen macht.
Erst als die meine Tränen sahen und ich ihnen stotternd sagte was „kaputt“ war, fielen die beinahe um. Schon gleich schrie eine Frau nach dem Sanitöter und Ambulanz … Mensch, ...die 20 Kilometer bis zum Ziel schaffen wir doch wohl noch. Die Ecke rum ist der letzte Checkpoint und meine Frau steht da.
Eine doppelte Ration Aspirin (ja das nennt man Doping) und ich schaffte es bis zum Ziel.
Na ja,ich qualifizierte mich und musste deshalb bis zum Ende weitermachen.
Wieso WEITERMACHEN????
Das ist ne ganz andere Geschichte … aber ich konnte mich für die im September 1971 stattfindende ISDT auf der Isle of Man qualifizieren.

Der Rest des Jahres verlief einwandfrei. Kein einziger technischer Ausfall.
Einen Monat bevor wir nach England flogen wurde die Ossa noch mal gründlich überholt und dann in eine Holzkiste verpackt.“


Helmut Clasen verfolgt Ray Boasman bei einem sechsstündigen Motocross-Rennen. "Ein guter OSSA-Test für die bevorstehenden Sixdays". Die Unterschiede der beiden Motorräder sind bei genauem Hinsehen erkennbar. Boasman fährt die OSSA Pioneer


Siegreiche Zieleinfahrt bei einem über sechs Stunden gehenden
Langstrecken-Motocross-Rennen, wie sie vor über 40 Jahren in
Kanada und den USA beliebt waren. "Der Ray hatte mich sechs
Stunden gejagt, bis ich ihm ein paar Runden vor Schluss doch
noch davon fahren konnte"


Die Teilnahme an der Zweitagesfahrt in Berkshire gehörte
mit zur Qualifikation für die Teilnahme an den Sixdays.
Gleichzeitig wurde die "Weiße Ossa" getestet


Berkshire 1971; voller Einsatz vor des zwei Wochen zuvor
zugezogenen Schlüsselbeinbruch Schlüsselbeinbruchs


Bei der Qualifikation in Berkshire startete auch Clasens späteres Teammitglied Ray Boasman, hier rechts im Bild auf einer OSSA Pioneer, links mit der Startnummer 336 Helmut Clasen. Die beiden erkundeten mit weiteren Teammitgliedern das Nachtleben der Isle of Man

Von London bis Douglas

Unser Silber Vasenteam bestand aus vier OSSA 250. Alle waren in meiner Werkstatt vorbereitet worden, aber aus Kostengründen wurden keine Kopien meiner weißen OSSA gemacht, denn es hätte ja jeder zwei OSSAs kaufen und umbauen müssen. So wurden drei Standard OSSA Pioneer lediglich auf das Feinste vorbereitet.

Kanada, irgendwie voller Erwartungen, wachte auf und schickte 11 Fahrer zur ISDT.

Ein Air Canada-Jumbo wurde gemietet und wir verkauften so viele Tickets an England Besucher, sodass wir Fahrer, die Betreuer, die 11 Motorräder nebst Werkzeug, Ausrüstung und Ersatzteilen fast kostenlos fliegen konnten.

Eine Woche vorher trafen sich alle am Flughafen Toronto. Bikes und Gepäck wurden in die Container verladen und flogen mit uns im selben Flugzeug. Und los ging es. Landung auf Londons Heathrow Flughafen und Papierkrieg gingen ok. Während unser Manager das erledigte, fuhr ich mit einem zweiten Mann in London rein, um einen entsprechend großen LKW zu mieten, der unsere 11 Kisten und anderes Gepäck befördern konnte. Da ich zu der Zeit im Team der einzige Kanadier mit internationalem Führerschein war (damals noch nötig), ging die Vermietung natürlich über meinen Namen.
Eine Kaution von 500 Pfund musste hinterlegt werden und ab ging es zum Flughafen.

Dort wurde alles verladen und außerer mir als Fahrer fuhren noch unsere Fahrer Jim Kelly und Ray Boasman im Führerhaus mit mir. Alle anderen Fahrer und Betreuer hatten Miet-Autos. Mittlerweile war es Abend geworden und wir fuhren in die Dunkelheit hinein. Wir verloren mit dem großen Lastwagen schnell den Anschluss zu unseren Teammitgliedern in den so viel schnelleren Leih-Autos und mussten uns mit dem womöglich auch noch überladenen LKW selbst zurechtfinden.
Aber großes Problem: Rechtslenkung und Linksverkehr. Und wir mitten in London am Hide Park, von wo wir die Autobahn M1 nach Liverpool finden sollten. Nach mehreren Runden um den Park und immer noch kein Hinweis Schild zu sehen, fragten wir einen Taxi Fahrer. Der sagte: „follow me" und weg war er. Also noch ne Runde um den Park, bei der mir mein Beifahrer Jim, der links am Fenster saß, mir immer sagte, wie weit wir noch mit der Karosse von den Lichtmasten entfernt waren. Schließlich erblickten wir dann aber doch noch das Hinweisschild auf die M1 das vorher von einem parkenden LKW verdeckt war. Endlich auf der M1 und dann alle paar Kilometer ein "ROUNDABOUT" (Kreisverkehr) und wir natürlich machten Rechtsabbieger und standen in einem Abstand von wenigen Zentimetern plötzlich einem anderem LKW gegenüber. Da unser LKW Londoner Kennzeichen führte, bekamen wir von den anderen Fahrern böse Worte zugerufen und Finger gezeigt.
Danach hatte Jim die Aufgabe, mir immer zu sagen "LINKS abbiegen!“ und „Abstand vom Bordstein halten!“ denn wir hatten schon etliche Blumen vom Rondell auf dem Gewissen.

Dann tagheller Himmel und unsere Karte zeigte keine Großstadt an. Hmmm?
Dann auf einmal Feuerwehr und jede Menge Polizei. Was war geschehen? Es war der bekannte und berüchtigte Massen-Auto-Unfall im Nebel bei dem über 70 Fahrzeuge zusammengestoßen waren und viele brannten. Dieser Unfall hatte den Stau verursacht, in dem wir nun festhingen. Autos wurden durch den Mittelgraben auf die andere Fahrbahn Seite umgeleitet, LKWs und Busse sollten laut Polizei warten. Aber wir sind doch Geländefahrer. Wir können das. Auf dem Standstreifen ein paar Meter zurückgesetzt und dann mit Karacho im Winkel von 45 Grad durch den Graben bevor die Polizei reagieren konnte - und wir waren weg. Ein Hinterrad Schmutzfänger aus Gummi fehlte später. Na ja … .

Morgens gegen 02:00 Uhr kamen wir im Hafen Liverpool an, von wo aus wir die Fähre durch die Irische See bis zur Insel Man nehmen wollten. Noch so früh am Morgen standen wir auch prima als erste vor der Verladerampe. Und es war saukalt. Wir schlossen die Türen ab und machten einen Hafenrundgang im Dauerlauf,um warm zu werden. Und da drüben ist eine Polizei Wache. Wir rein, lecker warm und großes Hallo als wir den Schupos erzählten das wir rüber auf die Insel wollten. Die wussten, was dort veranstaltet wurde. „Na Jungs, seit ihr Visitors?“ Wir: „Nee, wir fahren mit.“ „Wo sind denn eure Bikes?“
„Die 11 Bikes sind im LKW, drüben an der Fährenrampe.“ … Und dann gings los. Zwei Schupos rennen raus, wie die Wilden. Wir hinterher. „Was ist denn los?“ Schupos: „Seit ihr wahnsinnig, im Hafen einen LKW ohne Bewachung stehen zu lassen, der ist weg.“ Au Backe … „Aber nee, da steht er noch und alles ist noch hinten drin.“ Unter Kopfschütteln, dass wir Kanadier so naiv sein können, zogen die Cops ab zur warmen Wache und wir standen im Kalten am Hafen. Rein ins Auto und Motor und Heizung an.
Aber verdammt eng ist es hier drin. Irgendwie sind wir eingeduselt und wachten erst wieder auf, als wir Getöse um uns herum hörten. Raus und gucken: Jede Menge LKWs und Autos, die alle mit der Fähre rüber wollten, standen nun schön hinter uns. Ha, wir sind die ersten auf dem Schiff.

Und da kommt die Fähre und legt an und ein Matrose springt an Land, guckt sich unseren LKW an und sagt: Der ist garantiert zu hoch und passt nicht auf die Fähre. Es wird gemessen und er hat tatsächlich Überhöhe. „Was tun?“, fragen wir und der Matrose sagt: „Ihr müsst mit einem Frachter am anderen Hafenende zur Insel rüber. Und dann ging es wieder los. Erinnert Ihr Euch, dass wir die ersten in der Schlange sind - und nun irgendwie rückwärts da raus müssen, aber wie?
Das war eine Stunde mit Autos ein paar Zentimeter zurücksetzen und dann wir eine 25 Punkt-Kehre auf einer Fläche so groß wie eine Garage. Und die Fähre musste schon lange wieder unterwegs sein. Mensch die Aufregung und viele böse Worte und böse Finger. Sind alle Engländer so nervös?
Schließlich rüber zum Container Hafen und dann die nächste Hürde. Die im Frachtbüro sagen uns: „Erst in ein paar Tagen und ne anständige Summe Geld auf den Tisch!“ Wir: „Geht nicht! Wir müssen auf die Insel mit den Bikes wegen der Veranstaltung usw. ...“ Die vom Frachtbüro: „Wellllllll, … fuer mehr Geld könnten wir vielleicht nen Platz auf nem Frachter morgen früh finden, ...“
Mehr Geld? 500 Pfund in London schon die Kaution und nun ...???
Jim Kelly, ein gebürtiger Ire, läuuft zur Hafen-Bank und kommt tatsächlich mit einem Credit-Brief über viel Geld zurück. „What the heck, ...how ...“ Jim murmelt was von sein Haus verbürgt ...
Papierkrieg für den Frachter bezahlt, LKW auf dem Frachter verladen und wir zurück zur Fähre für unsere eigene Überfahrt, denn die Zeit bis zur Überfahrt des Frachters wollen wir nicht abwarten. Fähre ist lange weg. Na ja, da wir nun viel Geld haben und es ist ja nicht unser Haus welches futsch geht, kaufen wir (JIM) Tickets für das nächste Luftkissen-Boot und - jeaaaaa, das macht Spaß. Wir haben sogar noch die Fähre überholt und kommen als erste Kanadier in Douglas an. Damit hatten wir das Recht uns in unserem Hotel an der Strandpromenade die schönsten Zimmer unter den Nagel zu reißen.


Auf der in der Irischen See gelegenen Isle of Man spielt Motorradsport seit über 100 Jahren eine regelmäßig eine Rolle Foto: Wikipedia


Seit 1907 berühmt berüchtigte Tourist Trophy auf der Isle of Man. Joey Dunlop zwischen Kate´s Cottage und Creg ny Baa. 1971 fanden dort außerdem die ISDT statt, die Helmut Clasen in seiner neuen Heimat besonderen Ruhm einbrachten Foto: Wikipedia


Bis zur Insel Man musste die Irische See durchkreuzt werden. Für einen LKW musste zuerst ein passendes Schiff gefunden werden. Das Foto entstand 1965, als dort ebenfalls die Sixdays stattfanden Foto: Walter Kronenberg


Ansichtskarte des Hafens von Douglas, Hauptstadt der Insel

Neue Zylinderköpfe per Privat-Jet

Nach und nach trudeln auch unsere anderen Kanadier mit ihren Leihfahrzeugen und Gepäck ein und wir Besichtigen die uns zugestellte Garage, in der wir unsere Bikes zusammenbauen können. Ziemlich klein für 11 Motorräder, aber wenn das Wetter auf unserer Seite ist, werden einige im Freien arbeiten müssen. Und nun beginnt die Wartezeit auf den Frachter mit unserem LKW. Bis dahin können (müssen) wir uns die Zeit vertreiben.

Erst besuchen wir mal Freunde aus anderen Nationen und dabei finden wir die spanischen National-Fahrer und deren Teammanager (ein Neffe oder so vom OSSA Fabrik Eigentümer). Ein gutes Verhältnis beginnt, als der hört, dass wir, das Kanadische Silbervasen-Team alle auf OSSA fahren. Wir beobachten die Spanier, die ihre OSSAs zusammenbauen und sehen, dass die auf ihren Standard-Zylindern überdimensionale Zylinderköpfe montiert haben. Aha, die haben also auch mit Überhitzung im oberen Bereich zu tun. Ich spreche mit dem Manager und der sagt, dass der Pilzkopf das Klingeln der Überhitzung verhindert und nun beginnt die große Bettelei: „Habt ihr zufällig noch vier Pilzköpfe für uns Kanadier im Reisegepäck? Biiiiiittttteeeee.“ Er: „Nein, haben wir nicht.“ Ich sage ihm, was ich alles an der Ossa gemacht habe und er zeigt sich interessiert: Zylinderkopfmodifizierungen mit drei Kerzenlöchern. Er lässt sich genau erklären wo die drei Löcher im Kopf sitzen … und sagt: „OK, wir müssen einen schnellen Flug nach Barcelona machen um einige vergessene Teile zu holen, wir bringen vier extra Pilze mit.

Die fliegen am selben Tag noch mit einem Privat-Jet ins Werk und haben Tatsächlich am nächsten Nachmittag für uns vier Pilzköpfe und siehe da, nicht nur unsere Pilze haben drei Löcher sondern auch denen ihre Pilze hatten über Nacht zwei zusätzliche Löcher verbohrt. Wozu drei Löcher?
Die OSSAs hatten damals nicht die besten Bremsen. Ich hatte zur Verbesserung der Bremsleistung ins hintere Loch des Zylinderkopfes ein Dekrompressionsventil mit Hebel am Lenker montiert. Damit konnte man besonders auf schmierigem Boden bei den Bergabfahrten die Bremswirkung dosieren. In den beiden vorderen Löchern hatte ich Kerzen mit mit zwei verschiedenen Brennwerten montiert. Eine zum Kaltstarten Morgens früh und die andere für den Fahrbetrieb. Motoplat hatte für Zweizylinder-Motoren eine Zündspule mit zwei Zündkabeln, welche ich mit je einem Schalter versehen, verbaut hatte. Die OSSA Fabrik hatte aber keine Doppel-Zündspule für die spanisczhe Nationalmannschaft dabei und es fehlte auch die Zeit für langwierige Umrüstmaßnahmen. Die begnügten sich deshalb damit, einfach den Kerzenstecker umzustecken, was auch problemlos funktionierte.

Wir waren alle ganz schön happy.


Zusammenkunft und Gruppenfoto mit den alten Freunden aus Porz. Dazu hat Helmut Clasen sogar seine "Weiße OSSA" mit ins Bild gefahren Foto: Walter Kronenberg


Fahrzeugabnahme und Versiegelung aller wichtigen Bauteile, wie Motor, Rahmen, Gabel, Räder und Schwinge mit einer speziellen Farbe. Im Hintergrund Blick auf die Irische See Foto: Walter Kronenberg

Gefährliches Nachtleben auf der Insel

Abends beschlossen wir drei, die wir im LKW gefahren waren, mit einem der Leihautos ins Casino zu fahren, um uns mal das Innere von Douglas, der Hauptstadt der Insel, anzusehen.
Wir gondeln so die Promenade entlang, als plötzlich RAY schreit: „Helmut stop the car!“ Ray war ein aus England eingewanderter Kanadier, war deshalb wohl auch eine wahrer Gentleman und hatte zudem Bärenkräfte. Ich stoppe also und Ray springt aus dem Auto und rennt über die Straße zum Kai wo zwei Männer auf eine Frau einschlagen. Jim und ich starren gebannt rüber und sehen, wie Ray die zwei Männer beherzt mit ein paar Treffern auf die Seite schleudert, damit die von der Frau ablassen. Da geht dieses Weib jedoch hin und schlägt den Ray mit ihrem Regenschirm über den Kopf. Ray will mit ihr sprechen und da kommt von hinten einer der zuvor weg-gestoßenen Männer und will Ray mit einer Flasche über den Schädel schlagen. Jim und ich schreien: „RAY, watch out!“ Ray kann sich noch soeben ducken, bekommt die Hand und den Arm des Mannes zu fassen und schlägt den Arm mit soviel Kraft gegen das eiserne Ufer-Geländer, dass wir bis zu unserem Auto das Splittern von Knochen und den Schrei des Angreifers hören können. Sekunden später springt Ray in unser Auto, ich gebe Gas und wir verschwinden um die Ecke, finden wenig später das Tanz-Casino und haben schließlich noch einen schönen Abend. Ray, schon immer unser Sorgenkind, müssen wir jedoch ermahnen, sich aus anderer Leute Probleme herauszuhalten, denn er ist Team Fahrer und wir wollen ihn nicht verlieren. Er gelobt sich zu benehmen.

Am nächsten Morgen erscheint unser Frachter samt LKW und wir sind besonders happy, denn die Tage vergehen schnell und wir haben bis zur Technischen Abnahme noch viel Arbeit. Tagsüber wird geschraubt aber abends müssen wir mangels Licht aufhören. Deshalb beschließen wir, mit dem kompletten Team uns das Innere der Insel anzusehen, besonders den großen und berühmt berüchtigten internationalen Straßen-Rennkurs.
Also nehmen wir den LKW. Bei mir vorne im Führerheus sitzen noch Jim und Ray (LKW Brigade) und der Rest der Kanadier sitzt hinten Stauraum der Ladefläche. Und dann geht es los. Eine Runde über den Kurs, aber die hinten im Stauraum können nichts sehen und werden nur in jeder Kurve, da alles auf dem Boden sitzt, durchgeschüttelt, obwohl ich mir als Fahrer größte Mühe gebe, sanft durch die Kurven zu fahren. Also beschließen wir, an den meisten an der Strecke befindlichen Pubs bzw. den typischen englischen Kneipen eine Pause zu machen und uns die vielen Rennbilder an den Wänden anzusehen. Dazu wird jeweils ein Dart Game (Wurfpfeil-Spiel) gespielt, wobei der Verlierer immer die Bierrunde bezahlen musste. Als Fahrer des LKW trinke ich nur Limo und bin nicht so direkt an den Spielen beteiligt. Und so spielten wir uns von Kneipe zu Kneipe bis uns ein Schild sagte, dass da im Tal eine besonders alte schöne Pub sei. Also rechts herum ins Tal und da sehen wir auch schon ein wirklich schönes Haus und alt mit weit ausladendem Balkon und noch ein Parkplatz zwischen den anderen Autos. Rein in die Lücke – aber war da nicht ein kleines kratzendes Geräusch? Ja vielleicht, aber jetzt zunächst einmal alle Mann raus aus dem LKW und rein in den Pub. Von zwei älteren Damen, wurden wir herzlich willkommen geheißen und erfuhren sodann, dass diese die Eigentümerinnen des Pubs waren. Und los geht es mit dem Dart Game und dem Biertrinken.
Ich sitze neben der Tür, sehe mir das Spiel an und nippe immer wieder an meiner Limo.

Ray hatte schon vorher etliche Spiele verloren und war auch nicht mehr wirklich sicher auf seinen Beinen. Jetzt ist er wieder dran mit dem Dart Game: Er nimmt alle drei Pfeile als Bündel und schmeißt die mit vollster Wucht in Richtung Zielscheibe. Er hatte wohl nicht so gut gezielt. Ein Klirren und ein Aufschrei hinter der Theke. Eine der alten Damen kommt hinter der Theke hervor, wo sie sich wohl wenige Sekunden zuvor noch gebückt hatte und als sie sich sodann herumdreht, sieht jeder, dass sie einen der Pfeile bis zum Anschlag in ihrem Allerwertesten sitzen hat .Erst ist alles mucksmäuschenstill und angespannt im Pub, dann fängt die andere alte Dame an zu lachen und sogleich brüllt das ganze Lokal los. Ray geht rüber und zieht den Pfeil mit einem Ruck raus aus dem Allerwertesten, ein erneuter Aufschrei und dann hat die zunächst vom Pfeil getroffene und nun befreite Dame plötzlich einen Baseball.Schläger in der Hand.
Ich ganz smart als erster raus um den LKW schon in Fluchtrichtung zu drehen.
Rein in den LKW, starten, Rückwärtsgang rein, will raus aus der Parklücke und da gibt es einen gewaltigen Krach im überhängenden Dach des LKWs. Offenbar hänge ich mit dem LKW fest. Ich gebe mehr Gas und komme endlich frei, wende schnell auf dem Parkplatz und da kommen unsere Leute auch schon. Hinten Klappe auf und alles mit Hechtsprung in die dunkle Öffnung, Klappe zu und Gaaaas. Hoffentlich sind auch alle drin, denke ich, sonst Gnade Dir … . Wir haben es am Ende geschafft, wohlbehalten in unserem Hotel anzukommen.
Später am Abend berichtet mir einer unserer Leute, der schon draußen vor dem Pub war und mein Wendemanöver beobachtet hatte: Als wir vollbeladen beim Pub ankamen haben wir unter dem überhängendem Balkon geparkt. Da war der LKW wegen des Gewichtes der Ladung noch etwas in den Federn und es gab nur ein leichtes Kratzen mit dem LKW-Dach am Balkon. Als alle ausgestiegen waren, ging der LKW um einige Zentimeter in die Höhe und klemmte sich am Balkon fest. Als ich nun alleine im LKW rückwärts herausfuhr, nahm ich etliche Teile des Balkons mit. Schei... . Da es schon Dunkel war, hoffen wir das niemand das Kennzeichen lesen konnte. Bei der nachfolgenden allgemeinen Besprechung gelangten wir zu der Einsicht: Wir müssen mehr vorsichtig sein.




Typische Ansicht eines englischen Pubs


Bei den Vintage-Enduro-Veranstaltungen geht es heute weniger gefährlich zu als am Vorabend der ISDT 1971. Das Foto entstand in Ormstown 2011


Bub auf der Isle of Man


Englischer Truck Foto: Frankfurter neue Presse

ISDT 1971 – Teilnahmebericht des Silbervasenteams

Die Motorrad-Montagearbeiten können rechtzeitig beendet werden, die Testfahrten sehen gut aus, Papiere und Technische Abnahme sind ebenfalls problemlos und dann stehen die Bikes auch schon im Park Fermé.

Start erster Tag
Kanadische Fahrer-Besprechung am Vorabend sagte: „Unbedingt dran denken, dass hier LINKS-Verkehr ist. Ich mache mir eine Klebefolie „LINKS FAHREN“, um die hinter mein vorderes Nummernschild zu kleben.

Und da hat es am ersten Fahrtag schon mein Vasenteam-Mitglied Murray Dochstaeder erwischt. Um einem Taxi auszuweichen reagiert er zur falschen Seite, schlägt gegen ein Brückengeländer, wird darüber geschleudert, stürzt nach unten und knallt auf die Uferfelsen, einen Meter vom Wasser entfernt: Oberschenkel-Bruch und aus.
Damit ist unser Vasenteam schon geplatzt. Jetzt geht es nur noch ums „Überleben“ der restlichen Fahrer. Auch andere Nationen-Fahrer haben Unfälle und wer in einen Unfall verwickelt wird oder ein Ticket (Anzeige der Polizei nach Straßenverkehsvergehen) bekommt, ist nach FIM-Gesetzen raus aus der ISDT.

Meine OSSA läuft sehr gut und ich fühle mich auch sehr wohl und kann den ersten Tag gut überstehen. Keinerlei Reparaturen nötig. Kette fetten, Schwimmerkammer mittels Entleer-Ventil entleeren, beide Benzinschläuche mit Pitschklammer verquetschen und ab ins Park Fermé mit dem Motorrad.

Zweiter Fahrtag
Nichts Außergewöhnliches. Aber immer pendelt man rüber auf die verkehrte Seite der Straße und nur mein Warnschild „LINKS FAHREN“ warnt mich früh genug.
An einer Nachmittags-Kontrolle böse Nachricht. Robert Tire unser anderes Vasenteam-Mitglied ist von einem Trail (Pfad) ins Tal abgestürzt, ist halbwegs runter hängen geblieben und hat dann in Panik die 300 Pfund Maschine den Berg hochgewuchtet, ohne zu erkennen, dass er nur bis ins Tal hätte runterfahren brauchen, um dann mit Schwung den Berg hoch zu fahren statt zu wuchten.
Als er seine Ossa wieder auf dem Pfad hatte, ist er ohnmächtig geworden und hat insgesamt seine Stunde Karenzzeit überschritten und ist damit RAUS.

Mein Tag verlief Zufriedenstellend und konnte Abends meine OSSA ins Park Fermé stellen.

Dritter Fahrtag
Regen und Nebel und das ist Richtig Schei... auf der Insel.
Aber ich schaffe die Zeiten ziemlich gut und die OSSA tut was sie muss. Sie läuft ohne Mucken.

Aber da ist Sorgenkind RAY, außer mir der letzte Vasenteam-Fahrer im Wettbewerb.
Er hat eine Kurve verpasst, hat seine OSSA hingelegt und schlittert quer über die Straße in das Auto einer Frau und demoliert mit seiner Fußraste die Tür des Autos. Ray blitzschnell auf und weg.
Am Abendtisch dann die eigene Radiostation der Insel in ihren Meldungen über die INSEL mit einem Aufruf : „Der Fahrer der das so und so gemacht hat (warum guckt auf einmal alles rüber zum RAY???), solle sich bitte bei der Polizei melden damit der Schaden über Versicherung usw. …“ … ja, ja, … und: damit wäre auch RAY raus aus dem Wettbewerb, also wegen des Unfalls. „Also Klappe halten … und hoffen. … RAY, please,...reiß Dich zusammen!“

Vierter Fahrtag
Ist das nicht ein harmloses Tal da unten?
O ja, der vierte Tag ist oft bei den Sixdays der Rausschmeißer-Tag.
Wer dann noch in der Wertung fährt, wird nochmal bis zum Letzten durch die Mangel gedreht. So auch hier.
Die Auffahrt aus diesem Tal erweist sich als eine kleine Katastrophe. Der Regen am Vortag hat alles aufgeweicht und hier geht es einen langen steilen Berg hoch, Schräghang zur Seite abfallend und das Schlimmste in der Mitte ein Verschlammter Graben. Da das gegenüberliegende Ufer ja höher lag, ist ein Überspringen mit dem Motorrad praktisch unmöglich.
Die Amis hatten den Berg am Vortage besichtigt und einen Plan ausgeheckt.
Die Betreuer bekommen gelbe Nylonanzüge (Jacken) und werden im Zick-Zack so über den Hang aufgestellt, dass die US-Fahrer nur auf diese Leute zufahren müssen, um dann herumzuschleudern und auf die nächste gelbe Jacke zuzusteuern. Aber am Schlammgraben waren sie auf sich selbst angewiesen und mussten Entscheidungen treffen.
Und da war was los. Der Berghang war übersät mit Männern und Motorrädern und jeder versuchte auf seine Art einen Weg zu finden, und ganz oben auf der Straße war die ZK zu sehen, was den Stress noch erhöhte.

Als ich aus dem Tal an den Berghang gelangte gab es nur eines: Beten.
Oder aber da war doch noch was? Ich hatte an der linken Seite meiner OSSA eine Pressluftflasche montiert, mit einem Schlauch der lang genug war, um bis an die Schlauchventile beider Räder zu reichen.
Also schnell die Luft vorne und hinten drastisch herausgelassen um eine möglichst große Auflagefläche zu erzeugen und … Gaaaas … Wie ein Wunder konnte ich genügend Anlauf-Geschwindigkeit erlangen, um den verdammten Schlammgraben an der schmalsten Stelle fast ganz zu überspringen. Der Aufprall bei der Landung auf der anderen Seite war ein gewaltiger aber der platte Hinterradreifen fand Gripp und half mit, den weiteren Hang hochzukommen. Mit ein paar „Früh-Minuten“ an der ZK konnte ich auch gleich wider über die Pressluftflasche meine Reifen aufpumpen. Selbst der große englische Trial-Master Sammy Miller verlor an diesem Hang eine Minute und fiel in Silber zurück.

Im Hochmoor am Nachmittag musste ich mir dann auch noch an einem im Gras versteckten Felsen den linken dicken Zeh brechen (Bilgeri Stiefel).
Um den geschwollenen Fuß am nächsten Morgen wieder in den Stiefel zu bekommen, sprühten wir in den Stiefel und auf die Socken Kettenfett: Damit flutschte der Fuß mit Ach und Krach in den Stiefel.

Fünfter Fahrtag
Verlief für mich einwandfrei.

Sechster Fahrtag
Auch der Vormittag verlief für mich einwandfrei. Dann stand dass Schlussrennen auf dem Plan, bei dem es sich damals noch üblicherweise um ein Straßenrennen handelte. Dieses fand auf dem sogenannten „Kleineren Douglas-Kurs“ statt.

Noch schnell den Luftdruck in den Reifen erhöht, alles Unnötige von der OSSA entfernt, aufgetankt und etwas mehr Öl ins Benzin dazu gegeben.
Den verschmierten Barbour-Anzug ausgezogen und entweder Wellnhofer oder Lederzeug angezogen,und dann gings los. Unsere 250er Klasse hatte man mit der 350er Klasse zusammengelegt. Besonders die 350er Italiener-Viertakter waren auf den Geraden sehr schnell (6 Gänge), sodass ich in den Kurven räubern musste, um denen ein paar Meter abzunehmen.

Diese Jagd wurde vom Manager des spanischen National-Teams beobachtet und da ich seine eigenen OSSA Fahrer abhängen und dann auch die 250er Klasse gewinnen konnte, kam er nach dem Rennen und gratulierte mir zum Gold und zum Erfolg überhaupt.
Er fragte sodann, ob er von meiner OSSA Detail-Aufnahmen machen dürfte, wogegen ich absolut nichts hatte. Ich war viel zu sehr mit den Gratulationen unserer Kanadier und meiner Deutschen Freunde beschäftigt.
Unsere Kanadier wussten in diesem Moment, das ich in Kanadas Geschichtsbuch mit der ersten Gold-Medaille für Kanada eine neue Seite eröffnet hatte.


ISDT bzw. Sixdays Parc Fermé 1971 Foto: Walter Kronenberg


Isle of Man 1971: Die Sixdays sind voll im Gange und Helmut Clasen mittendrinnen Foto: Helmut Clasen


Helmut Clasen auf Goldkurs Foto: Helmut Clasen


Die rutschigen Bergpassagen waren für manchen Sixdaysteilnehmer sehr schweißtreibend Foto: Helmut Clasen


Dieser Sixdaysteinehmer auf einer OSSA Pioneer ist nicht Helmut Clasen, wie auf einigen anderen Internetseiten fälschlich angegeben wird Foto: Helmut Clasen


Das Schlussrennen am sechsten Fahrtag ging über asphaltierte Straßen Foto: Helmut Clasen


Sixdays-Nachlese

Ach ja,..bei der Rückgabe des an mehreren Stellen demolierten LKWs, den wir (Jim Kelly und ich) so in eine dunkle Ecke der Halle reinbugsierten, dass eine genaue Überprüfung nicht möglich war (es war auch abends), konnte ich mein Kautionsgeld zurückbekommen und mit einem Taxi schnell zu unseren Kanadiern zum Flughafen zurückkehren.

Zu Hause in Kanada
In Kanada wurde dieser mein Erfolg beim Premier Minister in Toronto mit einem tollen Bankett gefeiert.
Auf einer weiteren Feier in Toronto wurde ich als „Ambassador of Motorsport“ (Botschafter des Motorsports) ausgezeichnet, unser kanadischer oberster Motorsport Verband CMA verlieh mir die Ehrenmitgliedschaft.
Es war ein sehr gutes Jahr 1971.

Ossas Sixdays-Replika
Zwei Jahre später brachte OSSA Spanien eine Kopie meiner „Weißen OSSA“ als OSSA SDR (Sixdays Replika) auf den Markt. Aus Kostengründen konnte das Werk natürlich nicht alle meine Umänderungen in die Produktion einfließen lassen, aber man gab sich Mühe und dieses Modell verkaufte sich gut, wenn auch nur noch für kurze Zeit, denn auch dieses Werk war vom Untergang bedroht.


Clasens Prototyp wurde 1972 von OSSA nachgebaut

Heute noch könnte ich heulen, dass ich damals aus mir heute unbekanntem Grund meine „Weiße OSSA“ verkaufte.
Eine Nachforschung diese OSSA wiederzufinden blieb bis heute erfolglos.

Sixdays 2008
Bei der ISDE 2008 (jetzt International Sixdays Enduro) in Griechenland starteten 7 Kanadier und alle beendeten die ISDE, davon fünf Silber- und zwei Bronze-Medaillen.
Ich bin stolz auf unsere Jungs.


Zeitungs-Meldungen


Gratulations-Brief des Premiers


Hier ist der

Link zu Clasens Fotoalbum zu dieser Geschichte

zurück zum letzten Kapitel

zur nächsten Geschichte

Swisttal, im August 2012

Text: Helmut Clasen und Hans Peter Schneider
Fotos: Archiv Helmut Clasen

Zurück zur Geschichten-Übersicht