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Monet et Goyon Automouche
von der Wiedererweckung eines Dreirades

Nicht Fleisch nicht Fisch -
motorisierte Dreiräder sind so alt wie das Auto

Im Anfang war das Dreirad
Motorisierte Dreiräder gibt es quasi schon von Anbeginn der motorisierten Fortbewegung an. Genau betrachtet war der „Motorwagen“ von Carl Benz auch „nur“ ein Dreirad. Dennoch unternahm im August 1888 seine Frau Bertha zusammen mit ihren Söhnen Richard und Eugen ohne Wissen ihres Mannes die berühmte Ausfahrt von Mannheim nach Pforzheim über 106 km und wenige Tage später die noch etwas weitere Rückfahrt über Schwetzingen. Dennoch sprach hier alle Welt weniger von einem Dreirad als vielmehr von einem Auto.

Die Bedeutung des Dreirades als wirtschaftliches Fahrzeug ist in Deutschland Geschichte
In den Pioniertagen des Automobiles diktierte die Einfachheit noch die Konstruktion und ein dreiräderiges Fahrzeug mit seinen drei Spuren kippt im Gegensatz zu einem Motorrad einfach nicht um, wenn man damit zum Stehen kommt. Es ist ohne Zweifel von Vorteil, wenn sich der Fahrer beim Fahren nicht auch noch zu sehr um die Balance kümmern muss. Zudem lassen sich mit Dreirädern wegen ihrer größeren Baubreite Transportprobleme leichter lösen. Ein Vorteil gegenüber dem vierräderigen Auto war indessen die in der Regel einfachere und damit billigeren Konstruktion. Nicht zuletzt auch aus diesem Grund gab es für Dreiräder in Westeuropa einen Markt bis in die 1950er Jahre hinein. Anders noch als zu Zeiten des Goliath-Dreirades müssen mit Dreirädern heute keine wirtschaftlichen oder besonderen Transportprobleme mehr gelöst werden. Heute werden Dreirädern ausschließlich von Idealisten gekauft bzw. Dreiräder dienen heute vornehmlich dem Freizeitvergnügen. Hierzu betrachte man sich nur einmal die heutigen
Trikes, oft mit Motor und Hinterachse vom VW-Käfer und überdimensionierter Motorradgabel vorne. Transportprobleme un die reine Mobilität von A nach B lassen sich heute anders und billiger und optimaler lösen. Wenngleich das aus dem Roller weiterentwickelte Dreirad PIAGIO MP3 400 LT ähnlich wie der Roller selbst gegenüber dem Auto auch aus ökologischer Sicht eine Alternative für die Fahrt in die Stadt darstellt. Nicht unerwähnt bleiben soll hier auch das Triky-Projekt von Hans Perscheid, der dieses auf unserer Homepage sehr ausführlich beschreibt und sich dort auch mit grundsätzlichen Fragestellungen zum Thema Dreirad befasst.
Je nach Spurweite dürfen Dreiräder auch mit dem weiter verbreiteten Auto-Führerschein gefahren werden.


Monet et Goyon Automouche aus dem Jahre 1925


Benz Motorwagen


Goliath, Bj. 1959, dreirädrige Nutzfahrzeuge sind heute in Deutschland Geschichte. In der Dritten Welt jedoch nicht Foto: Lothar Spurzem


Modernes Dreirad aus dem Jahre 2009 mit Entwicklungs- und Erbauer-Team. Dreiräder sind heute in Deutschland vornehmlich Freizeitfahrzeuge

Kriegskind

Monet et Goyon entdeckte das Dreirad als Marktlücke
Die Firma
Monet et Goyon war in Macon beheimatet, baute und verkaufte um 1900 bereits Fahrräder und entwickelte sich während des Ersten Weltkrieges zum führenden französischen Motorradhersteller. In der wenigen vorhandenen Literatur wird hierzu das Jahr 1917 genannt.

Die Motoren wurden zunächst eingekauft: Zweitaktmotoren bis 350 ccm von der englischen Firma Villiers Ltd., größere Viertaktmodelle mit Motoren von M.A.G. aus der Schweiz oder auch von Anzani aus England. Eine bedeutende Änderung stellte sich 1922 ein, indem Monet et Goyon eine Lizenzabkommen mit Villiers schloss und alsdann die Villiers-Motoren selbst fertigen durfte.

Eine Marktlücke, die den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens langfristig sicherte, war die Produktion von Versehrtenfahrzeugen. Der vorangegangene Erste Weltkrieg hatte insgesamt 10 Mio. Soldaten das Leben gekostet und ca. 20 Mio. wurden verwundet. Bei Verletzungen an den Extremitäten ließen die Not und die besonderen Umstände in den Lazaretten den Feldärzten oft keine andere Wahl als die der Amputation. Hinzu kamen noch die zivilen Opfer. So war nach dem ersten Weltkrieg die Zahl der Kriegsversehrten mit fehlenden Gliedmaßen beträchtlich.


Werbeanzeige aus den 1920er Jahren. Auch wenn darin keine Kriegsversehrten gezeigt wurden, so lag die Eignung des Dreirades mit hohem Sitz als Versehrtenfahrzeug auf der Hand

Praktische und bezahlbare Konstruktion

Der Bedarf an Mobilitätshilfen für Versehrte war nach jedem Krieg groß, außer den unterschiedlichsten Rollstühlen, die mit Muskelkraft angetrieben wurden, war auch das Interesse motorbetriebenen Krankenfahrstühlen groß; konnte man doch mit dieser problemlos größere Entfernungen zurücklegen. Da die Versehrten in der Regel nicht sehr vermögend waren, musten die Fahrstühle möglichst finanziell erschwinglich sein. Diese Anforderungen erfüllte Monet et Goyon mit ihrem Dreirad Automouche. „Mouche“ heißt in Frankreich Fliege. Wenn „automobile“ für eine vierrädriges stattliches Fahrzeug stand, dann stand „automouche“ für ein minimalistisches kleines Fahrzeug, das brummend, wendig und flink überall hin gelangt.

Die Konstruktion der Automouche war sehr einfach gehalten: In einem stabilen Rohrrahmen mit gefederter Parallelogrammgabel für das einsame Vorderrad steckte ein englischer Zweitakt-Konfektionsmotor von Villiers. Dieser hatte zunächst nur 98 ccm und erwies sich doch schon bald als zu schwach damit. So kam lvornehmlich ein Motor mit 150 ccm zum Einsatz, der mit seinem Sackzylinder 3 PS entwickelte. Die Kraft wurde im Weiteren über ein Zweiganggetriebe und Kette auf die beiden Räder der Hinterachse übertragen.
60 km/h Spitzengeschwindigkeit waren mit dem Fahrzeug möglich. Das war in den 1920er Jahren mehr als ausreichend. Gebremst wurde mittels Felgenbremsen an Vorderrad und Hinterrädern.

Der anvisierte geringe Verkaufspreis ließ nur eine einfache Konstruktion zu. Aus diesem Grund ist die Hinterachse ohne Differenzialgetriebe. Beide Hinterräder sind starr mit der Achse verbunden uns sorgen auf der Fahrbahn für den Antrieb. Klar rümpfen jetzt einige Leser die Nase, weil bei einer solchen Konstruktion die Lenkarbeit unpräzise wird und sämtliche Fahrwerkskomponenten zusätzlichen Seitenkräften ausgesetzt sind. Aber in den 1920er Jahren bestanden jedoch die meisten Straßenbeläge noch aus Schotter und Sand, sodass das zu schnell drehende kurveninnere Rad reichlich Schlupf fand und sich deshalb die unausgelichene Drehzahl der Hinterräder beim Kurvenfahren weniger nachhaltig schlecht auf die Manövrierfähigkeit auswirkte, als das beim Befahren unserer heutigen Asphaltstraßen der Fall ist.
Versöhnlich ist indessen der bequeme Sitz, in dem der Fahrer erhaben thronend über dem verkleideten Motor seinen Platz einnehmen kann. Sicherlich war diese Sitzposition für den Verkauserfolg mitentscheidend. Die Bequemlichkeit hatte vorrang vor der Aerodynamik. Schließlich trug Mann ja beim Fahren in der Regel einen Hut.
Hinter dem Sitz finden sich der Kraftstofftank und eine Unterbringungsmöglichkeit für Gepäck, in Gestalt eines Gepäckträgers oder - viel öfters - eines Korbes.

Auch für die Damenwelt interessant
Neben dem oben schon genannten bequemen Sitz war es der angenehme Durchstieg zwischen Sitz und Lenker der die Automouche so interessant für die Damen machte. Anders als beim Benutzen eines Motorrades, konnten die Damen auf der Automouche aufrecht sitzend ihre übliche Kleidung anbehalten und musste sich nicht eigens in eine Hose zwängen. Wohlgemerkt: Vor 80 Jahren waren die Möglichkeiten nur sehr eingeschränkt, wo Dame in Hosen erscheinen durfte, ohne gleich unangenehm aufzufallen.


Bettelnder Deutscher Kriegsinvalide 1923 in Berlin (Foto: Bundesarchiv)


Die Automouche vor der Restaurierung. Zunächst sollte es keine Vollrestaurierung werden


Blick auf den im stabilen Rohrrahmen untergebrachten Villiers-Motor. Primärantrieb zum vom Motor getrennten getrennten Zweiganggetriebe erfolgt über eine einfache Rollenkette. Zur Kühlung muss der Fahrtwind ausreichen. Die Funktion der Riemenscheibe im Vordergrund ist bis heute unklar


Oben links die Klemmung des Getriebes im Rahmen, damit ggf. die Primärkette durch Verschieben des Getriebes im Rahmen gespannt werden kann. Das Polrad der Magnetzündung ist bereits entfernt


Dickes Blech sorgt für die Grundform des Sitzes

Willi Schaubs Restaurierungsobjekt

Ein Dreirad wäre auch nicht schlecht“, dachte sich Willi Schaub, als er 2008 eine Automouche im elsässischen Goxwiller entdeckte - und kaufte sie kurzerhand. Die Automouche war Baujahr 1924 und für so ein altes Fahrzeug waren noch die meisten wichtigen Teile vorhanden bzw. restaurierbar. Zunächst wollte Willi sie in ihrer Patina erhalten und nur eine schonende Teilrestaurierung vornehmen, doch als er schließlich mit der Teilrestaurierung angefangen hatte und ihm einige Bestandteile doch zu sehr gealter erschienen, änderte er seinen ursprünglichen Entschluss und leitete eine Totalrestaurierung ein. Der 150 ccm Villiers-Motor war recht simpel und lief auch noch beim Kauf, hier kamen nur neue Dichtungen hinein und die Oberflächen wurden gesäubert und teils neu lackiert. Die paar wenigen Lager des Motors, Kolben, Kolbenringe und Zylinder waren auch nach mehr als 85 Jahren noch in einem akzeptablen Zustand. Auch die motorelektrik war bis auf den Kondensator noch in Ordnung.
Den aus dicken Rundrohren bestehende Rahmen übergab er nach dem Sandstrahlen zum Lackieren einem Profi. Der bequeme Sitz war nach Entfernung des Bezuges in seiner hölzernen Substanz marode. Eine Nachfertigung stellte jedoch kein Problem dar. Ein benachbarter Tischler gab noch den guten Rat, das im Sitz integrierte Fenster für den Zugang zur Zündkerze des unter dem Sitz befindlichen Motors mit „runden Ecken“ zu versehen, da dieses die Holzkonstruktion nicht so rissanfällig mache. Das Blech des Sitzes war nur äußerlich angerostet bzw. dick genug und ließ sich nach einer Neulackung weiter verwenden. Ein Sattler aus Willis Wohnort sorgte für eine neue Polsterung und einen zeitgemäßen Bezug aus Rauhleder. In einem schlechteren Zustand als zunächst erkennbar war indessen der Tank hinter dem Sitz. hier mussten Stellen das marode Blech durch durch Schweißen repariert werden.

Um künftig problemlos auf Asphaltstraßen mit dem Dreirad trotz fehlendem Differenzial fahren zu können überlegte Willi zunächst, den Antrieb auf eines der Hinterräder zu begrenzen bzw. eines der Hinterräder auf Freilauf umzubauen. Letztendlich entschied er sich aber es beim originalen Konzept zu belassen, auch wenn das Fahren dann etwas schwieriger und der Verschleiß von Reifen und Radlagern etwas heftiger sein wird.

Reifen in der ursprünglichen Größe gab es beim einschlägigen Fachhandel zu kaufen. Die beiden hinteren Schutzbleche ersetzt Willi durch zwei andere, die er noch hatte und die nur leicht in ihrer Form noch angepasst werden mussten. Beim Vorderadschutzblech sah es indessen mit passendem Ersatz schwierig aus. Hier wurde deshalb das Original aufwendig restauriert.


Gelbe Engel schauen sich das halbfertige Restaurierungsobjekt an. Bei einer Panne wäre Hilfe mit einfachsten Werkzeugen möglich

Für den fehlenden Gashebel fand er in seiner Sammlung noch passenden Ersatz, sogar einen mit dem eingegossenen Schriftzug „Villiers“. Dort hatte er auch noch eine zeitgenössische Karbitlampe – damals kostenpflichtiges Zubehör – die er der Automouche spendierte.
Der ursprüngliche Korb fürs Gepäck war noch so gut erhalten, dass er nach einer Säuberung weiter verwendet werden konnte.

Bis zum Tag der offenen Tür im April 2010 soll die Automouche fertig und fahrbereit sein. Die Schutzbleche, die Motorverkleidung, das Trittbrett und der Tank sollen dann vom vom Lackierer zurück sein und die Felgenbremsen montiert.

So einfach die Konstruktion der Automouche war, so einfach war auch ihre Restaurierung.

Von seiner Motorleistung her passt die Fliege genau in unsere nächste 3-PS-Tour“, erklärt mit Willi Schaub und nimmt dabei schon einmal im bequemen Sitz der halbfertigen Automouche Maß, „... ich komme ja jetzt in das Alter!“

Noch mehr Bilder von der Restaurierung gibt es >>> hier


Die schönste Arbeit ist der Zusammenbau der restaurierten Teile


Beide Hinterräder sorgen ohne Differenzial für den Antrieb


Der Platz für die Antriebsbestandteile ist mehr als aureichend


Willi Schaub nimmt schon einmal Maß auf der halbfertigen Automouche: „... ich komme ja jetzt in das Alter!“

Swisttal, im Januar 2010

Text: Hans Peter Schneider
Fotos: Willi Schaub und Hans Peter Schneider

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