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Hercules-Werksfahrer – nur ein Intermezzo Nach seinem Sixdays-Erfolg war Helmut Clasen einmal mehr eingefleischter DKW-Fahrer. Wenn er als Privatfahrer schon mit seiner alten DKW schon das Gros der Werksfahrer regelrecht deklassiert hatte, wie erst hätte er mit einem aktuellen Werksmotorrad abgeschnitten. Andererseits konnte keinem am Geländesport teilnehmende Werk daran gelegen sein. Eine solche Niederlage ein weiteres Mal hinzunehmen. Die Karten für Helmut Clasen standen im Herbst 1963 also sehr gut, dass sich ein Motorradhersteller um Ihn als Werksfahrer bemühte. Clasens Traum war es, dass sich DKW bei ihm aus diesen Gründen melden würde, sozusagen im Gegenzug für seine Leistung auf einem DKW- Gebrauchtmotorrad. Was hätte es also schon Naheliegenderes geben können? Aber es kam alles ganz anders.
Zuerst
meldete sich Maico und ihn zu Gesprächen ins Werk nach
Pfäffingen ein. „Aber irgendwie hatte ich mit denen
kein gutes Gefühl“, erinnert sich Clasen heute noch.
So lehnte er kurzerhand den ihm vorgelegten Maico-Vertrag ab.
Eine
Woche nach der Vertragsunterzeichnung mit Hercules kam, was
unbedingt kommen musste: Clasen erhielt von DKW die erwartete
Einladung. DKW hatte sich zu lange Zeit gelassen und damit den
Anschluss verpasst. Das war dann auch der Zeitpunkt, an dem es
Clasen erstmals wurmte, bei Hercules schon unterschrieben zu
haben. Und es wurmte ihn wenig später noch viel mehr, als er
erfuhr, dass er „im ersten Jahr auf einer 50er dem Heinz
Brinkmann Rückendeckung“ geben sollte. Das musste
Clasen zunächst einmal schlucken und verdauen: Eine 50er,
auf der er mit seinen 75 kg Gewicht zuzüglich
Motorradkleidung schnell fahren sollte? Und es kam noch
schlimmer: Als die Deutsche Meisterschaft 1963 begann, teilte ihm
Hercules mit, dass die Motoren für die Werksfahrer noch
nicht fertig seien. Vom zur Rede gestellten „Sachs Kaiser“
erfuhr er dann aber, dass es nicht an den Motoren liege, sondern
an den Rahmen, die nicht fertig seien. Diese sich für Clasen
ohne sein Verschulden und ganz aus den Abhängigkeiten
ergebenden Unzulänglichkeiten setzten sich im Jahresverlauf
noch weiter fort. In der Konsequenz konnte Clasen trotz
Werkvertrag nicht an seine gewohnten Erfolge aus den Vorjahren
anknüpfen. Erst als man ihm gegen Jahresende 1963 eine 175er gab, errang er damit auf Anhieb Gold, Klassensieg und Tagesbester. Eigenmächtiger Austausch der Vorderradgabel Was ihm an der 175er Hercules „mächtig stank“, war allerdings die geschobene Vorderradschwinge. Helmut Clasen, stets kreativ und kurzentschlossen mutig handelnd, wäre nicht er selbst gewesen, wenn er das so einfach hingenommen hätte. Abhilfe fand er , wie sollte es auch anders sein, bei DKW. „Zwischen den wichtigen Veranstaltungen“, bei denen die Oberen des Herculeswerkes nicht zugegen waren, baute er kurzerhand die Schwingengabel aus und stattdessen seine „geliebte 350er DKW-Gabel samt Vorderrad“ ein: „Ach, welch ein herrliches Gefühl! Die Bremse ganz großartig“, schwärmt Clasen rückblickend auf das erhebenden Erlebnis nach allem vorangegangenem Frust. Aber dann fanden Fotos aus Zeitschriften von dem schnellen und wieder erfolgreichen Helmut auf seiner „HERC-DKW“ den Weg ins Hercules-Werk. Den Hercules-Oberen gefiel das natürlich gar nicht. Clasen wurde deshalb umgehend ins Werk nach Nürnberg zitiert. Es war ein ernstes persönliches Gespräch angesagt. Der junge Helmut Clasen hielt aber tollkühn dagegen: „Wenn ihr ein vernünftiges Vorderteil bauen könntet, bräuchte man keine Fremdteile zu verwenden!“. Aber es half alles nichts. Um nicht gleich aus dem Werksvertrag zu fliegen, baute Clasen „die Hercules-Teile wieder ein“. In der Zwischenzeit war man bei Hercules jedoch nicht untätig geblieben und hatte an der Schwingengabel gearbeitet: Diese „war dann auch schon besser fahrbar“. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass Clasens Intermezzo mit der DKW-Telegabel und seine Kritik an der alten Schwingengabel die Entwicklung einer neuen und besseren Schwingengabel beschleunigt hatte. 1964
fuhr Clasen vornehmlich in der 175er Klasse. 1965 betätigte er sich nach seinen zwiespältigen Erfahrungen mit Hercules wieder als Privatfahrer auf DKW. Der Stern der deutschen Motorradindustrie war da schon lange untergegangen.
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Fazit In der Rückschau bringt folgende Erkenntnis: Auch dem Hercules-Werk ist Helmut Clasen mit seinem sensationellen Erfolg bei den Sixdays 1962 gehörig in die Parade gefahren. Gute Werksfahrer hatte Hercules 1963 im Grunde genug. Deshalb war der Werksvertrag mit Clasen für Hercules die beste Möglichkeit, den so weit unter Kontrolle zu bringen, dass er den etablierten Werksfahrern nicht mehr gefährlich werden konnte. Helmut Clasen indessen musste enttäuscht sein. Der Werksvertrag war für Clasen nur ein Zwischenspiel. Zu groß waren sein fahrerisches Talent, sein Mut, sein Ideenreichtum, sein technisches Geschick und sein Freiheitsdrang. „Big John“ Penton aus den USA hatte er schon bei den Sixdays 1962 kennengelernt und der war inzwischen nicht mehr der einzige Bekannte in der Neuen Welt. Das Motorrad, mit dem Clasen wenige Jahre später eine weitere Goldmedaille bei den Sixdays erringen sollte, hatte er ebenfalls nach seinen Belangen sehr gründlich umgebaut. Diese Sixdays-Goldmedaille sollte übrigens die erste eines Kanadiers überhaupt werden. |
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Swisttal, im Januar 2014
Text: Hans Peter
Schneider
Fotos: Archiv Helmut Clasen und Walter Kronenberg