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Nachts in der Hotelbar Von 1932 bis 2006 sind es genau 74 Jahre. Für ein Auto ist das schon ein ungewöhnlich hohes Alter. Noch sehr viel ungewöhnlicher ist aber der Umstand, wenn dieses schon sehr alte Fahrzeug seit dem Tag der Erstzulassung immer noch am selben Ort zugelassen und in Händen der Eigentümerfamilie ist. Am Rande einer Verbandsveranstaltung kam ich nächtens in einer Hotelbar in Frankfurt a.M. mit Stefan Targatz auf Oldtimer zu sprechen. Er erzählte von einem Wanderer W 10, den sich sein Großvater vor dem Krieg für Firma und Familie angeschafft und den Stefan Targatz zusammen mit seinem Bruder Uwe vor wenigen Jahren restauriert hatte. Und er berichtete mir voll überzeugender Begeisterung von dem Wäschereimuseum, welches er zur Zeit quasi vor den Toren Berlins aufbaue. Als er mir schließlich von der Geschichte des Familienunternehmens erzählte, das seit 1928 besteht und genau so alt wie sein Vater sei, stellte ich fest, dass die Geschichte dieses Wanderer-Firmenwagens nicht losgelöst von dieser teils dramatischen und bewegten Firmengeschichte betrachtet werden kann. Mein Interesse an dieser Geschichte führte mich im Dezember 2006 nach Eberswalde, wo ich freundlich empfangen wurde und man meinen Wissensdurst stillte. Gerade uns Rheinländern sollte es gut
tun, auch einmal über den Rhein hinweg zu schauen und sich
mit der Geschichte der Nichtrheinländer zu befassen. |
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Eine deutsche Geschichte In Heegermühle, dem heutigen nord-östlich von Berlin gelegenen brandenburgischen Eberswalde, hatte im Jahre 1928 Eduard Targatz, der Großvater der heutigen Geschäftsführer der Wäschereibetriebe Targatz GmbH, eine in Konkurs gegangene Wäscherei übernommen. Eduard Targatz zeigte unternehmerisches Können und war erfolgreich: Schon bald beschäftigte er 10 Mitarbeiter und die Wäschetransporte zu seinen Kunden erledigte er mit einem Zwei-Tonner-LKW, Marke Chevrolet.
Dann begann der Zweite Weltkrieg und die
Wäscherei musste zunehmend Wehrmachtsaufträge
bearbeiten. Die Mitarbeiterzahl stieg auf 50 und es wurde in zwei
Schichten gearbeitet, um die zwei Tonnen Wäsche täglich
zu bewältigen. Am 30. März 1945 eroberten die
sowjetischen Truppen Danzig. Doch erst als die Sowjetarmee unter
den Marschällen Schukow und Konjew am 16. April mit der
Ukrainischen und der 1. Weißrussischen Front an der Neiße
und aus den Oderbrückenköpfen zum Sturm auf Berlin
ansetzen, entschließt sich die Familie Targatz quasi im
letzten Augenblick, die Flucht in Richtung Westen anzutreten.
Die Flucht war dramatisch wie traumatisch und es gab kein Entkommen vor der Front. Der Vater von Eduard Targatz stirbt später an den Folgen der Flucht. Am 7. Mai 1945 unterzeichnet Generaloberst
Jodl die Gesamtkapitulation der deutschen Wehrmacht, womit der
Krieg offiziell sein Ende nahm. 1947 kehrte Heinz Targatz – 19-jährig - aus englischer Kriegsgefangenschaft zurück. Er unterstützte seine Mutter in der Wäscherei und beim Wiederaufbau des Unternehmens, wozu ein geeignetes Transportmittel notwendig war. Der seiner Achsen beraubte Wanderer stand noch da. Wegen dieser fehlenden Achsen war er bisher nicht von Soldaten der Roten Armee mitgenommen worden. Schon bald nach seiner Ankunft in Eberswalde reiste Heinz Targatz nach Berlin und fand auf einem Schrottplatz in Weißensee passenden Ersatz. Damit war der Wanderer bald wieder für die Wäscherei zu gebrauchen. 1948 erhielt Amanda Targatz die Wäscherei offiziell als ihr Eigentum von der Sowjetarmee zurück. Mit zehn Mitarbeitern begann sie das Unternehmen von Neuem. Der Hauptauftraggeber war zunächst ausschließlich die Rote Armee. Erst in den nachfolgenden Jahren wurde die Nachfrage nach Wäschereileistungen für Privathaushalte immer größer. Dem konnte sich auch die Politik der inzwischen gegründeten DDR nicht verschließen. Es brauchte aber noch bis 1956, dass die Fa. Targatz endlich neu bauen durfte, „denn die alte Wäscherei platzte aus ihren Nähten“. Selbstverständlich wurde in dem neuen Werk – es wurde „Werk II“ genannt - ausschließlich für die Rote Armee gearbeitet, während in der alten Wäscherei die private Haushaltswäsche der Bevölkerung bearbeitet wurde. Heinz Targatz ging indessen 1953 – der
Mauerbau und die hermetische Schließung des eisernen
Vorhangs erfolgte erst im August 1961 – nach Krefeld an den
Niederrhein, wo er sich fachlich fortbildete und die
Meisterprüfung im Wäscher- und Plätterhandwerk
absolvierte. Er blieb aber noch eine Weile im Rheinland und
arbeitete bis 1956 als Leiter in einer Wäscherei in Remagen,
unweit der Brücke, über die am 6. März 1945 die
Amerikaner erstmals Bodentruppen auf der rechten Rheinseite
landen konnten. 1956 nimmt Heinz Targatz mit dem Bau des neuen Werkes die Geschicke des Unternehmens vollends in die Hand. Eduard Targatz stirbt 1964. Bis 1972 wächst die Tagesleistung dieses in der DDR noch privat verbliebenen Unternehmens auf 12 Tonnen täglich. In zwei Schichten bearbeiten 150 Beschäftigte Militär-, Haushalts-, Hotel und Berufswäsche. 1972 kam für das inzwischen 44 Jahre alte
Familienunternehmen die erste große Wende, indem es von der
großen Enteignungswelle der DDR erfasst wurde. Die
Enteignung und Verstaatlichung wandelte die Wäscherei
Targatz in den „VEB Wäscherei Eberswalde“ um.
Heinz Targatz hatte dabei zunächst Glück, da er als
Betriebsdirektor „seinen Betrieb“ übernehmen
konnte. Als 1990 die Deutsche Einheit kam, betrieb Heinz Targatz im nahegelegenen Marienwerder einen Gardinenservice. Die Treuhand räumte ihm als letzten Privateigentümer der Wäscherei in Eberswalde ein Vorkaufsrecht ein, das er wahrnahm. Bevor die Produktion jedoch wieder richtig losgehen konnte, musste der gesamte Betrieb umfassend modernisiert werden: Das Waschhaus musste umgebaut werden und schon im August 1990 wurde eine moderne Waschstraße der Herstellerfirma Senking in Betrieb genommen. Die weitere Firmengeschichte, insbesondere wie
die Fa. Targatz sich heute zeigt, kann auf deren Homepage
nachgelesen werden; |
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Die Wiederentdeckung des Wanderers Die Geschichte des auf die Wäscherei am
1.Juli 1932 erstmals zugelassenen Wanderers blieb auch nach 1947,
als er die neuen Achsen vom Schrottplatz bekommen hatte, eng mit
der Geschichte des Unternehmens verbunden. Bis 1968 war der
Wanderer regelmäßig im Einsatz für die Wäscherei.
Dann wurde er stillgelegt und vor Feuchtigkeit geschützt in
einem Schuppen auf einem abgelegenen Teil des eingefriedeten
Betriebsgeländes abgestellt. Dort verfiel er sozusagen in
den Dornröschenschlaf und stand auch noch dort, als Heinz
Targatz 1990 sein Unternehmen zurück erwerben konnte:
„Zunächst musste das Unternehmen wieder auf Vordermann
gebracht werden!“, berichtet mir Stefan Targatz. 1995 war
es schließlich jedoch so weit, dass er sich zusammen mit
seinem Bruder Uwe, einem gelernten KFZ-Elektriker, mit sehr viel
Arbeit, Geld und noch mehr Liebe des Wanderers annahm. „Bis
zum Jahr 2000 – also insgesamt 5 Jahre - haben wir daran
gearbeitet. Mehrmals mussten wir lange Zeit nach brauchbaren
Ersatzteilen suchen“, erfahre ich bei meinem Besuch. Seit dem Jahre 2000 nehmen die Gebrüder damit an Oldtimer-veranstaltungen teil, chauffieren hin und wieder ein Brautpaar und mindestens zwei mal pro Jahr steht eine Fahrt rund um den Werbellinsee an.
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„Was Du ererbt von Deinen Vätern hast, Erwirb es, um es zu besitzen“ Diese Worte Johann Wolfgang von Goethes wurden von den Verantwortlichen der Fa. Targatz seit der Firmengründung 1928 offenbar in entscheidenden Augenblicken stets beherzigt: So 1945 von Amanda und Eduard Targatz mit ihrer Rückkehr nach Eberswalde zur Angermünder Str. 20; so von Heinz Targatz mit seiner Rückkehr nach Eberswalde 1956 und so erneut von Heinz Targatz 1990 mit dem Rückkauf des Unternehmens von der Treuhand. 2003 beging das Unternehmen sein 75-jähriges Jubiläum. Aus diesem Anlass hatten Heinz Targatz und seine Söhne auf dem Firmengelände einen von der Straße her gut sichtbaren Glaspavillon erhaben errichtet mit der großen Aufschrift „Wäschereimuseum“. Dieser etwa sieben Meter mal drei Meter messende Pavillon beherbergt eine ca. drei Meter breite Heißmangel aus dem 19. Jahrhundert. Auch die Geschäftsbücher des Unternehmens mit den schicksalhaften Eintragungen vom April und vom Juli 1945 sind dort zu finden.
Laut Stefan Targatz
ist das jedoch nur der „Anfang eines richtigen“
Museums, dessen Gebäude sich noch im Aufbau befindet. Dass seine Sammlung heute so umfangreich ist,
hat Stefan Targatz u. a. dem bis 2004 in Berlin bestehenden
Wäschereimuseum von Waltraud und Lothar Amlow zu verdanken,
das dort aufgelöst wurde und seit 2005 auf seinem
Betriebsgrundstück in Eberswalde eine neue Bleibe gefunden
hat. Einige Berliner sollen über die Verlegung des ehemaligen Wäschereimuseums nach Eberswalde nicht so ganz glücklich gewesen sein. Nach dem was ich an Begeisterung bei Stefan Targatz und der bisherigen provisorischen Unterbringung des Museums feststellen kann, ist das sicherlich eine gute Lösung, die den Berlinern zudem die Möglichkeit gibt, außer der Berliner Luft auch mal wieder Landluft zu schnuppern. Wer mit dem Wäscherei-Erbe der Väter schon seit Generationen so sorgsam und bewusst umgeht wie die Firma Targatz, in dessen Händen kann ein Wäschereimuseum nur bestens aufgehoben sein! |
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In einer weiteren Halle finden sich ein Klein-LKW Framo V 901/2 aus dem Jahre 1958. Neben etwa 2 anderen unrestaurierten 50ern steht hier auch das erste „Dienst-Moped“ seines Vaters, eine Simson SR1, welches dieser jahrelang dazu benutzt hatte, um in Eberswalde zwischen Werke I und Werk II zu pendeln. Framo und Simson werden in absehbarer Zeit restauriert erklärt mir Stefan Targatz. Sein Bruder Uwe hat inzwischen mit den Restaurierungsarbeiten an einer DKW 200 E aus dem Jahre 1926 begonnen.
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Swisttal, im Januar 2007
Text: Hans Peter
Schneider
Fotos: Archiv Wäschereibetriebe Targatz GmbH und
Hans Peter Schneider