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Er ist niemand, der sich in den Mittelpunkt drängt. Gesehen hat ihn schon jeder, der in den letzten Jahrzehnten die Veranstaltungen der Oldtimerszene im Umkreis von 50 km um Bonn herum bei schönem Wetter besuchte. Auch wenn er sich hier regelmäßig als Zuschauer am Rande des Geschehens aufhält, fällt der Blick der übrigen Besucher zuerst immer auf das erstklassig restaurierte Victoria Bergmeister-Gespann und anschließend auf ihn selbst, in Lederjacke, ein Mann von kräftiger Statur mit dunklem gewellten Haar und einem gepflegten Oberlippenbart. Die Oldtimerszene kennt ihn und so ist er meistens im Gespräch mit anderen Szenegängern vertieft. |
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Irgendwann
war auch ich so weit, dass ich mich mit ihm im Gespräch
fand. Dabei erfuhr ich unter Anderem, dass er früher einmal
Lloyds und Borgwards professionell repariert hatte und in Miel
wohnt. Mein Freund Andreas Brünagel ermahnte mich
schließlich, den Günter Thiel unbedingt auf unsere
Internetseite zu nehmen und ihn dazu bald zu befragen; wogegen
ich natürlich nichts einzuwenden hatte. |
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Vor mehr als 50 Jahren In Miel hatten die Thiels „erst“ im Jahre 1962 ihre neue Heimat mit dem Bau ihres Hauses gefunden. „Eigentlich sind meine Frau und ich Ur-Bonner“, informiert mich Thiel. Dort wurde er 1930 geboren und in Bonn-Kessenich wuchs er auf, erlebte den 2. Weltkrieg von Anfang bis Ende, den Machtwechsel im Lande und lernte quasi in der Nachbarschaft seine spätere Frau Irmgard kennen, mit der er schon vor vier Jahren die goldene Hochzeit feierte. Kurz nach dem Krieg hatte er eine Lehre zum Kraftfahrzeug-Elektriker begonnen. In der noch von den Alliierten kontrollierten und eben erst gegründeten neuen Bundesrepublik Deutschland machte er - gerade 18 Jahre alt - den Führerschein der Klasse 3. Mopeds, Mofas und einen Führerschein ab 16 Jahren gab es damals noch nicht. „Der Klasse 3 Führerschein hatte 101,00 DM gekostet! 100,00 DM gab mir mein Vater dazu und den Rest musste ich selbst aufbringen“, erzählt Thiel heute, fast 6 Jahrzehnte später, schmunzelnd und immer noch mit einem Tenor Dankbarkeit. „Damit konnte ich Autos und LKWs bis 7,5 t sowie Motorräder bis 250 ccm fahren.“ Später erweiterte er seinen Führerschein auf eigene Kosten noch auf die Klasse 1, was ihm erlaubte, auch größere Motorräder zu fahren.
Sein erstes Motorfahrzeug erwarb
er günstig über Beziehungen im Jahre 1948. Es war eine
Vorkriegs-Zündapp K 200 aus dem Jahre 1934: Ein Zweitakter
mit Kardanantrieb im Pressstahlrahmen ohne Hinterradfederung.
Schließlich hatte Thiel 1953 unverschuldet einen Unfall mit der Zündapp, wobei sein Unfallgegner – auch ein Motorradfahrer - allerdings der einzige Geschädigte war, und zwar sowohl mit einem beschädigten Motorrad - als auch mit einem gebrochenen Bein der Sozia. So jung und unerfahren, wie Thiel damals war, hatte er ein Problem mit dem Ausfüllen der Schadenmeldung für die Versicherung. Kompetente Hilfe besorgte ihm jedoch ein befreundeter Victoria-Händler Dittmaier, bei dem Thiel nach Feierabend hin und wieder schon einmal nach den Elektrik-Problemen der Motorräder schaute. Dieser Motorradhändler rief den ihn damals betreuenden Außendienstler des Bonner Versicherungsmaklers Versteegen, der für einen erfolgreichen Abschluss dieses Problemes sorgte. |
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Kurze Zeit nach diesen tragischen Ereignissen musste dann auch wirklich ein neues Motorrad her. Mehr und mehr bereitete nämlich die Ersatzteilbeschaffung für die Zündapp Probleme, denn nur wenige Ersatzteile hatten den Krieg überlebt und die wurden von Monat zu Monat weniger. Eine Neuauflage der Ersatzteilproduktion für Vorkriegsmaschinen schied für Zündapp aus Rentabilitätsgründen aus. So konnte Thiel weder eine neue Kickstarterwelle kaufen noch Teile für den Kardanantrieb. „Die Maschine war am Ende mehr und mehr heruntergekommen!“, stellt Thiel heute noch enttäuscht fest. Nachdem Thiel sich schon die neuen Modelle von Adler angeschaut hatte, erwarb er schließlich über den besagten Händler Dittmaier eine Victoria KR 26. Dabei handelte es sich um einen Einzylinder Zweitakter mit mehr als doppelt so viel Leistung wie seine Vorkriegs-Zündapp und – damals sehr wichtig - mit Hinterradfederung, wovon seine liebste Sozia am meisten profitieren sollte. Aber so ganz zufrieden war Thiel damals mit der KR 26 doch nicht. Der Kessenicher Kaplan Roth fuhr nämlich einen „grünen Elefanten“, also eine Zündapp KS 601, und zwar als Solomaschine. Das war es, wovon er träumte: einen mehrzylindrigen Viertakter mit Kardan und Leistung satt. Als schließlich 1954 die Victoria Bergmeister mit ihrem 350 ccm V-Motor, Kardanantrieb und einer für damalige Verhältnisse schon sagenhaften Leistung von 21 PS erschienen war, überließ er die KR 26 kurzerhand seinem Schwager und kaufte sich die Bergmeister für 2.475,00 DM als Solomaschine. Etwa 6 Monate später kam noch für 650,00 DM ein passender Seitenwagen dazu. Für damalige Verhältnisse war das alles sehr viel Geld, denn als KFZ-Elektrikergeselle betrug sein Stundenlohn im Jahre 1954 nur 1,15 DM. |
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Seine ganz persönliche Freude am Fahren optimierte er mit seiner Mitgliedschaft im Bonner Victoria Club. Die beiden Fotos vom Treffen der „Victorianer“ auf dem Bonner Frankenplatz 1953 und 1954 haben trotz der begrenzten Bildqualität dokumentarischen Wert: Zeigen sie doch den Stolz der Besitzer, die sich ausschließlich mit blank geputzter Maschine und der verfügbaren motorradmäßigsten Sonntags-Kleidung dem Fotografen stellten. Die Fotos sind voll vom damaligen Zeitgeist, von dem, was möglich und was üblich war. Ausfahrten, Geschicklichkeitswettbewerbe und Geselliges standen regelmäßig auf dem Programm. Zum Wir-Gefühl trug das gepflegte Bekenntnis zur Motorradmarke Victoria bei. |
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Vorläufiges Ende der Motorradzeit Diese Ära war für die Thiels 1957 vorbei, als die Bergmeister einem gebrauchten VW-Käfer weichen musste. Auch hier waren die Thiels ganz Kinder ihrer Zeit. In den Jahren des wirtschaftlichen Aufbaus nach dem verlorenen Krieg hatte das Motorrad doch in erster Linie Transportfunktionen zu erfüllen. Erst Mitte der 1970er Jahre sollte es als Freizeit- und Sportvehikel neu entdeckt werden. Mit der Steigerung des Bruttosozialproduktes bis Ende der 1950 er Jahre hatte sich das Auto schon gegenüber dem Motorrad durchgesetzt: Zeigte es doch so richtig, dass man es schon zu etwas gebracht hatte. Hinzu kamen aber auch noch so praktische Dinge wie etwa der Transport der damals in relativ großer Zahl vorhandenen Kinder, die höhere Sicherheit wegen der vier Räder und das viel besungene „Dach über dem Kopf“. Dem Motorrad erwuchs zunehmend das Image des Arme-Leute-Fahrzeugs, als Statussymbol konnte nur noch das Auto überzeugen. Dennoch spielten sogar wirtschaftliche Erwägungen eine nicht zu vernachlässigende Rolle. So stellten die Thiels 1957 fest, dass die Haftpflichtversicherung für die Bergmeister 240,00 DM jährlich kostete, hingegen für den Käfer mit dem selben Versicherungsschutz bei dem selben Versicherer nur 198,00 DM zu zahlen waren. |
Nach seiner Ausbildung zum Kfz-Elektriker bei dem Bonner Fachunternehmen De Poel wechselte Günther Thiel zur Fa. Schwanenberg, die sich wenige Jahre später speziell mit Lloyd, Goliath, Hansa und Borgward befasste. 1959 wechselte er zum Bonner Autohaus Geis, das damals Renault-Großhändler in Bonn war und 1980 zum Opel-Händler avancierte. 1990 begann für Günter Thiel schließlich mit dem vorgezogenen Rentenstand ein neuer Lebensabschnitt.
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Alte Liebe neu entdeckt Er fand fortan viel Zeit für sein Motorrad-Oldtimer-Hobby. Dieses hatte er acht Jahre zuvor für sich entdeckt. Das Schlüsselerlebnis hierzu verdankt er seinem alten Freund, dem inzwischen verstorbenen Willi Weißweiler aus Euskirchen. Mit Weißweiler hatte er zusammen bei De Poel seine Berufsausbildung gemacht. Beruflich ging Willi Weißweiler danach seine eigenen Wege und richtete in Euskirchen einen Bosch-Dienst ein. In den 1950er und 1960er Jahren hatte sich Weißweiler als Mitglied des MSC Dom Esch dem Moto-Cross-Sport verschrieben, engagierte sich dann aber auch schon sehr früh in der Oldtimer-Motorradszene, wo er zusammen mit Hans-Wilhelm Busch aus Euskirchen und dem Bonner Klaus Kretzschmar zu den bekannten Größen der Oldtimerszene der ersten Jahre zählte. Mit Weißweiler pflegte Thiel regelmäßigen Kontakt seit der gemeinsamen Lehrzeit. |
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Bei einem Besuch im Hause Weißweiler im Jahre 1982 war es schließlich um ihn geschehen, als Weißweiler ihm seine Oldtimersammlung vorführte. „Das ist auch was für mich!“, stellte Thiel damals fest. Weil er sich für die von Weißweiler angebotene DKW 250 NZ jedoch nicht sofort begeistern konnte, kaufte er sich am nächsten Tag schon die Zeitschrift Oldtimer Markt und fand darin eine Victoria Bergmeister, die in einem Ort bei Erlangen angeboten wurde. Nach mehrstündiger Autofahrt und Zahlung von 4.300,00 DM verfrachtete er sie zerlegt im Kombi nach Miel . Damit begann seine erste große Motorrad-Restaurierung. Das anschließend in Auftrag gegebene Gutachten testierte schließlich einen Wert der Maschine in Höhe von 12.000,00 DM – wohlgemerkt im Jahre 1982. Mit Willi Weißweiler zusammen besuchte er fortan alle nah und fern gelegenen Oldtimermärkte, mit dem Resultat, dass er außer den gefundenen Ersatzteilen inzwischen über vier Victoria Bergmeister verfügt, darunter zwei mit Beiwagen. Außerdem finden sich noch eine Victoria KR 26 von 1953, eine BMW R 50 aus dem Jahre 1961, eine Rex KL 30, worunter sich ein Kleinkraftrad aus dem Jahre 1959 vorzustellen ist. Ferner zwei Adler, und zwar eine MB 250 Sport aus dem Jahre 1954 und eine MB 250 Sprinter aus dem Jahre 1957. Nicht zu vergessen ist auch eine Velosolex 5000 aus dem Jahre 1971. Das ist jenes Mofa, bei welchem der Motor über dem Vorderrad angebracht ist und über eine Reibrolle das Vorderrad antreibt. |
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Die Restaurierungsresultate von Günter Thiel sind durchweg als „sehr gut“ oder treffender noch als traumhaft zu bewerten. Sämtliche Maschinen sind zugelassen, sodass Thiel jederzeit mit einer dieser Maschinen losfahren kann – wenn er will. Hierzu können die abgebildeten Fotos mehr erzählen als viele Worte. |
Irmgard und Günter Thiel bleibt an dieser Stelle zu wünschen, dass sie in Gesundheit noch sehr viel Freude an diesem von ihnen bestens gepflegten Hobby finden.
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Ein Nachruf Am 16.02.2024 starb Günter Thiel mit fast 94 Jahren. Die Todesanzeige lässt erkennen, wie sehr er mit seinem Hobby verbunden war. Bei allen Begegnungen mit ihm, selbst als er
schon über 90 Jahre alt war, war seine Motorradliebe ein
Thema. Wir werden ihn in bester Erinnerung behalten. Unsere Gedanken sind bei seiner Frau. |
Swisttal, im Juli 2006
Text: Hans Peter
Schneider
Fotos: Irmgard Thiel, Günter Thiel und Hans Peter
Schneider