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Die Kreidler – Alpentour 1998

20.000 km durch Schweiz, Italien und Deutschland auf der Kreidler Florett

Ein Reisebericht



In Kürze

  • Wer? Lars-Hendrik, teils zusammen mit einer 600er-Ténéré (Hi Michael! )

  • Wann? Samstag, den 8. August bis Freitag, den 21. August 1998 plus einen weiteren Rückfahrt tag

  • Fahrzeug? Kreidler Floret t , Bj . 1971, 3-Gang, 50ccm, 2,9PS, gebläsegekühlt, Beinschild, max. 55km/ h in der Ebene

  • St reckenverlauf? Ab Bodensee über 10 Alpenpässe bis zum Lago Maggiore und zurück über Essen nach Kreuztal bei Siegen

  • St recke? I nsgesamt ca. 2000km, Etappen zwischen 30km und 350km

  • Pannen? Keine

  • Ziel? Ein etwas anderer Urlaub, nur zu empfehlen, da eigent lich sehr gemüt lich

  • Nochmal?? Bestimmt ! ! Ein paar Pässe fehlen ja noch...


Abbildung 1 Auf halbem Weg


 

Wie alles begann

Sommer 1998 - nun wurde Ernst , was doch eigentlich als Spaß gedacht war: Bei einer Autofahrt nach Italien überlegten mein Vater und ich einst , welche Maschine wohl über die steilen Schweizer Passstraßen käme. "Auf jeden Fall die Kreidler, die hat Gebläsekühlung, die fährt überall rauf," so meinte mein Vater damals. "Eigentlich müsste man die auf den Hänger packen und mal vor Ort ein paar Pässe fahren, das wäre doch sicher ganz witzig."

Doch es kam anders. Im Sommer 1998, drei Jahre später, wollte ich eigentlich eine gaanz große Tour mit meiner Güllepumpe machen, allerdings lief sie ausnahmsweise nicht zuverlässig, sprang schlecht an (ein fehlender Ventilsitzring war die Ursache...) , und so sagte ich im Spaß: "Wenn alle Stricke reißen, dann fahr ich mit der Kreidler über die Alpen! " Und mein Vater meinte, dass wäre eine witzige Sache, die ich irgendwann mal machen sollte.

Der Bock war noch zerlegt, hatte nur ein paar optische Verschönerungen bekommen, weil die letzten dreißig Jahre doch etwas am Aussehen gezehrt hatten. Angst machte mir nur, dass unser Großvater, der die Kreidler jahrelang gefahren war, in regelmäßigen Abständen liegengeblieben war, doch dazu später mehr. Eine Woche vor geplantem Fahrtbeginn wechselte ich zu meinem Vater, um in einer Woche die Maschine urlaubsreif zu machen -neue Schläuche wurden eingezogen, der Krümmer ein wenig "angepasst", Bowdenzüge geölt, aber so richtig wollte sie nicht, ruckelte und brachte nicht die gewünschte Leistung. Experimente mit der Düsennadel halfen nicht weiter, letztendlich überprüfte ich die Zündung mit der Messuhr und siehe da, das Polrad zeigte alles, nur nicht den Zündzeitpunkt.



Seither zieren meine eigenen Markierungen den Umläufer, und die Kreidler dankte es mit herrlichem Rundlauf und Drehzahlen bis zum Abwinken. Auch kann man sie mit der Hand starten, ein kurzer Druck auf den Kickstarter genügt. Noch einen kleinen Fahrradtacho montiert und einmal die Straße mit Gepäck hinauf und hinab, dann verluden wir das Mokick auf den Hänger.

Die Anfahrt

Samstag in aller Frühe ging es los, und unterwegs gab es schon die erste Reparatur: Die Hauptständerfeder lag frei im Hänger, wurde kurzerhand andersherum eingehängt und hielt seitdem den Ständer oben. Durch Lindau und Bregenz am Bodensee ging es schleichend, ein jeder will das Pickerl meiden.

In Au kurz hinter der Schweizer Grenze luden wir ab und auf, eine kurze Fahrt in der Hitze hin und her, alles lief, und mein Vater murmelte etwas von "NSU Quick" und "auch gerne mitfahren."

Erster Tag: Au - Chur

Mit Lampenfieber und zittrigen Händen ging es los, noch ein Foto und gute Fahrt und dann bog ich schon auf die Hauptstraße Richtung Altstätten und ließ den sicheren Hänger zurück. Am Rhein entlang schnurrte oder besser röhrte die Florett an den hohen Bergen vorbei, die teilweise noch schneebedeckt waren. Oh je, irgendwann muss ich da oben her, dachte ich.

Doch ohne Probleme erreichte ich Chur, nur kurz hatte ich mal an einem Brunnen Kühlung gesucht. Auf dem Campingplatz hatte ich meine kleine Herberge im Schatten errichtet und so langsam kam Abenteuerstimmung auf -der sichere Hänger war nun wieder in der Heimat, Hilfe weit weg, aber ich hatte den Ehrgeiz, auf eigenen Rädern nach Hause zu kommen. Nach dem Duschen dichtete ich den Krümmer neu ein und zog alle Schrauben nach, nach einer Totalrestauration sehr wichtig, tankte und lernte dann Peter, einen BMW R 100 RT-fahrenden Zeltnachbar kennen, dessen Freund auf einem Pass einen schweren Unfall hatte. Peter musste nun auch dessen Gepäck mitnehmen, hatte aber auch in eben solchem eine Flasche Rotwein. So endete der Abend mit Calandabräu und Rotem, bis ich mich hinter das Zelt begeben musste.


Abbildung 2 Die Kreidler Florett am Tag vor der Abfahrt







Abbildung 3 Morgens früh drei Uhr in Deutschland











Abbildung 4 Kurz vor der Abfahrt in Au (Bodensee)


 

Zweiter Tag: Chur – Samedan

Um kurz nach acht war die Nacht rum, Nutellabrot essen und bei Peter Fertigkaffee trinken, alles verpacken, und dann verabschieden. Einmal den Starter gedrückt, der Motor lief und los. Zunächst war ich noch guter Hoffnung, im zweiten Gang die Steigungen nach Lenzerheide erklimmen zu können, aber da der Motor noch den neuen Zylinder hatte, lief es noch etwas zäh im ersten bergan.

Von nun an wurde der Rückspiegel mein bester Freund, warnte er mich doch vor unliebsamen Überraschungen vierrädriger Art. 15-20km/h, so ging es hinauf, fast Vollgas, aber der Motor lief ohne Probleme, was mich etwas überraschte, das hätte ich ihm nicht über so viele Kilometer zugetraut. Lenzerheide ist ein wahrer Touriort, und so machte ich nur ein Bildchen und mich dann auf den Weg hinab. Nach kurzer Fahrt ging es links ab zum Albula, geradeaus nach Tiefenkastel. Aber ich wollte heute meinen ersten Pass fahren, und dann auch einen hohen, also zum Albula.



Hinter dem Albulatal kamen die scharfen Kehren, und die Fahrradfahrer durften mal Gemisch schnüffeln, eine blaue Wolke hing hinter mir, und immer wenn ich anhielt und fotografierte, erlebten sie diese noch einmal. Filisur, Bergün, Preda, und dann die Passhöhe, 2312m über NN, mir, nicht der Florett, blieb die Luft weg. Schnell weiter, und diesmal ging es nur auf ca. 1700m bis Punt Muragl bei Samedan auf den Campingplatz. Da ich so früh war, musste ich warten bis die Rezeption öffnete und beendete den Tag mit Essen, Ruhen und Kreidler putzen - Kornwestheimer Uhrwerk eben.

 


Abbildung 5 Auf dem Albula-Pass







Abbildung 6 ... und so geht es abwärts


 

Dritter Tag: Punt Muragl

Die Nacht war lausig kalt, man spürt die Höhe, auch wenn es wieder ein heißer Tag werden sollte. Also holte ich den Schlaf nach, in dem ich ein wenig länger liegen blieb und dann nach Samedan einkaufen fuhr und mich wieder ruhte. Später brauste ich noch durch das nahegelegene Pontresina und fuhr zum Morteratschgletscher, der mir allerdings zu weit weg war, schließlich wäre mir in meinen Motorradklamotten bis dorthin sehr heiß geworden, und ich hatte ihn ja als Kind schon mal gesehen. Die Nudeln in ihrer Tomaten-Pilzsoße waren recht lecker, das Calandabräu auch, selbst wenn es dreimal so teuer ist wie ein Billigbier an einer deutschen Tankstelle, aber auch nicht besser ist.

Vierter Tag: Punt Muragl – Bernina-Pass – Punt da Gallo – Punt Muragl

Hatte es am Vorabend noch aus ein paar Wolken getröpfelt, so brannte ab halb neun wieder die Sonne aufs Zelt. Heute hatte ich mir eine kleine Rundstrecke ausgesucht. Allerdings endete eine kurze Einkaufsfahrt nach Pontresina in Basteleien, da die Florett nicht über 45km/h hinauskam. Letztendlich verstellte ich nochmal die Zündung und machte mich dann mit leichtem Gepäck auf den Weg zum Berninapass (2330m), der nur wenige Kilo-und Höhenmeter entfernt war.

Nach dem obligatorischen "ich bin oben"-Foto ging es die scharfen Kehren Richtung Poschiavo hinab, doch bog ich bald links zum Passo da Forcola ab. Vorbei an den italienischen Zöllnern ging es lange das Valle de Livigno hinab. An einem Stausee hinter den überlaufenen kleinen Touristenörtchen machte ich eine kleine Rast, nachdem mich ein paar Italiener gestikulierend angehalten hatten – Kreidler kannten sie zwar nicht, aber freudig schoben sie mich an.

Hinter dem Stausee kam ein mautpflichtiger, 4 km langer und nur einspurig befahrbarer Tunnel zurück zur Schweiz. Da hoffte ich inständig, dass die Florett mich nun nicht im Stich ließe, denn der Wagen hinter mir hielt italienischen Sicherheitsabstand von vielleicht 2 m, und das bei 60km/h bergab. So schnell war ich, dass ich am Ende der Röhre an den Zöllnern vorbeischoss, an Bremsen war nicht zu denken, und da bin ich eben weitergefahren.

Links auf die Ofenstraße Richtung Zernez mit einem kleinen Anstieg, und dann wartete eine herrliche Abfahrt ins Tal des Inn. Von Zernez nach Samedan war dann wieder reine Routine, so langsam wuchs mein Vertrauen in die Kreidler, doch stellte ich abends die Zündung ein wenig später ein, was bis heute so geblieben ist.








Abbildung 7 Tagestour: Die Kreidler am Bernina-Pass


 

Fünfter Tag: Punt Muragl - Spülgen

Früh hatte ich schon gepackt, und los ging es über das nahe St. Moritz zum Maloja-Pass (1815m), der von dieser Seite kaum Steigung hat. Dafür müssen LKW umsetzen, wenn sie die Passstraße hinab-oder hinauffahren wollen, vorsichtiges Fahren ist angeraten. Beständig ging es mal mehr oder weniger steil, mal gerade oder kehrenreich Richtung Chiavenna auf 325m hinab.

Mit dem Verlust der Höhe ist ein Zuwachs an Wärme verbunden, und in der Stadt angelangt war nichts mehr vom kühlenden Wind zu spüren, es war einfach nur brühend warm. Eine Zeit für ich mit einem älteren Ehepaar, die mit ihrer BMW Tagestouren unternahmen und mich auf Weintrauben einluden, als ich mal rastete. Bergab rollte das Florettchen ganz schön flott!

In Chiavenna begann dann der lange Aufstieg zum Passo da Spluga – dem Splügen-Pass (2113m).

Zunächst durch ein schmales Tal, zieht sich die Straße im mittleren Teil durch viele steile Kehren und Tunnels, hier ist es wichtig, immer bremsbereit zu sein, weil Italiener doch etwas beherzter in enge Kurven gehen, obwohl sie andererseits geduldig hinter mir herkrochen, wenn das Überholen gerade nicht möglich war.

Endlich erreicht man die Höhe mit dem Lago die Montespluga, hinter dem es sich nochmals herrlich zur Passhöhe windet. Als einziger wurde ich oben durchgewunken, ohne den Ausweis zu zeigen, die Schweizer Zöllner hielten mich kurz an, aber mein großes D-Schild an der Gepäckrolle entlockte ihnen ein "weiterfahrn". Die schönsten Kehren kamen nun in der Abfahrt nach Splügen (1457m) ins Hinterrheintal hinab, ich fand den Splügenpass mit den schönsten auf der Tour.


Abbildung 11 Die schönen Kehren der Abfahrt nach Splügen (...einen Fiesta versägt, hehe...)




 


Abbildung 8 Der kurvenreiche Maloja-Pass vom Bergell aus gesehen





Abbildung 9 Anfahrt zum Spülgen-Pass





Auf dem Campingplatz baute ich mein Zelt neben einer norddeutschen Familie auf, die mit einem Guzzi-Cali II -Gespann unterwegs waren. Zwei kleine Kinder, zwei Erwachsene, Zelt, zwei Kinderwagen und eimerweise Spielzeug, und die Kleinen hatten einen Riesenspass an der "Duzzi".

Schnell freundeten wir uns an, und als das große Gewitter mit Hagel und gleißenden Blitzen hereinbrach, saßen wir bei Bier und einer Flasche Grappa unter ihrem Paravent und faselten zu guter Letzt nur noch Benzin.

Sechster Tag: Spülgen – Tenero (Lago Maggiore)

Morgens waren wir alle ein wenig von der Grappa gezeichnet, dennoch fuhren wir alle fast zeitgleich ab. Während ich hier mein Zelt packte, wurden gegenüber Windeln gewechselt und Brote geschmiert. Die Familie zog es zu einer Tagestour und mich zum Lago Maggiore, dem Reiseziel der Heinkel-Touristfahrer der sechziger Jahre aus dem Heimatort meines Vaters, und da wollte ich mit der Kreidler doch in nichts nachstehen.

Außerdem lockte der San Bernardino (2065m) und das warme Wasser des Sees. Dort wollte ich mich ein paar Tage erholen. Das Wetter war ein wenig bescheiden, zwar trocken aber kalt, so dass ich zunächst sogar die Regenkombi überstreifte. Bereits nach kurzer Strecke auf der alten Straße parallel zur Autobahn zogen sich die Serpentinen in schöner Regelmäßigkeit den Talhang hinauf, bis man oben in weiten Kehren zum Passhospiz kam.

Oben angekommen, lobten ein belgisches Ehepaar mit ihren Bernersennhunden mein Engagement und schossen unzählige Fotos, die sie mir auch später zuschickten; so bedeutsam war die Fahrt nun auch wieder nicht ...

Der Weg hinab Richtung Bellinzona und Lago Maggiore kam mir endlos vor, dachte man, das man nun fast unten sei, kamen die nächsten Kurven, und ich machte mir Gedanken über die Bremsen. Die waren zwar knallheiß, bremsten aber einwandfrei.

In Bellinzona versuchte ich noch Getriebeöl zu bekommen, da an der Schaltwelle immer ein wenig davon den Weg nach draußen suchte, aber ich vermute, die Frau in der Piaggio-Werkstatt wollte mich nicht verstehen und ließ mich links liegen. So kam ich wieder in voller Montur in der Hitze auf 200 m an und fuhr ein Stück Kraftfahrstraße, bis ich den ersten Campingplatzweiser fand.

An der Rezeption traf ich ein Radlerpaar, Ingo und Simone aus Hamburg, teilte mir mit ihnen in der Folge den Stellplatz und damit Kosten und wieder saß man sehr gemütlich beisammen, ging schwimmen, kochte gemeinsam und beobachtete das sehr junge Volk, das sich auf diesem günstigen Platz niedergelassen hatte und sich im Anbaggern übte.


Abbildung 12 Von Grappa gezeichnet - kurz vor der Abfahrt zum St. Bernhard-Pass







Abbildung 13 Kurze Rast am St. Bernhard - rechts einer der großen Hunde






 

Siebter Tag: Lago Maggiore

Herrliches Wetter zum Frühstück, Ameisen ebenso, warmes Wasser, was wollte ich mehr? Mal gingen wir Schwimmen oder ich fuhr zum Einkauf nach Locarno und schlenderte dort durch die Gassen. Bereits am Vortag hatten wir einen Tenere-Fahrer aus dem Saarland beobachtet, der gegenüber sein Zelt aufgeschlagen hatte, doch waren wir uns unsicher, ob er in unsere nette Runde passte – laut knatterte er vom Platz und kam erst spät, ebenso laut und aufdringlich zurück.

Doch beim Bier ging ich hinüber und fragte ihn, ob er sich nicht zu uns setzen wolle anstatt allein vorm Zelt zu hocken. Ruhig machte er Ausflüchte und kam dann doch herüber – eine gute Entscheidung. Michael hieß er, war seit zwei Wochen mit Freunden unterwegs gewesen, fuhr jetzt allein und wollte alsbald nach Frankreich, da er keine Franken mehr hatte und dort vielleicht Freunde besuchen. Doch es sollte alles anders kommen.

Des nachts brachten uns ein paar Motorradfahrer einen kleinen Spatz, der aus dem Nest gefallen war, damit wir uns in den nächsten Tagen um ihn kümmerten, leider verstarb er am nächsten Tag trotz aufrichtiger und intensiver Bemühungen und sogar der Überlegung, wer in besser im Tankrucksack verstauen und versorgen könne.






Abbildung 14 Téneré-Treiber Michael




 

Achter Tag: Lago Maggiore

Und wieder hielt der Müßiggang Einzug. Michael, der Teneretreiber, entschloss sich aufgrund der netten Gesellschaft, doch noch einen Tag länger zu bleiben. Da Ingo und Simone den Tag in der Stadt verbringen wollten, faulenzten wir am See und kümmerten uns regelmäßig um den kleinen Vogel, der allerdings kaum zum Essen oder Trinken zu bewegen war und plötzlich tot auf dem Lager saß, dass wir ihm aus einem Handtuch im Schatten gebastelt hatten.

Nun denn, abends saßen wir wieder alle zusammen und kochten und tranken unser Bierchen und lauschtem einem süditalienischen Dreadlockträger, der wohl für einen Kurzfilm die Musik geschrieben hatte. In Locarno war ein Filmfest und er sehr redselig und richtig cool...


Abbildung 15 "Lago-Connectiom"


 

Neunter Tag: Lago Maggiore - Brienz

Heute war der Tag des großen Aufbruchs: Ingo und Simone wollten mit den Zug Richtung Heimat, Michael Richtung Frankreich und ich über den Gotthard Richtung Brienzer See. Kurz vor der Abfahrt beschlossen Michael und ich, uns am St. Gotthard zu treffen und uns dort zu verabschieden.

Er wollte nochmal schwimmen gehen und erst eine Stunde später starten, also fuhr ich allein los, nachdem sich die kleine Gesellschaft herzlich getrennt hatte.

Vorbei an Bellinzona, Biasca und Quinto ging es durch das Tal des Ticino, bis sich bei Airolo nach etwa 80km Fahrt und 800m gewonnener Höhe der Anstieg zum St. Gotthard-Pass (2109m) auftat.

Es war kühler und windig geworden, der Himmel war bedeckt, und ich fühlte ein wenig, wie bedrohlich auch im Sommer die Bergstraßen werden können. Ein kleines Stück befuhr ich die alte Passstraße mit seinem holprigen Kopfsteinpflaster und den engen Kehren, von denen man einen herrlichen Blick auf die bereits zurückgelegte Strecke hatte.

Dann allerdings verpasste ich, wie auch andere, den weiteren Weg und fand mich plötzlich auf der ausgebauten Hauptstrecke wieder. Diese ist zwar nicht so imposant, allerdings sind die vielen Galerien auch ein Erlebnis.


Abbildung 17 Alte Passstraße zum St. Gotthard




Schnell kam ich voran, und nach zweieinhalb Stunden seit meinem Start stand ich neben all den großen Motorrädern am Hospiz. Nach einer halben Stunde kam Michael mit der Tenere, er hatte für die 100km eine Stunde weniger gebraucht, insgesamt errechnete mein kleiner elektronischer Tacho einen Schnitt von immerhin 42km/h, und das ist doch recht ordentlich. Wir unterhielten uns, wie wir jetzt weiterführen und Michael entschloss sich nach dem Blick auf die Karte, mit mir zum Brienzer See zu fahren, er hatte seine Freunde immer noch nicht telefonisch erreicht.

Und so fuhren wir nun als Team weiter, 50ccm und 2,9 PS zusammen mit 600ccm und 50PS! Ab und an wartete Michael an der Straße, da ich die Karte hatte. Nach einigen Kilometern bergab bogen wir links ab zum Furka-Pass (2431m).

Bei Realp sah man die beeindruckenden Kehren, die sich durch fehlende Randbefestigung auszeichneten und mir als schwankendem Verkehrshindernis am verkehrreichen Sonntag bisweilen ein mulmiges Gefühl bereiteten. Nach der ersten Steigung zog sich die Furkastraße kilometerlang an der Talseite hinauf, leider hing ich ständig zwischen erstem und zweitem Gang, und auch der viele Verkehr mahnte zur Vorsicht.

Endlich kam ich oben an, wo Michael bereits eine halbe Stunde gewartet hatte. Aber er fand es witzig und hatte sich derweil die Berge angesehen. Von hier hat man einen herrlichen Blick ins Rhonetal und sah bereits in der Ferne den Grimselpass.

Doch bis dahin musste man erst wieder 700 Höhenmeter hinab, die wir nun aber zusammen fuhren, schließlich war die Kreidler bergab ebenso schnell wie eine große Maschine. Dann wieder hinauf, diesmal stets im zweiten Gang, und Michael wartete oben nur wenige Minuten auf mich.

Die Abfahrt nach Brienz war dann reine Formsache, Michael wieder vornweg, wir verabredeten uns irgendwo am Ortseingang von Brienz, und die letzten 30-40km flog die Florett hinab, keine zehn Minuten war die Tenere samt Reiter früher am See.

Das Team, bestehend aus der "Kreidler Pantani" und der "Messner – Tenere" tuckerte gemeinsam auf den Zeltplatz, ein Bild für die Götter – es sah so aus, als wären wir seit Tagen unterwegs und machten jetzt hier einen Halt. Allerdings sind 160km gemeinsam abgesprochene Fahrt auch schon bemerkenswert, bedenkt man die Unterschiedlichkeit unserer Gefährte.

Wir gönnten uns eine Pizza, schlenderten an den See und legten uns dann mächtig stolz nach diesen drei Pässen in die Falle.

 


Abbildung 16 Blick von der alten Passstraße auf Airolo







Abbildung 18 Oben angekommen: Mit 42 km/h Stundenkilometer zum legendären Hospiz am St. Gotthard







Abbildung 19 Nach der langwierigen und bisweilen gefährlichen Anfahrt zum Furka-Pass ...







Abbildung 20 ... entschädigten die zu erwartende Abfahrt und der Blick hinüber zum Grimsel-Pass um so mehr


 

Zehnter Tag: Brienz - Thun

Dieser Tag brachte wieder gutes Wetter mit sich, doch war uns hier zu wenig los, nur ältere Herrschaften und Familien auf dem Platz. Michael richtete sich mittlerweile fast ganz nach meiner Geschwindigkeit und Reiseplanung, Frankreich war vergessen, statt dessen wollte er bald nach Freiburg und dort Freunde besuchen, wenn ich mich auf den Heimweg machte.

Aber zunächst wechselten wir nach Thun, entlang dem Brienzer und dem Thuner See, durch Interlaken, Michael vorne weg und ich hinterher. Auf dem neuen Platz war zwar ebenso wenig los wie in Brienz, doch schlenderten wir später durch die Innenstadt von Thun, kauften mittlerweile auf gemeinsame Kasse ein und verstreuten abendlich viele Bierflaschen um unsere Zelte.

Wie zwei alte Freunde auf Tour, die zusammen kochen und herumalbern, der Student und der Lateinlehrer...



Elfter Tag: Thun

Noch ein wenig erholen wollten wir uns, allerdings wartete dieser Tag mit Schauern und Kälte auf, ein notdürftiges Dach aus meiner Zeltunterlage bot ein wenig Schutz. Darunter wurde gekocht und getrunken, schließlich wollten wir in meinen 22. Geburtstag hineinfeiern.

Abends standen wir recht betrunken am windigen Ufer des Thuner Sees, starrten auf die erleuchtete Stadt am anderen Ufer und philosophierten wüst. Und ich hatte mich schon darauf gefasst gemacht, in aller Stille meinen Geburtstag zu verbringen, doch es war viel besser geworden.



Zwölfter Tag: Thun - Freiburg

Geburtstag -zum Frühstück bekam ich mein erstes Geschenk, eine kleine Anti-Stress-Kaffeetasse, womit ich überhaupt nicht gerechnet hatte. Doch dann trennten sich unsere Wege.

Michael brauste von dannen nach Freiburg, ich zockelte hinterher und hoffte, an diesem Tag zumindest bis nach Deutschland zu kommen. Die Pässe waren gefahren, die Maschine lief einwandfrei und mein Traum, die Alpen zu überqueren, war in Erfüllung gegangen. Die kleinen Anstiege und Pässchen in der Umgebung reizten mich nicht mehr genug, ein neues Ziel musste her: Wieviele Kilometer kann man mit einer alten Fünfziger zurücklegen? Der Ehrgeiz, in möglichst kurzer Zeit nach Hause zu kommen, hatte mich gepackt. Der nächste Kick wartete – nicht mehr die Kurven und Höhen, die Ausdauer und Sitzfleisch waren nun gefragt, auch wenn die Erholung letztendlich damit zunichte gemacht werden sollte.

Aber was ich mir da aufgehalst hatte, verwöhnt von den fünfzigerfreundlichen Schweizer Straßen, erfuhr ich erst später. Über die leichten Steigungen und Abfahrten der Voralpen ging es gen Basel, nun war ich auf die kürzeste Verbindung bedacht. Schneller als erwartet, kam ich dort an und fand nach einigem Suchen den Grenzübergang und die richtige Straße Richtung Weil am Rhein.

Immer am Rand des Rheintals fuhr ich über Müllheim und Bad Krozingen in der prallen Sonne nach Freiburg. Hätte ich das morgens gewusst, hätte ich wieder mit Michael fahren können, so baute ich aber nach sechs Stunden Fahrt und 200km mein Zelt auf. Meine Kleidung rationierte ich bereits und wollte nicht mehr waschen bis Essen, dem Wohnort meiner lieben Vivien, wo ich noch eine Woche bleiben wollte. Nach dem warmen Abendbrot saß ich noch mit einem Radler zusammen, der auch eine Maschine zu Hause hatte und mit dem ich so ins Gespräch gekommen war und klönte bis in die Nacht mit ihm.




Abbildung 21 Ansicht von Thun - eines der letzten Bilder, bevor der Apparat versagte (ggrrr ...)




 

Dreizehnter Tag: Freiburg – Eltville am Rhein

Schon um acht Uhr stand ich an der Rezeption und war abfahrbereit, so früh wie noch nie, aber ein heeres Ziel verlangt nun mal Opfer. Durch die Vororte brauste ich Richtung Emmendingen über die Badische Weinstraße, und langsam kam die Eintönigkeit gerader, gut ausgebauter Straßen, weiter Felder und geballter Hitze der Rheinebene. Immer im dritten Gang undimmer nahezu Vollgas, ich fläzte mich regelrecht auf die Gepäckrolle, mit dem linken Arm abgestützt, mit der rechten Hand am schmalen Lenker, der Motor wummerte vor sich hin und brachte das Beinschild regelrecht zum Singen.

Durch Offenburg, vorbei an Baden-Baden und Karlsruhe, über Bruchsal, Wiesloch bis Leimen. Dort legte ich mich erstmal auf den Marktplatz und streckte die gebeutelten Beine aus. Schließlich ragen meine Knie über den Tank hinaus und finden doch nur am Tankrucksack halt und werden die ganze Fahrt extrem gebeugt. Bereits einige Male machte ich mit der deutschen Unart Bekanntschaft, kleine Stücke einer Bundesstraße in Kraftfahrstraßen umzuwandeln, was mich besonders bei Stadtdurchfahrten behinderte, weil ich dann stets eine kleine Nebenstraße suchen musste.

Mal ging es durch Wohngebiete oder über Feldwege, nur um diesem vermaledeiten blauen Schild mit dem Auto zu entgehen. Aber das sollte noch schlimmer kommen. Das Kartenwerk, ein Satz Autokarten in 1: 250 000 tat ein Übriges, mir den rechten Weg zu erschweren. Weiter ging der Ritt durch Heidelberg, durch Heppenheim, durch Darmstadt und Groß-Gerau nach Bischofsheim bei Mainz, wo ich den Main endlich querte und mir einen Döner genehmigte. Der Budenbesitzer schaute recht mitleidvoll drein, besonders gesund sah ich wohl nicht aus.

Langsam ermattete ich, die Konzentration nahm ab, schließlich saß ich schon über zehn Stunden auf meinem Lammfellstück. Wieder musste ich einer Kraftfahrstraße ausweichen, und gelangte dann endlich zu einem seltsamen Campingplatz bei Eltville.

Nur wenig Gäste standen dort, die Anmeldung erfolte in einer Gaststätte, dafür entlohnte die Lage direkt am Rhein. Es war schon 19.00h, und nach einem spärlichen Mahl fiel ich totmüde ins Bett.

320 Kilometer zeigte der Tacho für heute an, und die Kreidler lief und lief.



Vierzehnter Tag: Eltville – Essen

Ein kleiner Schauer weckte mich gegen halb sechs, starker Wind war aufgekommen und trieb dunkle Wolken vor sich her. Bereits am Vortag hatte ich den starken Seitenwind verspürt, die Westwinddrift mit seinen Tiefdruckgebieten (Frontalzyklonen) hatte das Hoch der letzten Tage verdrängt. Nun packte ich in Windeseile zusammen, um nicht vor der Fahrt schon nass zu werden.

Leider hatte ich den Fehler gemacht, noch nicht am Abend zu zahlen, so musste ich bis acht Uhr warten, bis der Gaststättenbetreiber meinen Ausweis herausgeben konnte. Mit einer freundlichen Tasse Kaffee und dem Hinweis "der Wind bläst die Wolken weg", fuhr ich los. Als Frühstück gab es einen Schokoriegel und Red Bull, in der Hoffnung, so ein wenig wacher zu werden. Zunächst war es noch trocken, doch ab St. Goarshausen begann es zu regnen, und es sollte nicht mehr aufhören. Zügig kam ich den Rhein abwärts voran, eine sehr schöne Fahrt ohne Verkehr zu dieser frühen Stunde. Ab Koblenz schlug dann wieder die Kraftfahrstraßenfalle zu, und ich fand mich plötzlich auf einer mehrspurigen Schnellstraße wieder, die ich erst verlassen konnte, als schon die LKW hupten. Der Wind hatte sich in Sturmböen verwandelt, der Regen peitschte ins Gesicht und ich befürchtete manchmal, das die Elektrik früher oder später absaufen könnte.

Ab Bad Honnef begann der erste richtig schwierige Teil der Etappe – nur noch große Straßen, und Nebenstraßen waren nicht ausgeschildert oder in Fahrradwege umgewandelt. Die große Suche begann. Immer mitten durch die Kölner Vororte mit all den Ampeln, Schienen und Verkehr kam ich nach Köln. Durch die Altstadt, am Dom vorbei, zum Glück hielt die Stadt den Wind ein wenig fern, denn es hatte sich ein ausgewachsenes Sturmtief Deutschlands bemächtigt. Bis ich endlich die Bundesstraße Richtung Neuss gefunden hatte, vergingen Ewigkeiten. Neusser Straße heißt sie, aber kein Schild deutet auf eine Stadt hin. Auf dem Weg nach Norden auf den weiten Feldern nördlich von Köln fuhr ich Kilometer um Kilometer im ersten Gang, und einmal wehte mich ein Böe von der Straße, so dass ich zum Glück auf einem Fahrradweg landete.

In Neuss versuchte ich vergeblich eine "normale" Brücke über den Rhein zu finden, fand mich plötzlich im Containerhafen wieder und wählte dann einfach den Rad-und Fußgängerweg. Stinksauer und genervt ob deutscher Verkehrsplanung war mir nun alles egal. Noch eine halbe Stunde in Düsseldorf herumgeirrt, wieder eine Umfahrung der ausgebauten Ausfallstraße Richtung Duisburg gesucht, doch dann ging es recht problemlos weiter. Wieder mitten durch Duisburg und Oberhausen knatterte ich Richtung Essen, das Visier halb geöffnet, fahren, schauen, fahren, schauen, ich hatte es aufgegeben, das Visier vom Regen zu befreien.

In Essen verfuhr ich mich ständig, orientierte mich grob an Grugawegweisern und der Sonne, die nun ab und an durch Wolken linste, um kurz vor meinem Ziel heraus zu kommen. Noch einen Strauß Blumen für die Mama und eine Rose für die Dame des Herzens gekauft – dann endlich, nach fast zwölf Stunden Fahrt und geschätzten 350km eine heiße Dusche, eine Rasur und ein erholsames Bett. Nachts plagten mich Alpträume von Karten und Sackgassen, und mitten in der Nacht ging ich dann mit meiner Vivien spazieren, um meine Beine wieder vernünftig zu bewegen.

Die folgende Woche ruhte ich mich aus, aß ordentlich und ließ die Kreidler im Hof stehen. Trotz Regen und Sturm, ständiger Vollgasfahrt und keinerlei Schonung hatte sie mich nicht im Stich gelassen, sondern dankte es mittlerweile mit kräftigem Durchzug und tadellosem Fahrverhalten (mal vom Fahrwerk und der ungemütlichen Sitzposition für meine 190cm abgesehen).

 

Letzter Tag: Essen – Kreuztal

Die schöne Woche der Erholung war vorbei, und die 140km bis zur Garage, wo alles begann, kamen mir vor wie ein lockeres Ausrollen.

Bei Sonnenschein rollte ich über Velbert, durch Solingen und Remscheid, vorbei an Hückeswagen, Meinerzhagen, Lüdenscheid, Kierspe und Olpe nach Kreuztal und besuchte als erstes unsere Oma, deren Mann und unser Opa mit der Kreidler früher zum Imkertreffen rollte und von Imkerkollegen stets mitleidsvoll mit dem Hänger zurückgebracht wurde.

Noch einmal fuhr ich übers Wochenend nach Essen und zurück, da ich noch auf den neuen Zylinderkopf der Güllepumpe wartete. Und so ging einer der schönsten Urlaube meines Lebens zu Ende, und seither habe ich den Kreidlervirus...

 

Dank an:

Mama, Papa, meinen Bruder Niels-Arne, meine Vivien für ihre Unterstützung und Hilfe, Mama Genenz, meine damaligen Mitbewohner, vor allem Chang, Berni, den Haus und den Deifi, Ingo und Simone für tolle Zeit und viel Spaß, "Mr. Messner-Tenere" Michael Mattick für ebensolches und gewachsene Freundschaft und natürlich die Temples, den Schweizer Moppedclub für Infos zu Passstraßen und all den anderen vergessenen...



Diese Fahrt stand unter dem guten Stern und der Erinnerung an unseren lieben Opa.

 

Der Bericht aus dem Jahre 1998 wurde im Dezember 2006 in HTML übersetzt

Text und Fotos: Lars-Hendrik Schneider

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