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Helmut „Speedy“ Clasen
Kölner wurde „Gelände-Legende in Nordamerika“

Hercules-Werksfahrer – nur ein Intermezzo

Nach seinem Sixdays-Erfolg war Helmut Clasen einmal mehr eingefleischter DKW-Fahrer. Wenn er als Privatfahrer schon mit seiner alten DKW schon das Gros der Werksfahrer regelrecht deklassiert hatte, wie erst hätte er mit einem aktuellen Werksmotorrad abgeschnitten. Andererseits konnte keinem am Geländesport teilnehmende Werk daran gelegen sein. Eine solche Niederlage ein weiteres Mal hinzunehmen. Die Karten für Helmut Clasen standen im Herbst 1963 also sehr gut, dass sich ein Motorradhersteller um Ihn als Werksfahrer bemühte. Clasens Traum war es, dass sich DKW bei ihm aus diesen Gründen melden würde, sozusagen im Gegenzug für seine Leistung auf einem DKW- Gebrauchtmotorrad. Was hätte es also schon Naheliegenderes geben können? Aber es kam alles ganz anders.


Hercules engagierte sich traditionell im Motorrad-Geländesport und bot mit Beginn der 1960er Jahre für die Kundschaft serienmäßig wettbewerbsfähige Motorräder an, wie diese K 101 GS aus dem Jahre 1961 mit 100 ccm Motor

Zuerst meldete sich Maico und ihn zu Gesprächen ins Werk nach Pfäffingen ein. „Aber irgendwie hatte ich mit denen kein gutes Gefühl“, erinnert sich Clasen heute noch. So lehnte er kurzerhand den ihm vorgelegten Maico-Vertrag ab.
Aber dann kam zunächst ein unerwartet langes Warten, bis er schließlich ins Hercules-Werk nach Nürnberg eingeladen wurde. „Der Vertrag war o.k., zumal der Alte Kaiser von Sachs mir gute Motoren versprach“, so Clasen. Länger wollte Clasen nicht auf weitere Angebote warten; schließlich gehörte Hercules in den kleinen Hubraumklassen bis 175 ccm zu den Marken, die für erste Plätze gut waren. Er unterschrieb den Vertrag mit Hercules für zwei Jahre.


Max Kaiser war bei Sachs für die Entwicklung der Wettbewerbsmotoren zuständig und genoss bei den Fahrern wegen seiner Kompetenz und Verbindlichkeit ein sehr hohes Ansehen. Er wurde deshalb ehrenvoll der „Sachs-Kaiser“ genannt. Bei allen wichtigen Wettbewerben war er selbstverständlich als Betreuer zugegen.
Das Foto stammt von Walter Kronenberg 1963 bei den Sixdays in der CSSR



Eine Woche nach der Vertragsunterzeichnung mit Hercules kam, was unbedingt kommen musste: Clasen erhielt von DKW die erwartete Einladung. DKW hatte sich zu lange Zeit gelassen und damit den Anschluss verpasst. Das war dann auch der Zeitpunkt, an dem es Clasen erstmals wurmte, bei Hercules schon unterschrieben zu haben. Und es wurmte ihn wenig später noch viel mehr, als er erfuhr, dass er „im ersten Jahr auf einer 50er dem Heinz Brinkmann Rückendeckung“ geben sollte. Das musste Clasen zunächst einmal schlucken und verdauen: Eine 50er, auf der er mit seinen 75 kg Gewicht zuzüglich Motorradkleidung schnell fahren sollte? Und es kam noch schlimmer: Als die Deutsche Meisterschaft 1963 begann, teilte ihm Hercules mit, dass die Motoren für die Werksfahrer noch nicht fertig seien. Vom zur Rede gestellten „Sachs Kaiser“ erfuhr er dann aber, dass es nicht an den Motoren liege, sondern an den Rahmen, die nicht fertig seien. Diese sich für Clasen ohne sein Verschulden und ganz aus den Abhängigkeiten ergebenden Unzulänglichkeiten setzten sich im Jahresverlauf noch weiter fort. In der Konsequenz konnte Clasen trotz Werkvertrag nicht an seine gewohnten Erfolge aus den Vorjahren anknüpfen.
Zum Zeitungsbericht mit Foto Helmut Clasens auf der 50er Hercules GS 1963

Erst als man ihm gegen Jahresende 1963 eine 175er gab, errang er damit auf Anhieb Gold, Klassensieg und Tagesbester.

Eigenmächtiger Austausch der Vorderradgabel

Was ihm an der 175er Hercules „mächtig stank“, war allerdings die geschobene Vorderradschwinge. Helmut Clasen, stets kreativ und kurzentschlossen mutig handelnd, wäre nicht er selbst gewesen, wenn er das so einfach hingenommen hätte. Abhilfe fand er , wie sollte es auch anders sein, bei DKW. „Zwischen den wichtigen Veranstaltungen“, bei denen die Oberen des Herculeswerkes nicht zugegen waren, baute er kurzerhand die Schwingengabel aus und stattdessen seine „geliebte 350er DKW-Gabel samt Vorderrad“ ein: „Ach, welch ein herrliches Gefühl! Die Bremse ganz großartig“, schwärmt Clasen rückblickend auf das erhebenden Erlebnis nach allem vorangegangenem Frust.

Aber dann fanden Fotos aus Zeitschriften von dem schnellen und wieder erfolgreichen Helmut auf seiner „HERC-DKW“ den Weg ins Hercules-Werk. Den Hercules-Oberen gefiel das natürlich gar nicht. Clasen wurde deshalb umgehend ins Werk nach Nürnberg zitiert. Es war ein ernstes persönliches Gespräch angesagt. Der junge Helmut Clasen hielt aber tollkühn dagegen: „Wenn ihr ein vernünftiges Vorderteil bauen könntet, bräuchte man keine Fremdteile zu verwenden!“. Aber es half alles nichts. Um nicht gleich aus dem Werksvertrag zu fliegen, baute Clasen „die Hercules-Teile wieder ein“.

In der Zwischenzeit war man bei Hercules jedoch nicht untätig geblieben und hatte an der Schwingengabel gearbeitet: Diese „war dann auch schon besser fahrbar“. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass Clasens Intermezzo mit der DKW-Telegabel und seine Kritik an der alten Schwingengabel die Entwicklung einer neuen und besseren Schwingengabel beschleunigt hatte.

1964 fuhr Clasen vornehmlich in der 175er Klasse.
Hier ein Zeitungsbericht zu seinem Sieg im Bielstein 1964

1965 betätigte er sich nach seinen zwiespältigen Erfahrungen mit Hercules wieder als Privatfahrer auf DKW. Der Stern der deutschen Motorradindustrie war da schon lange untergegangen.



1964 bei der Rheinlandfahrt war Helmut Clasen als Hercules-Werksfahrer
auf rutschigem Geläuf ganz schön schnell unterwegs, hier auf der 175er


Ein seltenes Foto vom ganz schön mutigen Helmut Clasen, der es gar bei einer Dreitagefahrt im Frühjahr 1964 gewagt hatte, mit der Telegabel einer 350er DKW statt der von ihm ungeliebten Hercules-Vorderradschwinge zu starten. Weil er damit beim Wettbewerb gut abschnitt, fanden Zeitungdfotos seiner Schöpfung den Weg zu seinem Arbeitgeber, dem Hercules-Werk. Helmut Clasen war eben ganz auf den sportlichen Erfolg eingestellt


Im Sommer 1964 fuhr Clasen – gezwungenermaßen -
wieder die Schwingengabel in der 175er Hercules GS.
Die funktionierte aber inzwischen besser. Wer weiß,
ob sie das ohne Clasens Ausflug mit der DKW-Telegabel
auch getan hätte?


Wartungsarbeiten an einer 175er Hercules bei den Sixdays 1963 in der damaligen CSSR


Sixdays 1963. Heinz Brinkmann (10) auf der 50er Hercules. Auch Simson (16) hatte seine 50er vorne mit einer Schwingengabel ausgerüstet, während Zündapp (63) sich kaum mit Schwingengabeln vorne befasst hatte

Fazit

In der Rückschau bringt folgende Erkenntnis: Auch dem Hercules-Werk ist Helmut Clasen mit seinem sensationellen Erfolg bei den Sixdays 1962 gehörig in die Parade gefahren. Gute Werksfahrer hatte Hercules 1963 im Grunde genug. Deshalb war der Werksvertrag mit Clasen für Hercules die beste Möglichkeit, den so weit unter Kontrolle zu bringen, dass er den etablierten Werksfahrern nicht mehr gefährlich werden konnte. Helmut Clasen indessen musste enttäuscht sein.

Der Werksvertrag war für Clasen nur ein Zwischenspiel. Zu groß waren sein fahrerisches Talent, sein Mut, sein Ideenreichtum, sein technisches Geschick und sein Freiheitsdrang. „Big John“ Penton aus den USA hatte er schon bei den Sixdays 1962 kennengelernt und der war inzwischen nicht mehr der einzige Bekannte in der Neuen Welt. Das Motorrad, mit dem Clasen wenige Jahre später eine weitere Goldmedaille bei den Sixdays erringen sollte, hatte er ebenfalls nach seinen Belangen sehr gründlich umgebaut. Diese Sixdays-Goldmedaille sollte übrigens die erste eines Kanadiers überhaupt werden.

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zu Clasens Album von der 6-Tagefahrt 1962 in Garmisch

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Swisttal, im Januar 2014

Text: Hans Peter Schneider
Fotos: Archiv Helmut Clasen und Walter Kronenberg

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